"Die größte Herausforderung ist nicht die Technologie, sondern die Umsetzung."
Ist Windkraft die Zukunft für Deutschland?
Doktor Professor Po Wen Cheng ist Professor an der Universität Stuttgart und Leiter des Stuttgarter Lehrstuhls für Windenergie im Institut für Flugzeugbau. Er forscht unter anderem an Konzeptentwurf, Systemsimulation und Simulation von Windfeldern für Leistung von Windenergieanlagen. Im folgenden Interview spricht er über die Forschung und Zukunft von Windenergie.
Warum denken Sie ist Windkraft so wichtig als erneuerbare Energie?
Grundsätzlich brauchen wir alle erneuerbaren Energien. Das heißt, sowohl Wind, als auch Sonne, Biomasse und Wellenenergie. All diese Technologien haben einen unterschiedlichen Entwicklungsstand. Was die technologische Reife angeht, sind Photovoltaik und Windenergie am weitesten entwickelt. Windenergie ist eine lokale Energie und fast überall auf der Welt vorhanden. Das sollten wir ausnutzen.
Was ist das größte Problem, womit die Forschung in der Windkraft zu kämpfen hat?
Die Verfügbarkeit der Windenergie ist natürlich wetterabhängig und wie es in der Zukunft aussehen wird, weiß auch keiner. Wir haben im November 20 Grad. Das gibt eine gewisse Unsicherheit für die Prognose. Was wir machen können, ist die Kapazität und den Auslastungsfaktor der Windanlagen zu erhöhen, damit wir weiterhin 24 Stunden Strom haben können. Theoretisch können wir für Onshore-Windenergieanlagen (Windräder auf dem Festland, Anm. d. Red.) einen 40-prozentigen Auslastungsfaktor erreichen, bei Offshore-Energieanlagen (Windräder auf dem Wasser, Anm. d. Red.) erreichen wir bis zu 50 Prozent Auslastungsfaktor. Im Vergleich: Ein Kernkraftwerk erreicht einen Auslastungsfaktor zwischen 70 und 80 Prozent. Ein 100-prozentiger Auslastungsfaktor der Kernkraft kann nicht erreicht werden, weil jedes Werk eine gewisse Wartung bedarf. Außerdem gibt es Zeiten, in denen Kraftwerke nicht verfügbar sind. Durch die hohe Temperatur im Sommer ist die Kühlwassertemperatur ebenfalls hoch. Zwischen kontinuierlichen Kraftwerken wie Atomkraftwerke und fluktuierenden, also nicht konstant produzierenden Kraftwerken wie Windrädern, gibt es noch einen großen Unterschied bei der Ergiebigkeit.
Glauben Sie, dass Deutschland allein mit Windenergie bzw. erneuerbaren Energien unabhängig werden kann?
Also, wenn Sie optimistisch sind: ja. Technisch ist es machbar. Die größte Herausforderung ist nicht die Technologie, sondern die Umsetzung. Vor allem wenn es um den Zeithorizont geht. Sie sind von der Generation „Klimastreik“ (lacht), Sie wissen, wir haben nicht so viel Zeit, das muss alles relativ schnell gehen. Ich denke, das ist das größte Problem. Um ein klimaneutrales Energiesystem zu erreichen, brauchen wir, laut den Energiesystemforschern, circa 220 Gigawatt installierte Leitungen der Windenergie. Momentan haben wir um die 60 Gigawatt. Es muss noch mindestens dreimal so viel gebaut werden. Pro Jahr werden ungefähr ein bis zwei Gigawatt installiert. Zusätzlich werden viele ältere Anlagen, nach ihren 20 bis 25 Jahren Lebenszeit, zurückgebaut. Mit dem Nettozubau sind wir noch weit entfernt von dem, was wir wirklich brauchen.
Ein anderes großes Hindernis werden auch die Umweltschützer*innen und Anwohner*innen sein, die oft dagegen sind, dass Windparks in ihrer Umgebung gebaut werden. Da brauchen wir wahrscheinlich mehr Zusammenarbeit von allen Bürger*innen …
Ich denke grundsätzlich gibt es eine hohe Akzeptanz von Windenergie und erneuerbaren Energien. Etwa 80 Prozent der Bevölkerung befürworten diese Art der Energie. Jedoch sind diese 80 Prozent nicht immer die, die auf dem Land leben. Würde man zum Beispiel auf der Königstraße nach den Meinungen zu Windrädern fragen, werden die meisten positiv reagieren. Doch hier betrifft es die Leute auch nicht direkt, da es weder genug Platz noch ausreichend Wind gibt. Es geht also nicht um die globale Akzeptanz, sondern eher um die lokale Akzeptanz. Es ist gewöhnungsbedürftig, wenn man auf einmal ein Windrad in der Nachbarschaft hat. Also muss daran gearbeitet werden, eine hohe lokale Akzeptanz zu erreichen.
Wie kann man das erreichen?
Ich denke, man muss die Bürger*innen früh in der Planungsphase einbinden. Die Ablehnung kommt dadurch, dass die Bürger*innen sich unbeteiligt und machtlos fühlen. Man sollte ihnen die Möglichkeit bieten, das Layout des Windparks zu beeinflussen. Oft sind Windparks dazu ausgelegt, den größtmöglichen Ertrag zu erzielen. Man sollte bereit sein, einen Teil der Erträge für mehr Akzeptanz aufzuopfern. Außerdem ist es wichtig, der lokalen Bevölkerung einen direkten Nutzen aus der Windkraft zu bieten. Das könnten beispielsweise finanzielle Anreize sein, wie niedrigere Stromtarife. Alternativ könnte ein Steueranreiz für die lokale Bevölkerung gesetzt werden, der der lokalen Bevölkerung attraktiv erscheint – beispielsweise die Sanierung der Grundschule oder des Schwimmbades.
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Was denken Sie, wie weit die Entwicklung der Windenergie in 10 Jahren sein wird?
Das Ziel der Bundesregierung ist es, bis 2030 zwischen 70 und 75 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu gewinnen. Momentan sind das um die 45 Prozent. Von denen werden etwa 20 bis 25 Prozent aus Windkraft gewonnen. Die Windenergie stellt also den größten Teil der erneuerbaren Energien dar. In 10 Jahren werden das etwa 30 Prozent sein. Wenn ich optimistisch sein darf, könnten das 35 bis 40 Prozent sein. Ein weiteres Problem ist aber auch der steigende Strombedarf. Auch wegen der immer stärker aufkommenden Elektromobilität. Der Ausbau von erneuerbaren Energien ist dazu Voraussetzung.
Dieser Beitrag ist ein Teil des Dossiers zum Thema: Deutschlands Energieabhängigkeit. Falls du mehr über die Thematik erfahren möchtest, kannst du den Dossierbeitrag Atomkraft darf nur eine Notlösung sein zum Thema Energiewende lesen.