„In der heutigen Gesellschaft sind die Menschen aus dem Leben gerissen.“
Minimalismus auf großem Fuß
Brendan Thome sitzt in Stuttgart-Plieningen vor seinen beiden großen Flachbildschirmen. Neben ihm summt der Hochleistungscomputer im Gamer-Gehäuse. „Unsere Laptops sind für die Programme, die wir nutzen, nicht leistungsstark genug. Und durch die Griffe am Gehäuse lässt sich der Computer super transportieren“, erklärt der 26-Jährige und fährt sich durch die dunkelblonden Haare. Konzentriert durchsucht er die riesige Materialdatenbank seines Start-up-Unternehmens Tech Tiny House, um seinem neuesten Auftraggeber eine Auswahl an möglichen Fassaden präsentieren zu können.
Der Jungunternehmer ist vor wenigen Tagen mit seinem Equipment aus Detmold angereist, wo sich der Hauptsitz und die Produktionsstätte des Start-ups befinden. Gemeinsam mit seiner Freundin Sina und seinem Vater Bernhard hat er es vor dreieinhalb Jahren aufgebaut. Hierfür sein Philosophiestudium abzubrechen kostete ihn wenig Überwindung. Schon zu Schulzeiten hatte er sein erstes erfolgreiches Schülernachhilfe-Start-up gegründet. Auch Sina war für das Risiko offen. Nachdem das Paar von der Tiny House-Bewegung aus den USA gehört und sich darüber informiert hatte, war für sie schnell klar, dass sie Tiny Houses für den „deutschen Standard“ bauen wollen. „Damit meine ich den deutschen Baustandard nach EU-Norm. Da ‚Tiny House‘ kein rechtlich geschützter Begriff ist, könnte man auch Gartenhütten als Tiny Houses verkaufen. Uns war es jedoch wichtig, mit Ingenieursmethodik wie Statikberechnungen zu arbeiten. So heben wir uns von der Konkurrenz ab.“
Das größte Tiny House Europas
Brendan lehnt sich im Wohnzimmer seiner Eltern zurück und genießt die Stille des Home Office. Zufrieden klickt er nochmals durch die Bilder seiner ersten abgeschlossenen Auftragsarbeit: ein Waldkindergarten am Bodensee, aus nachhaltigen Materialien gefertigt. Nicht ökologisch zu bauen bietet Brendan zufolge jedoch auch Vorteile – es können leichtere und stabilere Materialien verwendet werden. „Dadurch haben wir es geschafft, bei gleichem Gewicht das größte mobile Tiny House Europas herzustellen“, erklärt er stolz. Dabei legt das Team von Tech Tiny House viel Wert auf eine leistungsfähige, hochwertige und ästhetische Bauweise ihrer Häuser. Doch das Team baut nicht nur Tiny Houses, sondern möchte sein Wissen auch mit anderen teilen. Deshalb bieten sie zusätzlich Workshops zu den Themen Bauweise, Technik, Praxis sowie Lifestyle und Recht an.
Aus den Staaten nach Europa
Die Tiny House-Bewegung findet ihren Ursprung um die Jahrtausendwende herum in den Vereinigten Staaten. Immer mehr Menschen sehen in den Kleinsthäusern die Möglichkeit, einfacher, nachhaltiger und kostengünstiger zu leben. Laut der Small House Society in den USA schonen Tiny Houses sowohl ökologische als auch ökonomische Ressourcen. Denn beim Bau der Häuser können nachhaltige Baustoffe verwendet werden, sie weisen einen geringeren Energiebedarf auf und benötigen eine kleinere Baufläche. Außerdem spielen für viele der Aspekt des „kleinen Lebens“ und die Rückkehr zum Wesentlichen eine entscheidende Rolle. In den USA wurde der Begriff „Tiny House“ bereits ins Baugesetz aufgenommen. Es beschreibt Tiny Houses als mobile sowie fest installierte Gebäude mit bis zu 37 Quadratmetern Grundfläche. Das Team von Tech Tiny House hat sich auf die mobile Variante spezialisiert. Laut EU-Norm sind diese maximal vier Meter hoch, zweieinhalb Meter breit, zwölf Meter lang und dürfen 3,5 Tonnen wiegen. Doch warum ausgerechnet Tiny Houses auf Rädern? „Weil die Generation X nicht weiß, wohin sie ihr Leben einmal führen wird. Berufliche Veränderungen können mehrere Wohnortwechsel mit sich bringen. Und ich finde es schwierig, mein Leben, mein Geld und meine Zeit in ein Haus zu investieren, das ich dann verlassen müsste. Mit meinem mobilen Tiny House kann ich endlich in einem Zuhause ankommen, das mich immer begleitet“, meint Brendan.
Klemens Jakob ist bereits vor einem Jahr in seinem Zuhause angekommen. In dem kleinen Ort Isingen auf der Schwäbischen Alb hat er sich im Garten seines Sohnes sein eigenes 18 Quadratmeter-Reich errichtet. In einem fest installierten Tiny House aus natürlichen Materialien, unabhängig vom Wasser- und Energienetz, strebt er ein Leben im Einklang mit dem an, was unsere Erde an Ressourcen bietet. „In der heutigen Gesellschaft sind die Menschen aus dem Leben gerissen“, findet Klemens. Sie hätten keine Verbindung zu der Nahrung, die sie zu sich nehmen, oder zu den Abfällen, die sie produzieren. Dem will er entgegenwirken – indem er seine eigenen Lebensmittel anbaut, bewusst mit dem Abwasser umgeht und Energie aus den Solarpanels auf seinem Dach bezieht. Er beschreibt sein Tiny House als Trojanisches Pferd, mit dem er die Gesellschaft von innen heraus verbessern möchte. Daher freut er sich über die zahlreichen Besucher, die sich Inspirationen auf seinem Hof holen möchten, und bietet auf seiner Website ownworld Hilfe beim Bau des eigenen kleinen Heims an.
Klemens sitzt mit strubbeligen Haaren am Tisch in seinem Wohnzimmer. Sonnenlicht fällt durch die Fensterscheibe. In seiner Hand ein Glas selbst gefiltertes Regenwasser aus der Karaffe. Durch die offene Schiebetür des Bads ist die Trockentrenntoilette sichtbar, direkt daneben befindet sich die kleine, offene Küche. Und wenige Stufen, die gleichzeitig als Regal dienen, führen zum Schlafzimmer hinauf, von dem aus man den Garten überblicken kann. Ein Garten, in dem Klemens‘ Kreativität deutlich wird, die sich durch all seine Lebensbereiche zieht. So hilft der Weltverbesserer, wie er sich selbst beschreibt, nicht nur beim Tiny House-Bau. Er bietet auch zweimal jährlich Workshops im Sargbau an und engagiert sich lokal in der Solidarischen Landwirtschaft.
Klemens mit seiner umweltbewussten, künstlerischen Ader und der nach technischer Perfektion strebende Brendan nähern sich dem Tiny House-Trend aus verschiedenen Richtungen. Zwei Konzepte, ganz klein auf großem Fuß zu leben. Zwei Männer mit unterschiedlichen Hintergründen und Zielen, aber derselben Vision: auf geringer Fläche eine maximale Lebensqualität zu erreichen.