Hosen runter: Zu männlich für Gefühle
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die häufigste Todesursache in Deutschland. Männer werden dabei im Durchschnitt doppelt so oft Opfer eines akuten Herzinfarkts wie Frauen. Ein Faktor dafür ist vermutlich die männliche Urangst, Gefühle zu zeigen und das damit einhergehende hohe Stresslevel. Wir Männer klappen irgendwann mit Mitte vierzig zusammen, weil wir davor nicht zugeben konnten, dass babyblau eine schöne Farbe ist oder männliche Kleinkinder auch süß sein können. Viele Tabuthemen sind für uns gleich doppelt tabu. Und das haben wir vor allem uns selbst zu verdanken.
Das Schweigen der Männer
Woher kommt diese Angst, Schwäche zu zeigen und innere Problemchen zu offenbaren? Wir Gen-Z's werden uns der Normalität psychischer Erkrankungen immer bewusster und streichen dieses Thema allmählich von der Tabu-Liste. Frauen sind da jedoch oftmals weiter als Männer. Aber warum ist das so? Männer, packt euch Mal an eurem toxisch-männlichen Stolz! Wir können doch nicht ernsthaft zulassen, dass Frauen irgendwas besser machen als wir!? Kommt schon.
Liegt unsere Fake-Unantastbarkeit am evolutionären Trieb und der Rangordnung, die in Männergruppen zwangsläufig entsteht? Haben wir Angst, durch offene Schwäche den Respekt unserer Mitmänner zu verlieren, weil wir alle noch zu viel Höhlenmenschen-DNA in uns tragen? Der jahrtausendelange Rollenbilder-Bullshit hat unser Selbstbild geformt: Mädchen und Frauen müssen beschützt werden, Jungs und Männern müssen dementsprechend die starken Beschützer sein. Und stark ist nur, wer keine schwachen Momente zulässt.
Frauen halten Händchen, Männer den Mund
Wann immer man mit Frauen über Toxic Masculinity redet, kriegt man erklärt, dass sie es ja total mögen würden, wenn Männer zu ihren Gefühlen stehen. Was anderes würde uns ja sowieso niemand abkaufen. Diese Schweigepflicht, an die wir uns alle halten, haben wir uns also selbst auferlegt. Weil das nun Mal die Höhlenmenschenregeln sind, nach denen wir nach wie vor spielen. Dabei wären viele Probleme gar nicht mehr so erdrückend, wenn wir einfach mal die bärtigen Münder aufmachen und sagen würden, wie es uns manchmal geht.
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Wir hätten auch einiges zu bereden: Männer werden öfter Opfer von Gewaltverbrechen, sterben öfter einsam, werden zu einer höheren Wahrscheinlichkeit obdachlos, die Suizidrate ist ebenso höher. Trotzdem sind wir in einer Welt aufgewachsen, in der männliche Gefühle weniger (hörens)wert zu sein scheinen. Frauen wird in unserer Gesellschaft mehr Hilfsbereitschaft entgegengebracht, egal ob im Elternhaus oder am Standstreifen im Falle einer Panne. Vielleicht lernen Frauen sich deswegen auf Parties kennen, gehen sofort tandempinkeln und erzählen sich dabei von ihren Beziehungsproblemen, Arschloch-Exfreunden, Unsicherheiten und Ängsten, während ich jahrelangen Kumpels immer noch jedes Geständnis aus der Höhlenmenschennase ziehen muss. Weil Frauen es gewohnt sind, gehört und umsorgt zu werden. Freundinnen kuscheln an schlechten Tagen miteinander und halten öffentlich Händchen, alles ganz normal. Männer legen für zweieinhalb Sekunden ihre Hand auf die Schulter ihres besten Freundes und ziehen sie dann panisch weg mit dem Gedanken „Oh f*ck, jetzt merken alle, dass ich allen Ernstes jemanden gern hab. Schnell fünf Jägermeister-Shots hintereinander weghauen und 'nen fiesen Scherz machen, um die verlorene Männlichkeit wiederherzustellen!“
Von Feminismus und Schäminismus
Belächeln so viele Männer die Feminismus-Bewegung nicht auch deswegen, weil sie ein bisschen neidisch sind? Weil sie sehen, welche Hebel das Kollektiv in Bewegung setzen kann, wenn man einfach mal die Hosen runterlässt und offen, also wirklich offen, kommuniziert? Und sie dafür nicht die Eier haben? Gen-Z-Frauen tun sich zusammen, um auf Missstände aufmerksam zu machen und sie so für die eigene sowie kommende Generationen zu ändern. Sie können das, weil sie offen miteinander reden, unschöne Momente und Empfindungen miteinander teilen und einander so besser verstehen. Kein Schwein redet über die hohe Suizidrate bei Männern, weil sie selbst es nicht tun. Weil sie befürchten, keine Männer mehr zu sein, sobald sie zu ihren mentalen Tiefs stehen und sich für sie schämen. Zu Zeiten des Feminismus stecken wir Männer weiterhin im Schäminismus fest. Und das, obwohl genau jetzt der richtige Zeitpunkt für ein Umdenken wäre. Die Weibchen unserer Gattung machen gerade vor, wie man zuerst Tabus und dann Stereotypen bricht.
An meine Leserinnen: Weiter so. Ich bin zwar ein bisschen neidisch, aber weiter so. An meine Leser: Geh sofort zu deinem verschlossensten Höhlenmenschenkumpel und drück ihn an dich. Lass ihn auftauen. Flüster ihm diese Kolumne ins Ohr und erzähl ihm, was dich zurzeit bedrückt. Trau dich! Vielleicht macht er dann dasselbe. Und so ersparst du ihm und dir den Herzinfarkt mit Mitte vierzig.
Eine weitere Folge der Kolumne „Hosen runter“ findest du hier!