Alltagssituationen

Ehrlich sein oder Klappe halten?

Nett und zuvorkommend sein sind gute Tugenden – aber nicht immer sind sie die richtige Entscheidung.
15. März 2023
Unser Leben, ja es kann so unendlich schmerzhaft sein. Unaufhaltsam hetzen wir von einer Peinlichkeit zur nächsten – in der Regel mit großem Erfolg. Eine Kolumne, die dieses Minenfeld aus Fettnäpfchen mit all seinen wunderbaren Dilemmata etwas genauer ins Visier nimmt.

Das erste Date. Es soll ein schönes und erinnernswertes Ereignis sein. Mit Glück ist es das  – mit weniger Glück aber auch schnell das perfekte Setup um tief in der Trickkiste der Peinlichkeiten zu kramen. So wie bei meiner Wenigkeit. Wobei?

Aber gut, zur Story.

Wir trafen uns bei mir in der Stadt zum Kaffeetrinken. Es sollte das Kaffeehaus werden. So ein „hipper“ Laden in der Innenstadt, an den Mittagen überflutet von Öko-Müttern und „Wannabe-Influencer*innen“. Wenn man so will unser Provinz-Starbucks.

Dort saßen wir also, wartend auf unseren Iced-Karamell-Kaffee mit aufgeschäumter Kokosmilch (oder so in die Richtung). Das Eis zwischen uns war bereits gebrochen. Herzlich unterhielten wir uns – so gut es halt möglich war zwischen dem ganzen Babygebrüll – über die wunderbarsten Themen. Man kennt es ja, die intimsten Oberflächlichkeiten werden ausgetauscht und man kommt sich danach meist vor, als kenne man sich bereits mehrere Stunden (oh, wait). Naja – so weit, so normal würde ich behaupten. Und im Ernst, ganz schlecht lief es zwischenmenschlich wirklich nicht, zumindest so weit ich das als Hobbypsychologe einschätzen konnte. Dann aber kam der Moment, der alles ändern sollte. Dafür wichtig zu wissen ist, dass wir davor noch Frühstück bestellt hatten. Ich eine Açai-Bowl (wenn ich schonmal in so einen trendigen Laden komme, muss das ja genutzt werden), sie ganz klassisch Rührei mit Schinken. Und Schnittlauch. Oh Gott, muss das denn gerade jetzt passieren? Wieso ein Frühstück mit Schnittlauch bei 72 verschiedenen (schnittlauchlosen!!!) Alternativen?!

„Eine Situation, die ich nicht meinen schlimmsten Feinden wünsche.

Was war passiert? Sie hatte ihr Rührei also verputzt und die Welt war in Ordnung, doch es kam, wie es kommen musste. Statt in ihre drifteten meine Augen nun zusehens eine Etage tiefer. Ich war wie gefesselt von diesem Anblick. Meine Gedanken spielten verrückt – dieses kleine grüne Ding zwischen ihren Zähnen, es ließ mir keine Ruhe mehr. Sollte ich es ihr sagen? Nein, nachher fühlt sie sich unwohl. Ich will sie ja nicht beim ersten Treffen bloßstellen. Aber Moment mal – stelle ich sie bloß, wenn ich es ihr sage oder stelle ich sie bloß, wenn ich es ihr nicht sage und sie später nichtsahnend durch die Stadt spaziert? Eine Situation, die ich nicht meinen schlimmsten Feinden wünsche.

Die psychologische Antwort auf die Frage, warum es uns so schwerfällt in so einer Situation ehrlich zu sein, ist die Angst vor Ablehnung. Wir möchten niemandem zur Last fallen und haben Angst vor Auseinandersetzungen. Interessanterweise aber nur bei Fremden. Hätte ich das Mädchen nun schon mehrere Jahre gedatet, wären die Sorgen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr so groß. Das liegt daran, dass wir dann weniger bemüht sind, einen guten Eindruck zu machen.

Ehrlichkeit währt am längsten – dachte ich

Meine Blicke aber konnten sich weiter nicht lösen und am Ende setzte ich alles auf eine Karte. Ich handelte entgegengesetzt zur psychologischen Norm von oben. Nicht weil ich ein Arschloch bin, sondern weil ich ihr ein Gefallen tun wollte. Keine so schlaue Idee wie sich später rausstellen sollte. Zunächst war alles weniger tragisch und wir lachten drüber. Das Lachen aber verwandelte sich schnell in eine peinliche Stille. Und so wurden die letzten Minuten dieses Dates zu den längsten. Danach ward sie nie wieder gesehen.

Schwer zu glauben, dass am Ende ein lächerliches Stück Schnittlauch unserer Zukunft einen Strich durch die Rechnung gemacht haben soll. Dennoch habe ich meine Lektion gelernt: Zur Sicherheit alles in meiner Macht Stehende versuchen, um meinen Gegenüber von diesem grünen Kraut fernzuhalten. Ehrlich und zuvorkommend werde ich dagegen weiterhin sein, denn wenn es wirklich das ist, was das Ganze nach dem ersten Date zum Scheitern bringt, brauche ich auch kein zweites.