Das ist Rufmord, weil kein Kunde, der so ein Schreiben bekommt, hat noch Lust, mit mir zu arbeiten.
„Wie das Finanzamt meine Existenz zerstörte“
Die Geschichte beginnt im Jahr 2008. Der Diplompsychologe und promovierte Soziologe Dr. Thomas F. erhält einen Auftrag vom Bayerischen Rundfunk (BR). Als freiberuflicher Trainer und Berater führt er Weiterbildungsprogramme für Mitarbeiter*innen und Führungskräfte durch. Sein Spektrum reicht von Kommunikations- und Konfliktseminaren über Teamentwicklung, Mediation und Coaching bis hin zum Umgang mit Shitstorms und verbaler Aggression. Als Anstalt des öffentlichen Rechts unterscheidet sich der BR jedoch von anderen Auftraggebern: Rundfunkanstalten müssen keine Umsatzsteuer bezahlen.
Als Thomas seine Arbeit beim BR aufnimmt, versichert dieser ihm mündlich und schriftlich, dass er umsatzsteuerbefreit ist. Im Vertrauen darauf stellt Thomas bei jedem Auftrag lediglich sein reines Honorar in Rechnung – ohne die üblichen 19 Prozent Umsatzsteuer aufzuschlagen. Das Finanzamt akzeptiert jedes Jahr den Steuerabschluss und die Arbeit läuft gut. So gut, dass Thomas an die ARD weiterempfohlen wird. Die ARD schickt einen Honorarvertrag – mit 19 Prozent Umsatzsteuer. Ein Jahr später beauftragt ihn auch der WDR und schickt wiederum einen Vertrag ohne Umsatzsteuer. Der WDR lässt jedoch jeden einzelnen Auftrag von der Landesregierung auf die Umsatzsteuerbefreiung prüfen. Drei unterschiedliche Vorgehensweisen für exakt die gleiche Arbeit? Froh um die neugewonnenen Kunden, denkt sich Thomas zunächst nichts dabei.
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Doch dann wendet sich das Schicksal: Im September 2019 führt das örtliche Finanzamt eine Betriebsprüfung durch. Im Fokus stehen die Rechnungen des BR. Im Juli 2020 fordert das Finanzamt insgesamt 20.158,53 Euro Steuernachzahlung. Trotz Einspruch des Steuerberaters. Und trotz der Bescheinigung des BR zur Umsatzsteuerbefreiung.
Die geforderte Zahlung kann Thomas nicht leisten. Aufgrund von privaten Problemen und der Corona-Krise lebt er sowieso schon am Limit. Wie soll er also eine Umsatzsteuer bezahlen, die er nie berechnet und folglich nie erhalten hat? Vom BR kommt keine Hilfe.
Als er nicht bezahlen kann, geht alles sehr schnell: Es folgt der Vollzug, das Finanzamt pfändet sein Konto und kontaktiert seine Kunden: Alle noch ausstehenden Zahlungen seien dem Amt zu entrichten. Das bedeutet für Thomas nicht nur den finanziellen Ruin, sondern zerstört auch jede Chance, wieder als freiberuflicher Trainer ins Geschäft einzusteigen.
Rechtsunsicherheit im Umsatzsteuergesetz
Die Falle, in die Thomas getappt ist, beruht auf einer Rechtsunsicherheit des Paragrafen 4 Nr. 21 des Umsatzsteuergesetzes (UStG). „Dieser Paragraf bringt immer Diskussionen mit den Finanzbehörden. Das ist eine heikle Vorschrift“, berichtet der Steuerrechtsanwalt von Thomas, der hier anonym bleiben möchte.
In der Bescheinigung des BR von der Regierung Oberbayern wird § 4 Nr. 21 a) bb) UStG zitiert. Demnach sind Fortbildungen, die auf eine abzulegende Prüfung vorbereiten, umsatzsteuerfrei – also nur solche Weiterbildungsmaßnahmen, die eine fachliche Qualifikation mit einem Zertifikat bestätigen. Ob hier ein Eintrag in die Bildungschronik oder eine Teilnahmebestätigung genügen, ist jedoch nicht ausreichend definiert. Dass in der Beurteilung von Weiterentwicklungsmaßnahmen Unsicherheiten bestehen, zeigen die unterschiedlichen Vorgehensweisen der Rundfunkanstalten. Die Umsatzsteuerbefreiung wird anscheinend willkürlich pauschaliert.
Steuerpauschalierungen sind für die wirtschaftlichen Tätigkeiten öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten üblich. Der Bundesrechnungshof kritisierte bereits 2013 ungerechtfertigte Steuervorteile, die dadurch entstehen. Er forderte, die mangelnden gesetzlichen Grundlagen zu überarbeiten. Das Finanzministerium sah jedoch keinen Handlungsbedarf.
Quelle: bundesrechnungshof.de
Für den Steuerrechtsanwalt ist die Sachlage jedoch eindeutig: „Meines Erachtens hätten diese Bescheinigungen reichen müssen, damit diese Umsatzsteuern nicht festgesetzt werden.“ Weshalb das Finanzamt diese nicht anerkannte, wäre in einem Finanzgerichtsprozess zu klären. Doch dafür fehlen Thomas die nötigen finanziellen Mittel. Für den Rechtsanwalt legten Freunde zusammen, nach einer Beratung war allerdings klar: das Verfahren würde sich nicht rechnen.
Ich denke, dass das Finanzamt hier rechtswidrig gehandelt hat.
Grenzen der Bürokratie
Rechtlich gesehen, muss hier nachgebessert werden. Den Fehler sieht Thomas aber auch im fehlenden Dialog. Weder er noch der Rechtsanwalt erhielten einen Termin beim Finanzamt.
Ich bin ein ganz normaler Bürger, ich habe keine Steuern hinterzogen oder irgendetwas begangen, was kriminell wäre. Und trotzdem haben sie mich behandelt wie einen Schwerverbrecher.
In Betrugsfällen ist das rigorose Vorgehen des Finanzamtes mit Sicherheit gerechtfertigt. „Ich denke, ich bin da einfach in den falschen Topf geraten“, meint Thomas. Das passiert, wenn Fälle nicht ganzheitlich betrachtet werden. Hierbei handelt es sich um ein strukturelles Problem. So sind die Verfahren im Finanzamt aufgespalten in die Festsetzung und Beitreibung von Steuern. Einmal per Bescheid festgesetzt, egal ob zurecht oder nicht, werden die Steuern vom Vollzugsbeamten beigetrieben – bis nichts mehr zu holen ist.
„Inzwischen ist das sehr technokratisch“, berichtet der Rechtsanwalt. „Fälle werden heute nicht mehr global betrachtet, sondern jeder bearbeitet seine Akte, seine kleine Schublade und ist hier bedacht keinen Fehler zu machen.“ Dieses Silodenken gibt es auch beim BR. Beide Institutionen verfolgen ihre eigenen Ziele, aber funktionieren nicht zusammen. Thomas ist hier zwischen die Fronten geraten.
Pech im Unglück
Im Endeffekt ist Thomas jedoch selbst für seine Steuern verantwortlich. Sein Steuerberater hätte gleich zu Beginn intervenieren müssen. Doch Thomas‘ Verhältnis zum Staat ist von Sorglosigkeit und Vertrauen geprägt. Ursprünglich aus der DDR, kommt er aus einer Planwirtschaft, die den Bürgern keine Eigenverantwortung abverlangte.
Mir war nicht klar, dass da eine Falle ist, wo ich so reinlaufen kann.
Zusammen mit seiner misslichen finanziellen Lage und den fehlenden Einnahmen durch die Corona-Krise, bedeutete das Urteil des Finanzamtes sein berufliches Ende. Für den Rechtsanwalt ist das ein tragischer Fall: „Dr. F. ist hier zwischen sämtliche Mühlsteine geraten. Ungünstiger, schlechter oder blöder kann es einem eigentlich nicht ergehen.“
Wie geht es weiter?
Damit andere Freiberufliche nicht in dieselbe Falle tappen, will Thomas zusammen mit Berufskollegen eine Petition einreichen. Sein Einzelschicksal ist zwar besiegelt, aber sich damit abzufinden, fände er verantwortungslos.
Eine Chance, wieder ins Geschäft einzusteigen, sieht er nicht. Dafür sei er zu alt und die Branche zu eng. Er hofft in Zukunft als Therapeut arbeiten zu können: „Es werden ja noch mehr Menschen krank und leiden, wenn sie so etwas erleben wie ich, oder Ähnliches.“ Auch er leidet, denn ihm wurde neben der Lebensgrundlage, auch der Lebenssinn entzogen. Im Dezember geht Thomas für sechs Wochen in die Klinik wegen Depressionen.
Die Behörden haben das Einzelschicksal, das sie zerstören, nicht gesehen. Sie haben aus einem hochqualifizierten und arbeitswilligen Steuerzahler einen Hartz-IV-Empfänger gemacht.