„Diese Atmosphäre hier gibt es an keinem anderen Ort in Stuttgart.“
Markt trifft Luxus
Ich drücke gegen die schwere, altertümliche Metalltür, ehe sie sich mit einem langgezogenen Quietschen öffnet. Ich gehe ein paar Schritte und bin schon mitten im Geschehen: in der über 100 Jahre alten Stuttgarter Markthalle. Als Erstes springt mir die bunte Auswahl eines Obststandes ins Auge. Nicht nur Äpfel, Birnen und Orangen sind hier zu finden, sondern auch Früchte, die den meisten völlig fremd sind. Ich deute auf eine seltsam geformte Frucht und frage die Verkäuferin danach. Sie lacht und antwortet: „Eine Kiwano ist das! Schmeckt wie eine Mischung aus Kiwi, Gurke und Banane.“ Ein bisschen baff bedanke ich mich und gehe weiter. Keine zehn Schritte und ich stehe vor einem Gewürzstand. Ich fühle mich beinahe überfordert bei der Vielfalt, die sich vor mir präsentiert.
Im Augenwinkel sehe ich wie ein etwa 50-jähriger Mann aufgeregt mit einem Händler verhandelt. Einen Moment später verabschieden sie sich eifrig. Ich gehe auf den Herrn zu und unterhalte mich ein wenig mit ihm. Er heißt Mario und ist ein leidenschaftlicher Markthallengänger.
Auf die Frage, wie lange er denn schon an diesen pulsierenden Ort kommt, erwidert er: „Bestimmt schon seit 20 Jahren. Ich bin zwar nicht aus Stuttgart, aber oft in der Stadt. Für mich gehört ein Markthallenbesuch einfach immer dazu.“ Tatsächlich kann Mario von Glück reden, dass er dieser Tradition noch nachgehen kann. Denn in den 70er Jahren gab es den Plan, das Jugendstilgebäude abzureißen. Der Plan ging vor den Gemeinderat Stuttgart und wurde mit dem winzigen Unterschied von nur einer Stimme verworfen. Ein Glück für die Stadt, denn heute zählt die Halle zu den beliebtesten Touristenattraktionen. Aber wieso geht man in die Markthalle und nicht einfach auf den Wochenmarkt? Von der Klimaunabhängigkeit mal abgesehen. Auch das steht für Mario fest: „Es gehört einfach dazu. Diese Atmosphäre hier gibt es an keinem anderen Ort in Stuttgart. Außerdem wechselt das Angebot auf anderen Märkten ständig. Hier kenne ich die Stände und weiß, was ich habe.“
Allein im Erdgeschoss der Markthalle gibt es 33 feste Stände und darüber hinaus noch einige Restaurants. Egal ob Obst, Fleisch, Gewürze oder Mobiliar, alle Gelüste werden befriedigt. Jetzt bin ich neugierig und frage Mario nach seinem Lieblingsstand. Der antwortet wie aus der Pistole geschossen: „Der Fischstand! Weil ich Fisch einfach gerne esse.“ Der Stand, von dem Mario spricht, verkauft allerdings nicht nur Fisch. Er ist gleichzeitig auch eine Austernbar. Dort sitzen Menschen in augenscheinlich teuren Klamotten, unterhalten sich und genießen dazu ihre Austern mit Zitronensaft und einem sprudelnden Getränk. Ein Symbol dafür, dass die Markthalle mittlerweile insbesondere von gut betuchtem Publikum besucht wird.
Dieser Eindruck verstärkt sich mit der Tatsache, dass rund um die Markthalle Boutiquen von Rolex, Louis Vuitton und Co. ihren Platz gefunden haben. Die Frage, was sich denn in den letzten 20 Jahren in der Markthalle verändert hat, kann Mario nicht beantworten. Er habe das Gefühl, alles sei beim Alten geblieben. Klar, vor Kurzem wurde die Halle restauriert und es gibt ein paar neue Stände, doch das Ambiente scheint unverändert. Meine letzte Frage, wie es an diesem Ort wohl in 20 Jahren aussehen wird, kann er wiederum ohne Überlegen sofort beantworten: „Immer noch genauso. Vor 20 Jahren war das Flair das Gleiche wie heute, drum hoffe ich, dass es in Zukunft auch so bleibt.“
Ich bedanke mich für das interessante Gespräch und schlendere noch ein wenig durch diesen so exotisch und doch irgendwie vertraut wirkenden Ort. Als ich die Halle wieder verlasse, bin ich mir sicher, dass es keine weiteren 20 Jahre dauern wird, bis ich zurückkehre.