Europa im Briefkasten
„Wir sind eine finnisch-deutsche Familie. Mein Ehemann wurde in Berlin geboren. Ich habe drei Jahre Deutsch studiert, aber ich habe viel vergessen. Unsere Tochter ist zweisprachig“, liest Alexandra vor. Diese Karte kommt von Raija aus Helsinki. Vor Alexandra liegt ein Berg mit vielen weiteren bunten Postkarten. Sie kommen von mehr als 100 verschiedenen Absendern.
Alexandra ist eines von vielen Mitgliedern der Plattform Postcrossing. Alleine in Deutschland sind über 51.000 Mitglieder registriert. Weltweit versenden Mitglieder Postkarten an eine vorgegebene Adresse und erhalten im Gegenzug eine Postkarte von einer anderen Person. Damit alles reibungslos funktioniert, gibt es einen vorgeschriebenen Ablauf:
Die Welt durch Postkarten verknüpfen?
Der Portugiese Paulo Magalhães hat die Plattform 2005 gegründet. Damals war er Student und liebte es, Post zu bekommen. Er wusste, dass es auch vielen anderen Menschen so ging, doch es gab keinen Weg, diese Leute zu finden und einen Kontakt zu knüpfen. Um dieses Problem zu lösen gründete er postcrossing.com. Sein Projekt begann mit einem alten Computer, dessen Rechenleistung jedoch schnell nicht mehr ausreichte. Die Bekanntheit der Seite stieg, denn es berichteten viele Medien über die Möglichkeit, durch Postkarten andere Länder kennenzulernen. Das erkannte auch die niederländische Postgesellschaft PostNL und verkaufte 2011 ein spezielles Briefmarken-Set, welches heute unter Postcrossern als wertvolles Sammlerstück gilt. Ebenso konnte man bei der Deutschen Post zum zehnjährigen Bestehen der Website eine spezielle vorfrankierte Postkarte kaufen. Immer wieder gibt es besondere Briefmarken, die sehr beliebt sind.
Heute arbeitet Paulo gemeinsam mit seiner Freundin Ana und einem kleinen Team an seiner Website, und erweitert sie durch verschiedene Funktionen. Es gibt Statistiken über den gesamten Postkartenverkehr und die Nutzer können sich eigene Profile anlegen. Über ein Forum können sich die Postcrosser auch online austauschen. Paulo und Ana wollen „die Welt durch Postkarten verknüpfen und viel Freude auf die unterschiedlichsten Gesichter zaubern“.
Jede Karte ist eine kleine Überraschung
Alexandra verschickte vor fünf Jahren ihre erste Postkarte. „Ich habe mit meinem Opa Karten gekauft und in einer dieser Papiertüten bekommen. Da war eine Anzeige für Postcrossing drauf und ich habe mich gleich dafür interessiert“, erzählt Alexandra. Es war ein großartiges Gefühl, als sie ihre erste Postkarte im Briefkasten fand. Auch heute ist es jedes Mal eine kleine Überraschung, da sie nicht weiß, wann eine Karte losgeschickt wurde. „Ich fühle mich, als hätte ich schon in ganz Europa Urlaub gemacht oder Freunde, die mir von dort aus schreiben", sagt Alexandra begeistert.
Und was schreiben die Leute?
Es ist ganz unterschiedlich und sehr persönlich, was auf der Rückseite der Karte zu finden ist. Alexandra erklärt: „Viele schreiben Dinge über ihr Land und was man da alles machen kann oder was es Besonderes gibt. Die meisten erzählen auch etwas über sich und ihr Leben.“ So kann man viele verschiedene Länder kennenlernen und erfährt etwas über die jeweilige Kultur. „Am liebsten mag ich es, wenn die Leute etwas in ihrer Muttersprache schreiben. Das sind manchmal witzige Sätze, die man erstmal googeln muss“, sagt Alexandra und lacht. „Auf einer Karte sind russische Zeichen, da weiß ich bis heute nicht, was das heißen soll.“
Oft sind aber auch Sprüche, Wünsche oder Lyrics von Songs auf den Rückseiten der Karten zu finden. Manchmal schreiben die Menschen kleine Guides und übersetzen die wichtigsten Wörter ihrer Landessprache.
Der Schutz der Postcrosser ist der Plattform sehr wichtig:
- Die Adressen sind nur für das Postcrossing gespeichert.
- Es ist nicht möglich, eine bestimmt Adresse zu bekommen. Jedem Postcrosser wird eine zufällig ausgewählt Adresse zugeteilt, an die er schreiben kann. Lediglich das Land kann als Wunsch angegeben werden.
- Zum Schutz vor Spam dürfen nur fünf Karten pro Postcrosser im Umlauf sein. Langjährige und sehr aktive Mitglieder können die Anzahl jedoch steigern.
Manche Karten haben eine lange Reise hinter sich
Alexandra hat ein Semester in Schottland verbracht. Auch dort hat sie weiter Karten verschickt und empfangen. Über das erstellte Profil lässt sich die eigene Adresse bei einem Umzug ändern.
„Ich habe ganz viele Anfragen aus Osteuropa bekommen. Viele finden das Land so schön und wollen unbedingt eine Karte mit typischen Motiven“, erinnert sie sich. Über die Website kann man auch gezielt bestimmte Länder anfordern oder angeben. Dadurch ist es möglich, ganz Europa via Postkarten zu erkunden. „Da habe ich natürlich gern welche geschickt. Aber ab und zu dauert es sehr lange, bis eine Karte ankommt. Manchmal sogar Monate! Eine Karte, die ich in Schottland verschickt habe, ist immer noch nicht angekommen. Ich glaube die ist verloren gegangen.“ Woran das liegen kann, weiß sie leider nicht.
Natürlich hat Alexandra auch ein paar Lieblingskarten: „Ich freue mich immer über schöne oder witzige Motive. Einmal hat mir ein Postcrosser aus der Schweiz sogar eine Glücksmünze auf die Karte geklebt.“ Alexandra sammelt ihre Karten in einem Ordner. Hier sind sie nach Ländern sortiert. Aber die schönsten hängen an den Wänden ihres Zimmers.
Raija aus Helsinki hat es mit ihrer Karte an Alexandras Wand geschafft. „Manchmal frage ich mich, ob meine Karten auch an einer Pinnwand hängen dürfen“, sagt Alexandra und sortiert ihre vielen bunten Karten wieder in ihren dicken Ordner ein.