Der erste Eindruck

Wenn die Chemie stimmt

Bei spontaner Sympathie spielt unsere visuelle Wahrnehmung oft eine große Rolle
17. Mai 2019

Zwischen „Ich kann dich nicht riechen“ und der „Liebe auf den ersten Blick“ liegt noch mehr als reine biologische Willkür. Wir werden täglich mit ersten Eindrücken konfrontiert und denken dennoch so gut wie nie bewusst darüber nach.

In einen durchschnittlichen S-Bahn Waggon passen ungefähr 166 Menschen. Das heißt, schon an einem ganz gewöhnlichen Dienstagnachmittag gewinnen wir unzählige erste Eindrücke und vergessen diese wieder. Doch wieso gibt es den ersten Eindruck überhaupt und wie wird er gebildet?

Nur einmal Blinzeln

In nur wenigen hundert Millisekunden, so lange dauert ungefähr ein menschliches Blinzeln, bildest du dir unterbewusst einen ersten Eindruck über einen anderen Menschen. Wenn wir uns mehr Zeit für diese erste Einschätzung nehmen wird unsere Wahrnehmung zwar differenzierter, stimmt aber meistens mit der ersten Bewertung überein.

Die Entstehung des ersten Eindrucks

Die Reize, die wir durch unsere Sinnesorgane aufnehmen, werden zunächst einmal an unser Gehirn gesendet und dort verarbeitet. Um aus nur wenigen Informationen eine so komplexe Bewertung zu erstellen, arbeiten verschiedene Gehirnregionen zusammen. Wie diese heißen und wofür sie zuständig sind, erfährst du, wenn du über das Bild fährst.

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Beim ersten Eindruck werden verschiedene Gehirnregionen angesprochen | Quelle: Leonie Stieber

Diese biologische Erklärung zeigt, obwohl sie noch sehr vereinfacht ist, schon einige Zusammenhänge auf. Versetzen wir uns nun zurück in die Bahn, wissen wir aber immer noch nicht, warum wir uns auf bestimmte Plätze lieber setzen.

Der Stuttgarter Psychologe Herr Hammerstein hat dank seiner langen Berufserfahrung in der analytischen Psychologie schon viel mit ersten Eindrücken zu tun gehabt.

Womit hat es zu tun, neben wen wir uns in der Bahn setzen?

„Mit unserer persönlichen Geschichte“, sagt Herr Hammerstein. In der Psychologie ist der erste Eindruck eng mit unseren Erfahrungen und unserer Beziehungsgeschichte verbunden. Wenn Verletzungen oder vielleicht sogar missbräuchliche Erfahrungen vorliegen, gehen in unserem Kopf kleine Alarmanlagen an, die unseren ersten Eindruck beeinflussen können.

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass negative Einschätzungen für unser Gehirn eine entscheidende Rolle spielen. Sie werden eher wahrgenommen als positive Einschätzungen. Laut einer Studie lösen zum Beispiel Bilder von Wahlkandidaten, die als hinterlistig oder bedrohlich eingestuft werden, eine starke Aktivität in der Großhirnrinde aus. Diese negativen Erfahrungen können oft auch über Geräusche, Töne oder Gerüche in Erinnerung gerufen werden und müssen gar nicht visuell präsent sein, ergänzt Herr Hammerstein. Personen mit weniger negativen Erfahrungen nehmen also auch seltener negative Eigenschaften von anderen wahr.

 

Gibt es die „Liebe auf den ersten Blick“?

Es gebe Situationen, in denen man eine spontane Sympathie gegenüber anderen Menschen verspüre, ohne diese erklären zu können. Dabei spiele oft das Sehen eine dominante Rolle. Doch auch hierbei komme es auf die individuelle Wahrnehmung an. Während manche Menschen sich stark vom äußeren Erscheinungsbild leiten lassen, reagieren andere zum Beispiel stärker auf die Stimme einer Person. Herr Hammerstein spricht hierbei von einer Typologie, die es in der analytischen Psychologie gebe und mit deren Hilfe verschiedene Wahrnehmungstypen bestimmt werden können. Als Beispiel nennt er einen extrovertiert denkenden Menschen, der vielleicht mit jemandem aus der Gegenposition, einem extrovertiert fühlenden Menschen, weniger klarkommt. Beide sind zwar extrovertiert, das heißt, sie sind aufgeschlossen und kontaktfreudig. Dennoch bewertet die eine Person eine Situation vielleicht eher nach ihrem Bauchgefühl, während sich die andere Person ausschließlich auf Fakten und Logik bezieht. Umgangssprachlich könne man dazu wohl sagen, dass „die Chemie nicht stimmt“.

Eine bewusste Beeinflussung des ersten Eindrucks sei schon wesentlich schwerer. In seiner Rolle als Psychologe versuche Herr Hammerstein ganz bewusst, seine eigenen Erfahrungen und Emotionen als solche zu erkennen und diese nicht auf seine Patienten zu projektieren. Es wird das „Prinzip der Übertragung und der Gegenübertragung“ genannt. Das Ziel dabei ist herauszufinden, ob die Gefühle, die der Gegenüber in einem auslöst etwas mit dessen Ausstrahlung oder vielleicht viel mehr mit der eigenen Biografie zu tun haben. Um das zu reflektieren, brauche man aber oft eine lange Ausbildung. Abgesehen davon seien unsere Emotionen und Einschätzungen ein Schutzmechanismus unseres Körpers. Ein Mechanismus, der zwar nicht generalisiert werden solle, von dem es aber Sinn mache, ihn wahrzunehmen und ihm eine gewisse Bedeutung zuzumessen.

Wie schätzt du dein Gegenüber ein? Schaue dir das folgende Video an, um an einem kleinen Selbstexperiment teilzunehmen.

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