„Wir wollen der bessere Bio-Supermarkt im Internet werden: einer, der nicht aufgrund von Äußerlichkeiten aussortiert.“
Ein Fall für die Tonne?
Stell dir vor, du stehst in Paris vor 130 000 Eifeltürmen. Stell dir vor, du sitzt auf einer Wolke und siehst 6,5 Millionen Blauwale im kühlen Nass unter dir schwimmen. Und jetzt stell dir vor, dass die Masse, die du gerade vor dir siehst, die Menge an Lebensmitteln ist, die jedes Jahr auf der ganzen Welt weggeworfen werden: 1,3 Milliarden Tonnen.
Vom Erzeuger zum Verbraucher legt Obst und Gemüse in Europa einen weiten Weg zurück. Bevor es im Supermarkt landet, muss es eine Vielzahl an Qualitätsmerkmalen erfüllen: Denn es gibt Normen der Europäischen Union (EU), die festlegen, wie landwirtschaftliche Erzeugnisse aussehen müssen, um in einer bestimmten Handelsklasse verkauft werden zu dürfen.
Die Kartoffel auf dem Acker ahnt natürlich nichts von der Norm und wird – wenn sie dieser nicht entspricht – verfüttert, oft liegen gelassen oder weggeworfen. Obst und Gemüse, das es aufgrund seines Aussehens nicht bis auf die Ladentheke schafft, trägt deshalb einen erheblichen Teil zur Lebensmittelverschwendung von 1,3 Milliarden Tonnen bei. In dieser ohnehin schon großen Zahl tauchen Erzeugnisse, die auf dem Feld liegen bleiben, gar nicht erst auf.
Rund – rot – reif
Das meistgekaufte Obst in Deutschland: der Apfel. Saftig, knackig und schön rot soll er sein. Das schreibt auch die spezielle Vermarktungsnorm der EU vor. Wenn das beliebte Kernobst in der ersten Güteklasse verkauft werden soll, muss es laut Richtlinie „ genügend entwickelt sein und einen ausreichenden Reifegrad aufweisen“.
Die EU-Norm legt fest, dass der Schalenfehler eines Apfels in der Summe maximal einen Quadratzentimeter groß sein darf. Doch durch Kälte- und Frosteinwirkungen kann es bei Äpfeln zu sogenannter Berostung kommen – darauf hat der Erzeuger keinen Einfluss. Anstatt farbiger Schale bildet sich dann ein korkartiges Netz an der Oberfläche. Leichte Berostung darf nur eine Gesamtfläche von einem Fünftel ausmachen und nicht in zu starkem Kontrast zur Grundfärbung der Schale stehen.
Apfelsorten werden in drei Gruppen eingeteilt und müssen je nach Typ einen bestimmten Färbungsgrad aufweisen. Die Sorte Braeburn gehört beispielsweise zur Gruppe B, daher muss mindestens 50 Prozent der Schale einen gemischt-roten Anstrich haben.
Zusätzlich ist ein Mindestgewicht von 90 Gramm Pflicht. Erfüllt er diese Anforderungen nicht, wird außerdem das Verhältnis von Zucker und Wasser bestimmt. Ist ein bestimmter Wert und ein Mindestgewicht von 70 Gramm erreicht, darf auch ein kleineres Kaliber verkauft werden.
Um die Einhaltung kontrollieren zu können, wird jeder Händler, der frisches Obst und Gemüse verkauft, in eine Datenbank eingetragen. Stichprobenartige Kontrollen sollen dafür sorgen, dass Händler die Vorschriften befolgen.
Wozu das Ganze?
Laut dem Deutschen Bauernverband bieten „die Vermarktungsnormen eine Schutzfunktion für die Beteiligten beim Handel und beim Einkauf sowie für den Verbraucher“. Doch weshalb soll man als Verbraucher vor einem zu kleinen Apfel mit Schalenfehler geschützt werden?
Tatsächlich gibt es Vorschriften, die Sinn ergeben: Einen Apfel, der fault oder komisch riecht, möchte niemand kaufen. Einige Regelungen erleichtern dem Händler zudem Transport und Lagerung, aber auch die internationale Vermarktung.
Der Gurken-Mythos
Angeblich müssen Gurken „gut geformt und praktisch gerade sein“, um in einem Supermarkt verkauft werden zu dürfen. Es hat jedoch lediglich bis 2009 eine EU-Norm gegeben, die unter anderem besagte, dass eine zehn Zentimeter lange Gurke maximal um einen Zentimeter gekrümmt sein darf. Seit diese Regelung abgeschafft worden ist, hat sich in den Läden nicht viel getan, da sich gerade Gurken einfacher transportieren und lagern lassen.
„Besser, frischer, regionaler!“
„Die Welt ein Stück nachhaltiger machen“: Das ist das Ziel der Gemüsetüte der Universität Hohenheim. Anfang des Jahres haben dort drei Studierende während eines Projekts die Umfrage mit dem Titel „Gesunde Macke“ durchgeführt. 93 Prozent der rund 1.000 befragten Studierenden gaben an, dass sie Lust auf eine Überraschungstüte haben. Die kompostierbare Papiertüte wird in Zusammenarbeit mit einem Bioland Gemüsehof aus Filderstadt entstehen. Gefüllt mit saisonalen Bodenschätzen werden darin zu kleine Salatköpfe und Co. auf dem Campus verkauft.
Das Projekt wurde unter Leitung der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Vanessa-Emily Schoch und den Studierenden Anna-Lena, Maximilian und Joshua durchgeführt. Wir haben Joshua gefragt, was er über krummes Gemüse denkt:
Die Tüte werden sich nur Studierende der Universität Hohenheim bestellen können. Für alle anderen gibt es alternative Möglichkeiten, um der Lebensmittelverschwendung entgegenzuwirken.
Drei junge Männer aus München haben ein Unternehmen gegründet, das an Lebensmitteln verdient, die ansonsten in der Tonne landen würden. Getreu dem Motto „Wer is(s)t schon gern normal?“ hat man durch ETEPETETE die Möglichkeit, sich jede Woche eine Bio-Kiste mit B-Ware zukommen zu lassen. Das Obst und Gemüse wird in Kooperation mit verschiedenen Bauernhöfen zusammengetragen. Ab 20 Euro kann man so in den Genuss von biologischen Produkten kommen und gleichzeitig seinen Teil zu Nachhaltigkeit beitragen.
Allgemein gilt: Augen offen halten. Man kann bereits in einigen Supermärkten B-Ware günstiger kaufen. Initiativen und Apps wie foodsharing oder TooGoodToGo bieten die Möglichkeit, bereits verarbeitete Lebensmittel vor der Tonne zu retten.
Zögerst du noch oder rettest du schon?