Organspende 6 Minuten

Organe nach Liste?

Blick über die Schulter von jemandem, der gerade die Registrierungswebseite des Organspenderegisters geöffnet hat
Seit dem 18. März 2024 ist es möglich die Entscheidung zur Organ- und Gewebespende erstmals online festzuhalten. | Quelle: Leonie Brücher
18. Mai 2024

Mit der Einführung des Organspenderegisters wagt Deutschland einen neuen Schritt, um die Bereitschaft zur Organspende zu erhöhen. Doch wie viel kann das Register tatsächlich bewirken?

Der Blick in den Briefkasten bringt nicht nur Rechnungen und Werbung, sondern auch einen Brief der Krankenkasse mit Informationsmaterialien rund um die Organspende zum Vorschein. Darunter befindet sich auch ein Flyer zum sogenannten Organspenderegister. Der Brief, der vielleicht ohne große Beachtung im Müll gelandet wäre, wird auf einmal doch interessant und man fängt an zu lesen.

In Deutschland warten laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) aktuell etwa 8500 Menschen auf eine Organspende. Doch 2023 gab es in Deutschland nur 965 Organspender*innen, die nach ihrem Tod Organe gespendet haben, wie Statistiken der Deutschen Stiftung Organtransplantation zeigen. Das ist zwar ein kleiner Anstieg im Vergleich zum Vorjahr, dennoch liegt Deutschland damit im europaweiten Vergleich auf den hinteren Rängen und ist somit bei der Organtransplantation auf die Spendenbereitschaft seiner Nachbarländer angewiesen, um die Nachfrage decken zu können. Doch woran liegt es, dass Deutschland in Sachen Organspende hinterherhinkt? An der grundsätzlichen Spendenbereitschaft liegt es nicht, sagt auch Dirk Schedler, promovierter Transplantationsbeauftragter der Uniklinik Köln. „Ich glaube, dass wir ein sehr großes Potenzial haben, dass Menschen durchaus bereit sind, sich in Deutschland für eine Organspende zu entscheiden. Wir sind eigentlich gar keine Nation von Menschen, die nicht bereit wäre, grundsätzlich zu spenden.“ Das zeigt auch eine 2022 durchgeführte repräsentative Umfrage der BZgA. Laut der Studie stehen die Menschen in Deutschland einer Organspende zu 84 Prozent positiv gegenüber. Dennoch haben lediglich 61 Prozent der Befragten eine tatsächliche Entscheidung zur Organspende getroffen und sogar nur 44 Prozent haben ihre Entscheidung auch schriftlich festgehalten. Die schriftliche Dokumentation ist allerdings das, was am Ende zählt und dazu befähigt Organspender*in zu sein. 

Gesetzliche Regelung in Deutschland

Die Organspende erfolgt in Deutschland nach dem Prinzip der erweiterten Zustimmungslösung und der Entscheidungslösung. Damit unterscheidet sich Deutschland von seinen Nachbarländern. Die Mehrheit der europäischen Länder benutzt die sogenannte Widerspruchslösung bei der Organvergabe. Auch in Deutschland wurde die Einführung der Widerspruchslösung diskutiert. Sie konnte allerdings im Bundestag keine Mehrheit finden. Laut Schedler spiegele die Entscheidung des Bundestages auch die Sorge der Bevölkerung wider, dass ein möglicher Widerspruch nach dem Tod doch nicht berücksichtigt würde und trotzdem Organe entnommen werden könnten. 

Laut dem Bündnis gegen die Widerspruchs- und Erklärungsregelung bei Organspenden verstoße die Widerspruchslösung gegen das Selbstbestimmungsrecht eines Menschen. Außerdem wird der Hirntod als Indikator für eine Organentnahme kritisiert. Organisationen wie Ärzte und Pflegefachpersonen gegen Organspende am Lebensende (Äpol) argumentieren, der Hirntod sei nicht der tatsächliche Tod des Menschen und die Entnahme von lebenden Organen eines nur vermeintlich toten Menschen sei eine Verletzung der Menschenwürde. Letztlich würden Angehörige unter Druck gesetzt, uninformiert, unter Schock und in kürzester Zeit einer Organspende zustimmen zu müssen, falls die verstorbene Person während ihres Lebens keine Entscheidung dokumentiert hat. 

Die Zustimmungslösung besagt, dass Organe und Gewebe nur dann entnommen werden können, wenn die verstorbene Person während ihres Lebens einer Organ- und Gewebeentnahme zugestimmt hat. Gibt es keine Zustimmung, so dürfen der verstorbenen Person auch keine Organe entnommen werden. Allerdings haben die Angehörigen mit der erweiterten Zustimmungslösung das Recht, eine nachträgliche Entscheidung für die verstorbene Person zu treffen und sich für die Organ- und Gewebeentnahme zu entscheiden. Die Entscheidungslösung sieht vor, dass die Menschen in Deutschland regelmäßig aufgeklärt und bei der Entscheidungsfindung zur Organ- und Gewebeentnahme unterstützt werden sollen, ohne eine bestimmte Richtung vorgegeben zu bekommen. 

Mit dem Gesetz zur „Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“, das im Januar 2020 verabschiedet wurde, ist zudem festgehalten worden, dass die Bereitschaft zur Organspende nach dem Tod häufiger abgefragt und in einem sogenannten Organspenderegister dokumentiert werden kann. Bei der Widerspruchslösung müssen sich Menschen bereits zu Lebzeiten ausdrücklich gegen eine Organspende entscheiden, um nach ihrem Tod nicht als Organspender*in in Frage zu kommen. Liegt keine Entscheidung gegen die Organspende vor, so wird die verstorbene Person automatisch potenzielle*r Organspender*in.

Organspenderegister – Die Lösung aller Probleme?

Am 18. März 2024 wurde das Organspenderegister dann offiziell als zentrales elektronisches Verzeichnis in Deutschland eingeführt, mit dem Ziel dort die Entscheidung für oder gegen eine Organ- und Gewebespende festhalten zu können. Der Eintrag in das Register ist freiwillig, kostenlos und kann jederzeit geändert oder rückgängig gemacht werden. Aus einer Meldung der BZgA geht hervor, dass sich Stand 13. Mai 2024 dort 114.893 Menschen registriert haben. Alle vorgesehenen Funktionen des Registers werden stufenweise bis Januar 2025 verfügbar gemacht. Mit dem Organspenderegister erhofft sich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), welches die Verwaltung des Registers übernimmt, ein niedrigschwelliges und sicheres Angebot zu schaffen, um die Entscheidung zur Organspende festzuhalten. Mit dem Register wird es erstmals möglich sein, die Entscheidung digital zu hinterlegen und sie somit jederzeit verfügbar und schnell und einfach abrufbar zu machen. Das sorgt vor allem für einen größeren Handlungsspielraum der Krankenhäuser und soll die Angehörigen entlasten, weil die eindeutige Entscheidung zur Organspende bereits vorliegt. 

Mit der Einführung des Organspenderegisters ist zunächst nur die Anmeldung und Dokumentation der Entscheidung zur Organspende möglich. Erst ab Juli 2024 können die Krankenhäuser, welche Transplantationen durchführen, auf das Organspenderegister zugreifen und die hinterlegten Entscheidungen abrufen. Zwischen Juli 2024 und September 2024 wird es erstmals möglich sein, das Register auch über Krankenkassen-Apps zu erreichen. Ab dem 1. Januar 2025 ist es vollständig nutzbar und auch Gewebeeinrichtungen bekommen dann einen Zugang zu dem elektronischen Verzeichnis. Die Registrierung im Organspenderegister ist erst ab 16 Jahren möglich. Die gesetzliche Regelung in Deutschland besagt, dass Personen ab 14 Jahren einer Organ- und Gewebeentnahme zwar widersprechen können, aber die aktive Zustimmung oder Ablehnung und die Dokumentation der Entscheidung ist erst mit 16 Jahren möglich. Außerdem muss man sich für die Anmeldung im Register online ausweisen, was ebenfalls erst ab 16 Jahren funktioniert. 

Die Registrierung erfolgt zunächst über die Webseite: www.organspende-register.de. Somit hat man die Möglichkeit die Entscheidung zur Organspende über Smartphone, Tablet, Laptop oder Computer abzugeben. Bevor die Registrierung starten kann, sollte man die AusweisApp installieren und den Personalausweis mit eID-Funktion, elektronischen Aufenthaltstitel (eAT) oder die eID-Karte und die Krankenversichertennummer parat haben. Die Anmeldung muss nicht an einem Stück abgeschlossen werden, sie kann zwischendurch pausiert und gespeichert werden, falls man sich weiter informieren möchte. 

Dirk Schedler betont allerdings auch, „dass das eine zum Teil noch sehr große, manchmal unüberwindbare Hürde für die älteren Generationen darstellt.“ Er glaubt aber ebenso, „dass gerade in der zweiten Jahreshälfte noch mehrere, auch niedrigschwelligere Lösungen technisch zur Verfügung stehen werden, um seinen Wunsch in das Organspenderegister eintragen zu lassen.“ Das sei für ihn auch eine wesentliche Voraussetzung, damit das Register in der breiten Bevölkerung auch Zustimmung findet und angewendet wird. Zudem könnten auch die Krankenhäuser in Deutschland im Moment wegen teils hoher Sicherheitsstufen zum Schutz vor Cyberangriffen noch Schwierigkeiten haben, auf das Organspenderegister störungsfrei zuzugreifen. Daher findet es der Transplantationsbeauftragte der Uniklinik Köln nach wie vor sinnvoll, parallel zum Organspenderegister, aber vor allem auch jetzt in der Übergangszeit bis zur vollständigen Einführung des Registers, die Dokumentation der Entscheidung zur Organspende mit dem Organspendeausweis oder über eine Patientenverfügung beizubehalten. 

Für Dirk Schedler ist in der Diskussion um das Organspenderegister darüber hinaus allerdings noch ein wichtiger Punkt zu beachten: 

Die Bedeutung des Registers für die Organspendebereitschaft

Welchen Beitrag das Organspenderegister tatsächlich zur Reduktion des Organmangels in Deutschland leistet, bleibt abzuwarten und wird sich in Zukunft zeigen. Wer sich allerdings eine deutliche Änderung erhofft, dürfte, laut Schedler, dennoch enttäuscht werden. Das Organspenderegister stelle zwar eine niedrigschwellige Möglichkeit zur Dokumentation der Entscheidung zur Organspende dar, sei allerdings auch nur ein Baustein von vielen notwendigen Maßnahmen, um letzten Endes die Entscheidungsbereitschaft zu erhöhen. Das Register sei zurzeit ein optionales Tool, das lediglich dafür sorge, die Wünsche der Menschen hinsichtlich der Organspende sicher zu hinterlegen. „Als Stand-alone Lösung, die jetzt tatsächlich zu mehr Organspendebereitschaft in der Bevölkerung führt“, sehe der Transplantationsbeauftragte das Organspenderegister nicht und betont, es sei auch nicht als solche gedacht. Der einzig denkbare Weg zu einer höheren dokumentierten Spendenbereitschaft, aber vor allem auch zu mehr Organspenden sei in seinen Augen die Einführung der Widerspruchslösung. Und sollte Deutschland sich irgendwann wirklich für die Widerspruchslösung entscheiden, so sieht Schedler das Organspenderegister dann als wichtiges und bedeutungsvolles Tool, was benötigt wird, um den Widerspruch rechtssicher und auf eine Art und Weise zu dokumentieren, wo er nicht verloren gehen kann.

Überrascht legt man den Flyer wieder aus der Hand. Scheint eine interessante Neuerung zu sein, das Organspenderegister. Man greift zum Handy und öffnet die Registrierungswebseite. Vielleicht lohnt es sich, sich das Register nochmal genauer anzuschauen. 

Knappe, graphische Zusammenfassung der einzelnen Schritte zur Registrierung im Organspenderegister.
Die Abbildung führt schrittweise von der Identifikation mit eID bis zur Abgabe der Erklärung durch die Registrierung im Organspenderegister.
Quelle: Leonie Brücher