Menschenaffen

Die Affenflüsterin

Bea Jarczewski kümmert sich seit 25 Jahren um das Affenrevier in der Stuttgarter Wilhelma.
28. Juni 2019

Seit mehr als 60 Jahren leben Menschenaffen in der Stuttgarter Wilhelma. Jeden Tag kommen unzählige Besucher, um die Primaten zu bestaunen. Hinter den Kulissen sorgen Bea Jarczewski und ihr Team dafür, dass es den Tieren an Nichts fehlt. Zwischen den Tierpflegern und den Menschenaffen ist über die Jahre eine ganz besondere Verbindung entstanden.

Blauer Himmel und strahlende Sonne über der Stuttgarter Wilhelma. Gegen Mittag hat es bereits mehrere hundert Besucher jeden Alters in den Zoo gelockt. Im Herzen der großen Grünanlage im Stadtteil Bad Cannstatt befindet sich das Affengehege. Es ist 13 Uhr – die Gorillafütterung steht an. Zahlreiche Besucher stehen gedrängt an den Scheiben rund um das Außengehege. An den Zuschauern vorbei, mit großen Eimern voller Gemüse, gehen drei Tierpfleger auf ein Podest, von dem man das ganze Areal beobachten kann. Die Gorillas schauen auf und versammeln sich rasch in der freien Fläche vor den Pflegern. Von wegen nur Bananen: Paprika, Karotten und Sellerie stehen heute auf dem Speiseplan. In einem hohen Bogen fliegt das Gemüse nach und nach ins Gehege.

Dieses Jungtier hat einen gemütlichen Platz für einen Mittagsschlaf gefunden.
Kibo ist das Gorillamännchen (auch Silberrücken genannt) des Harems und darf sich als Erster bedienen.
Kibo hat seine Karotte noch nicht einmal aufgegessen und wartet schon auf weiteres Gemüse.
Ein Jungtier auf der Suche nach Karotten, Sellerie und Paprika.

Die Pfleger achten stets drauf, dass jeder der elf Gorillas in der Wilhelma ausreichend zu essen bekommt. Im Rampenlicht der Fütterung steht Kibo. Das 29 Jahre alte Gorillamännchen ist der Silberrücken des Harems. Er ist der Erste, der sich am frischen Gemüse bedient. Seelenruhig sitzt er aufrecht im Gras und beißt genüsslich in eine Paprika, während er eine weitere in seinen Armen bunkert. Nach und nach trauen auch die Weibchen und Jungtiere des Harems sich etwas von dem Gemüse zu schnappen. Ein Jungtier stolziert aufrecht mit beiden Händen voller Gemüse über die Wiese, ein anderes ist schon tief und fest im Mittagsschlaf auf dem Rücken seiner Mutter. Nach der Fütterung steigen die Tierpfleger von dem Podest und stellen sich zu den Besuchern, um Fragen rund um die Affen in der Wilhelma zu beantworten. Eine von ihnen ist Bea Jarczewski. Sie ist die Chefin des Affenreviers und arbeitet bereits seit 1994 als Tierpflegerin in der Wilhelma. Der Entschluss sich um die Menschenaffen zu kümmern stand schon früh fest: „Damals durfte man den Wunsch äußern, wo man gerne hin will. Bei mir war es immer schon das Affenrevier“, erzählt Bea. Ihr Tag mit den Affen startet bereits um 6 Uhr morgens. Zuerst sucht sie ihre Lieblings-Gorilla-Dame 'Undi' auf. Sobald die beiden sich sehen, brummelt Undi lautstark und Bea brummelt in Affenlauten zurück. „Das ist so unser "Guten Morgen". Man nimmt schon etwas diese Körpersprache in der Kommunikation an“, schmunzelt die Tierpflegerin.

Bereits seit 1958 leben Menschenaffen in der Wilhelma. Die ersten Jahre bewohnten die Primaten noch kleine Käfige, bis dann 1973 das inzwischen alte Menschenaffenhaus eröffnet wurde. Nach 55 Jahren Erfahrung in der Haltung von Menschenaffen und den aktuellen Haltungsrichtlinien der Europäischen Erhaltungszuchtprogramme (EEP) wurde 2013 eine ganz neue Anlage für die Gorillas und Bonobos eröffnet. Aktuell leben dort elf Gorillas und 19 Bonobos. Bei der Umsiedlung spielten die Tierpflegerinnen und Tierpfleger eine ganz wichtige Rolle. „Die Affen wussten ja, dass es eine neue Umgebung ist, aber die Pfleger blieben alle gleich. Man hat es einen paar Affen angemerkt: Okay neues Haus, aber du bist da, also alles halb so schlimm“, erinnert sich Bea.

Affe oder Menschenaffe? Das sind die Unterschiede!

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| Quelle: Wilhema Stuttgart

Bis vor knapp drei Jahren hatte die Wilhelma auch noch eine eigene Aufzuchtstation für Waisen oder Affenbabys, die von der Mutter verstoßen wurden. Zwei Pfleger haben sich abwechselnd in zwölf-Stunden-Schichten um die Neugeborenen gekümmert. Diese Schichten waren auch für Bea nach jahrelanger Erfahrung immer wieder etwas Besonderes. „In den zwölf Stunden baut man einfach Wahnsinniges auf! Sobald ich zwei bis drei Mal die Flasche gegeben habe, schießt bei mir die Milch ein“, scherzt sie. Spätestens da baue man eine Bindung zu den Jungtieren auf. Es ist ein schmaler Grat für die Pfleger, die Affenbabys nicht wie ihre eigenen zu sehen. Sollte ein Affe nach der Aufzucht nicht von dem Harem angenommen werden, kann es in einen anderen Zoo abgegeben werden. „Wir versuchen natürlich die Handaufzucht nicht zu sehr zu vermenschlichen. Später geben wir noch einen Menschenaffen in einen anderen Zoo, der keine Ahnung hat, dass er überhaupt ein Gorilla ist“, ergänzt sie. Doch immer weniger Affenweibchen haben ihre Neugeborenen verstoßen, sodass die Aufzuchtstation geschlossen werden konnte. Das liegt mitunter an der Arbeit von Bea und ihrem Team, die alles daransetzen, dass eine natürliche Mutter-Kind-Bindung unter den Affen entsteht.

„Wir versuchen natürlich die Handaufzucht nicht zu sehr zu vermenschlichen. Später geben wir noch einen Menschenaffen in einen anderen Zoo, der keine Ahnung hat, dass er überhaupt ein Gorilla ist.“

Bea Jarczewski, Tierpflegerin

Mehr als 300 Tage im Jahr sind die Tierpflegerinnen und Tierpfleger mit den Affen umgeben. Das prägt sowohl die Menschen, als auch die Affen. Bea berichtet, dass sie in ihrer Zeit als Tierpflegerin mal ein Jahr im Ausland verbracht hat. Nachdem sie wiederkam, setzte sie sich zusammen mit den Besuchern an die Scheibe neben ihr Lieblingsweibchen Undi. Sie erzählt es, als sei es gestern gewesen: „Wir hatten einfach nur Augenkontakt, sie hat sofort gemerkt: Dich kenn ich! Das war wirklich ein magischer Moment.“ Vor zwei Jahren spielte sich eine ähnliche Situation ab. Eine Frau aus Afrika kam zu Besuch, die das älteste Bonobo-Weibchen einst selbst aufgezogen hatte. Die beiden haben sich knapp 40 Jahre nicht gesehen, doch standen plötzlich nur wenige Meter voneinander entfernt. Die beiden tauschten ein paar Blicke aus. Erstmal geschah nichts. Aber was dann passierte, sorgt bei Bea Jarczewski heute noch für Gänsehaut. Die Frau begann mit dem Affen zu sprechen, genauso wie früher. Plötzlich gab es kein Halten mehr, das Weibchen erkannte die Stimme ihrer Pflegemutter sofort und lief strahlend auf die Frau zu. So etwas passiert häufiger in der Stuttgarter Wilhelma. Ein ergreifender Moment – vor allem für die Tierpfleger.

Mittlerweile sind die großen Eimer leer. Die Gorillas haben das ganze Gemüse aufgegessen und die Pfleger alle Fragen der Besucher beantwortet. Für Bea Jarczewski ist die Arbeit mit den Affen mehr als nur ein Beruf. „Morgens einstempeln, abends wieder ausstempeln, das geht hier einfach nicht“, sagt sie. Der Job lebe davon, dass eine ständige Bindung zu den Affen besteht. Auf der Arbeit, zu Hause oder im Urlaub – Immer! „Das hat alles mit Vertrauen zu tun, es ist ein Gefühl, dass man halt in sich haben muss“, stellt die Tierpflegerin fest.