Media Night 4 Minuten

Filmprojekt “Habt ihr Den gesehen” - zwischen Realität und Visual Effects

Abbildung von einem Teil der Filmcrew während des Drehs
Communication is key - Über eine direkte Absprache oder auch das Walkie-Talkie. | Quelle: Luca Stör
01. Juli 2024

Unsere Autorin Amy Hilbrig war als Komparsin bei einer ganz besonderen Kurzfilmproduktion von Studierenden dabei und berichtet von ihren Erfahrungen. Worum es in dem Film geht und wie ein solcher überhaupt entsteht, lest ihr hier.

Ein Obdachloser wühlt auf der Suche nach Pfandflaschen durch Mülleimer vor dem Gebäude der Uni Stuttgart. Damit sind viele von uns täglich konfrontiert. Was ungewöhnlich ist: Um den verwahrlost aussehenden Mann steht ein Drehteam von etwa 20 Leuten. Die Szene wirkt erschreckend echt. Dennoch handelt es sich bei dem Obdachlosen um einen Schauspieler und bei dem Projekt um eine Kurzfilmproduktion von Studierenden der HdM. 

Der Kurzfilm „Habt ihr Den gesehen“ dokumentiert auf sensible Weise das Leben eines Obdachlosen in einer „brutalistischen Großstadt“, am Rand der Gesellschaft. Die Besonderheit: Die Großstadt, in der der Film spielt, wurde komplett mit visuellen Effekten erzeugt und später in den Hintergrund eingefügt. Das Ziel der Studierenden ist, mehr Aufmerksamkeit auf das Thema Obdachlosigkeit zu lenken – zwar in einem fiktiven Szenario, aber so feinfühlig und authentisch dargestellt wie möglich. 

Am Set bin ich, Amy, beeindruckt von der Professionalität des Dreh-Teams. Kamera, Ton, Regie, alles scheint perfekt aufeinander abgestimmt zu sein. Die zahlreichen Mitglieder des Teams benutzen genau dasselbe Equipment wie eine große Filmproduktion. Mit dem Ausruf „Und Bitte“ fangen wir an, eine gemütliche Konversation auf einer Bank zu führen, allerdings ohne wirklich zu sprechen, sodass der eigentliche Ton nicht überlagert wird. Wir werfen dem „Obdachlosen“ immer wieder verachtende Blicke zu, denn das ist unsere Regieanweisung.

Der Schauspieler ist vollkommen realistisch geschminkt und aus der Entfernung nicht von einem „echten“ Wohnungslosen zu unterscheiden. Er verrät mir, dass er in den Drehpausen die Erfahrung gemacht hat, von Passanten wegen seines Aussehens gemieden zu werden. Ich frage ihn, ob ihm das geholfen hat, in die Rolle zu finden. Er nickt: „Ich habe dadurch aber auch gemerkt, wie stark obdachlose Menschen wirklich diskriminiert werden.“

In der nächsten Szene werde ich zum Star: Meine Stiefel klingen wie das typische Schuhgeklacker, das man aus Filmen kennt und werden somit zum Liebling des Ton-Teams. Immer wieder laufen wir in dieselbe Richtung, es soll so aussehen, als würden alle Menschen nur an dem Obdachlosen vorbei hasten. Nach einigen Stunden Dreh sind wir, die Kompars*innen, fertig das Team aber noch lange nicht.

Eine Produktion von A bis Z

Ausgehend von meinen Erfahrungen hat sich unser Autorinnen-Team gefragt: Wie entsteht eigentlich ein Film? Wir als Zuschauer*innen sehen auf der Medianight das Ergebnis und damit nur den kleinsten Teil einer solchen Produktion. Aber welche Menschen, Tätigkeiten und wie viel Zeit braucht es, bis wir einen Film vor uns auf der Leinwand sehen?

Eine Antwort darauf liefert uns Luca Stör, der die Studioleitung für den Film „Habt ihr Den gesehen“ übernommen hat. Er studiert Audiovisuelle Medien im vierten Semester.  Seine Aufgabe war die Kommunikation im Team und die Verteilung von Aufgaben. 

Spoiler: Einfach ist hier gar nichts. 

links: Hauptdarsteller der mit einem Licht angestrahlt wird; rechts: Filmcrew arbeitet am Set
links: Der Hauptdarsteller in seiner Rolle als Obdachloser, rechts: Von der Leitung bis zum Setdesign - Jeder ist hier wichtig.
Quelle: Luca Stör

Klappe, die Erste

Bis die Studierenden diesen Satz sagen können, vergehen eineinhalb Semester. Alles beginnt mit der Planung – die Studioproduktion selbst beginnt im vierten Bachelorsemester des Studiengangs Audiovisuelle Medien, die Planung schon im dritten. Ideen werden entwickelt, verworfen und verfeinert. Eventuell muss sich das Projekt-Team Hilfe aus höheren Semestern und anderen Studiengängen holen. 

Teamwork makes the dream work

Bevor die Arbeit im vierten Semester losgehen kann, muss ein Team entstehen. Die Aufgabe der Studioleitung ist es, Menschen, die sich noch nicht gut oder gar nicht kennen, zusammenzubringen. Das bedeutet, auch Spieleabende oder gemeinsame Aktionen zu organisieren. Mitte des Semesters steht die Drehwoche an. Davor muss an alles gedacht werden – Finanzen, Drehgenehmigungen, Storyboards, Drehpläne, Catering, Regie, Kamera, Licht, Aufsichtspersonen für die Nachproduktion, Setdesign, Kostüm und Maske. Alle Departments müssen schnell, aber auch untereinander zusammenarbeiten. Die Herausforderung: Kommunikation. Bei einem solchen Projekt, an dem etwa 20 Leute gleichzeitig arbeiten, muss man Kompromisse finden und um Hilfe bitten. Kanäle hierfür sind WhatsApp und Discord, aber „das klassische Gespräch funktioniert in den meisten Situationen am besten“, findet Luca Stör. Das Ziel: Eine angenehme und lehrreiche Zeit für alle. „Mit der Zeit wächst man als Team immer mehr zusammen und lernt die Stärken der anderen kennen. Man kann immer jemanden fragen, wenn man irgendwo Probleme hat und schnappt dadurch echt viel Wissen auf”, so der Produktionsleiter.

Vom Papier auf die Leinwand

In nur fünf Drehtagen wurde das Material für "Habt ihr Den gesehen" aufgenommen. Während auf dem Gelände der Uni Stuttgart gedreht wird, Skipte eingeübt und Scheinwerfer eingestellt werden, beginnt schon der nächste Teil der Arbeit. Die Zuständigen für die visuellen Effekte (VFX) und Computer Graphics (CG) entwerfen die Großstadt als 3D-Modell.  Am Ende werden die erstellten 3D Inhalte mit dem Videomaterial zusammengefügt. Die Besonderheit an dem Film: 

„Wir sind die erste Studioproduktion, die einen Dokumentarischen/Mockumentary Ansatz wählt und diesen mit VFX kombiniert.“

Luca Stör

Was braucht es, um einen Film zu erstellen? Wir haben herausgefunden: Viel, aber vor allem ein motiviertes Team, das zusammenhält.

VFX, Kurzform von "visual effects” sind digitale Effekte in Filmen und Videos, die in der Nachbearbeitung realisiert werden. VFX sind der Gegensatz zu Special Effects (SFX), die schon während dem Filmdreh umgesetzt werden. Die Studierenden verwenden das Programm “Houdini”, welches durch 3D-Computergrafik hilft, digital erzeugte Bilder und Animationen zu erstellen. Mithilfe des “BuildingGenerator” erhalten die Gebäude Layout, Textur, Schatten und Beleuchtung.