Generationen 3 Minuten

Das Sonntagabend-Ritual

Tatort auf Fernsehen vs. Streaming-Dienste
Früher war alles besser ... oder? Tatort-Abende vs. Streaming Dienste. | Quelle: Marie Hähnle
02. Jan. 2025

Früher war alles besser … oder? Ne, nicht immer – aber manchmal. Vielleicht haben aber beide Seiten ihre Vorteile. Ein Generationen-Check der Gen Z und ihrer Eltern, in dem Serienkonsum entweder heilig oder einfach nur flexibel ist.

Sonntagabend. Ich liege eingekuschelt im Bett, den Laptop auf den Knien und Gossip Girl läuft auf Netflix. Neben mir liegt eine halb leere Tüte Chips. Mein Handy ist griffbereit für den Moment, in dem mich der Serienplot mal nicht fesselt – dann kann ich auf TikTok abschweifen. Gerade beginnt die fünfte Folge meines privaten Upper-East-Side-Marathons, als es aus dem Untergeschoss dröhnt: das epische, unüberhörbare Intro vom Tatort.

Es ist Sonntag, 20:15 Uhr, Primetime der Ü40-Jährigen und das Wohnzimmer meiner Eltern verwandelt sich wieder in die Tatort-Zone. Popcorn und Tee sind bereit. Gespräche? Unvorstellbar. Lachen? Undenkbar. Selbst das Knacken eines Chips könnte in diesem Moment als Sünde gewertet werden. Der Krimi ist ein unantastbares Ritual – jede Woche zur gleichen Zeit.

Flexibilität vs. feste Rituale

Dahingegen verläuft mein Serienmarathon vollkommen flexibel: eine Episode nach der anderen, ganz nach meinem Tempo. Streamingdienst? Natürlich. Ich könnte im Bett schauen, im Bus oder auf dem Balkon. Falls ich die Serie unterbreche, mache ich einfach später weiter oder lasse sie durchlaufen – endlos. Wenn ich dann aus Gossip Girl aussteige, kann ich nach Lust und Laune mit Stranger Things weitermachen. Für mich ist das Alltag, für meine Eltern irgendwie immer noch eine Art Kulturschock. Für sie bleibt das Fernsehen ein festes Ereignis: wöchentlich und pünktlich zur besten Sendezeit. 

Und diese fixen TV-Rituale spiegeln auch ein bisschen die Generationen wider: Laut einer Studie der ARD Media ist lineares Fernsehen für die Generation meiner Eltern und älter das liebste Format. Bei uns in der Gen Z dominiert hingegen das Streaming – wir schauen, was, wann und vor allem wie lange wir wollen. Es ist Entertainment on demand, ganz ohne dieses – sagen wir mal – nostalgische Warten auf die nächste Folge.

Bauer sucht … Streaming

Letztens aber habe ich gestaunt: Plötzlich ist Streaming auch ins Wohnzimmer meiner Eltern eingezogen – zumindest auf „Tatort-konforme“ Weise. Vor ein paar Wochen erzählte mir meine Mutter ganz aufgeregt, dass man „Bauer sucht Frau" eine Woche früher streamen kann (ja, Bauer sucht Frau!). Nun bingen sie zwar nicht, aber für meine Eltern zählt jede Minute einer vorab geschauten Episode als kleiner Sieg über die Streaming-Welt. Und sie haben auch eine neue Streaming-Regel eingeführt: Maximal zwei Folgen am Tag, bitte keine ganze Serien in einer Woche und schon gar nicht Sonntagabends – da bleibt es beim Klassiker Tatort.

Netflix und Co. können sie aber nicht viel Gutes abgewinnen. Meine fünf Staffeln Gossip Girl an einem Wochenende werden als „deutlich überzogen“ abgetan. In den Augen meiner Eltern fehlt mir anscheinend dieses gewisse Pflichtgefühl. Aber die Idee, eine Woche auf eine Fortsetzung zu warten, ist für mich wie jede Woche nur ein Kapitel aus einem Buch lesen zu können.

Zwei Generationen, eine Couch

Doch letztens, in einem schwachen Moment, habe ich mich auf das Ritual eingelassen: Sonntag, 20:15 Uhr, mit Eltern und Tee auf dem Sofa. Die Tatort-Macher hatten sich scheinbar viel Mühe gegeben. Und ich muss zugeben, dass ein kleiner Teil von mir auch neugierig war. Eineinhalb Stunden und ich habe mein Bestes gegeben – von der Flucht aus der Wohnung bis zum wilden Klicken am Handy habe ich mich zusammengerissen. Nur um zu verstehen, was meine Eltern an dem Krimi so fasziniert.

Als es 21:45 Uhr war und die Spannung langsam abklang, saßen wir noch eine Weile zusammen und diskutierten tatsächlich, wer nun schuldig war. Oder vielmehr, ob es sich lohnt, nächste Woche wieder einzuschalten. Meine Eltern sahen sich an und nickten zufrieden, während ich wieder nach meinem Handy griff. Gossip Girl hat schließlich auch noch auf mich gewartet.

Die Generationenunterschiede bleiben. Für meine Eltern ist das Fernsehen ein Ritual, auf das sie sich wöchentlich freuen. Für mich hingegen bleibt der Binge-Marathon und die Verfügbarkeit von Inhalten rund um die Uhr die angenehmere Wahl. Aber wer weiß, vielleicht lassen sie sich eines Tages doch noch vom Streaming-Fieber anstecken, solange der Tatort-Sonntag davon nicht gestört wird. Bis dahin bleibt das Wohnzimmer am Sonntag um 20:15 Uhr unberührtes Terrain.

Hinweis: 

Dieser Beitrag ist Teil des Kolumnenformats „Früher war alles besser… oder?" Weitere Folgen der Kolumne sind: