Heimat auf Zeit?
Von Berlin nach Stuttgart und schneller als gedacht wieder weg. Diese Städte sind nicht die einzigen Zwischenstopps im Theaterleben des Intendanten des Schauspiel Stuttgart, Armin Petras. Dennoch wirkt es, als habe es kein Ort – außer Berlin – geschafft, seine Heimat zu werden. Gegenüber der Stuttgarter Zeitung bezeichnete Petras Stuttgart als den fremdesten Ort Deutschlands. Er verlässt ihn nach fünf Jahren Intendanz am Schauspiel Stuttgart – vorzeitig. Sein Vertrag wäre noch bis 2021 gelaufen. Petras nennt persönliche und familiäre Gründe.
Fluktuation ist kein Einzelphänomen
Ein Intendant ist künstlerischer Leiter des Theaters. Er ist finanziell für das Theater verantwortlich, entwickelt ein künstlerisches Konzept für die Spielzeit und entscheidet über das Engagement des Personals. Viele Intendanten inszenieren zusätzlich auch selbst Stücke am Theater. Der Intendantenvertrag läuft in der Regel fünf Jahre. Nur bei Erfolg wird er verlängert. Mit Beginn der Amtszeit kann der Intendant das komplette Ensemble ersetzen. Er kann Regisseure und Schauspieler für Gastproduktionen einladen. Nicht nur Armin Petras verlässt das Theater früher. Ende April tritt der Intendant des Cottbuser Staatstheaters Martin Schüler zurück, kurze Zeit später Chris Dercon von der Volksbühne Berlin. Warum beenden also immer wieder Intendanten ihr Engagement am Theater frühzeitig?
Chemie zwischen Intendant und Publikum muss stimmen
Ausschlaggebend kann der Ortswechsel sein. An neuen Orten zu leben ist künstlerisch inspirierend und lässt Intendanten spannende Erfahrungen sammeln. Aber es bedeutet auch eine neue Kultur. An Regionalität und Mentalität muss man sich gewöhnen. Sie prägen das Publikum. Und was ist ein Intendant letztendlich ohne sein Publikum?
Heute hier, morgen dort
Im Arbeitsalltag sind Intendanten viel „on the road“. Obwohl die Arbeit am Theater an die Sprache gebunden ist, sind europäische Kooperationen nicht selten. Es werden gemeinsame Produktionen und Festivals entwickelt oder eine Gastinszenierung führt sie in ein anderes Land. Sogar der Gedanke, in einem anderen deutschsprachigen Land in Europa als Intendant zu arbeiten, kommt für viele in Frage.
Burkhard C. Kosminski, zukünftiger Intendant des Schauspiel Stuttgarts, findet die Arbeit mit europäischen Künstlern menschlich und künstlerisch bereichernd. „Jede/r schaut aus der eigenen künstlerischen Tradition und den spezifischen politischen Zusammenhängen heraus auf Theater. Trotzdem vereinen sich die unterschiedlichen Perspektiven und Herangehensweisen in der künstlerischen Arbeit zu einer neuen Idee, einem neuen Entwurf. Das kann man im besten Sinne als gelebte Vision eines vielfältigen Europas bezeichnen.“
Dennoch kann es wegen der unterschiedlichen Lebensweisen bei der Zusammenarbeit gelegentlich Missverständnisse geben. Auch wie andere Nationen Deutschland sehen, spielt eine Rolle. Doch nicht nur auf internationale, auch auf nationale kulturelle Eindrücke muss man sich als Intendant bei einem Ortswechsel einlassen: „Jede Stadt hat ihre eigene DNA. Die muss man zuerst einmal erforschen. Dann entsteht im Zusammenspiel mit den eigenen Erfahrungen, die man von vorherigen Begegnungen mitbringt, etwas Neues.“ Die Art Theater zu machen ist von Stadt zu Stadt, von Land zu Land genauso verschieden wie die Kulturen. „Kein Ort ist wie der andere. Jeder Bürger prägt auf eigene Weise mit seinen Bedürfnissen und Wünschen die Identität einer Stadt“, so Burkhard C. Kosminski.
Theaterglück = Familienunglück?
Das Reisen und der Ortswechsel können für den Intendanten positiv sein, aber nicht unbedingt für den Partner und die Familie. Mit einem Intendanten liiert zu sein, ist kein leichtes Spiel. Entweder man lebt getrennt oder wechselt oft den Wohnort. Intendanten, deren Partner im selben Berufsfeld tätig oder ortsungebunden sind, haben es leichter.
Der letzte Vorhang fällt
Für sein Engagement in Stuttgart musste Armin Petras seine Familie zurücklassen und Stuttgart zu seiner Heimat auf Zeit auserwählen. Mit dem Publikum lief allerdings nicht immer alles glatt. Die Stuttgarter Zeitung berichtete von schwindenden Zuschauerzahlen in der Saison 2015/16, trotz Erfolge wie der zweifachen Nominierung bei den Mülheimer Theatertagen. Nun verabschiedet er sich mit dem Festival „The Future of Europe“. Es findet vom 06. bis zum 10. Juni 2018 statt, mit Künstlern unter anderem aus Athen, Barcelona und Budapest. Petras inszeniert dort die Stücke „1984“ und „Der Scheiterhaufen“. Ein letztes Theaterfest für das Stuttgarter Publikum, dann zieht er weiter.