Lachen ohne Grund
„Wir haben zwei Gläser. In der einen Hand haben wir Mangomilch, in der anderen Joghurt. Jetzt mischen wir das zusammen und sagen dabei 'Yip, Yip'. Dann schütteln wir den Cocktail mit einem 'Hahahaha'. Und dann trinken wir ihn, mit einem noch lauteren 'HAHAHAHA'.“
Acht Leute stehen im Kreis und hören den Anweisungen von Trainerin Susanne Klaus aufmerksam zu. Als sie fertig ist, fangen alle gleichzeitig an zu lachen. Kurz hört man acht unterschiedliche Töne, nach ein paar Sekunden verschmelzen die verschiedenen Lachen dann zu einem einheitlichen Geräusch. Es fängt an, sich durch den Raum zu bewegen, wird lauter, leiser und wieder lauter. Wie eine Welle, eine Melodie. Hört man genau hin, lassen sich aus dem großen Geräusch individuelle Frequenzen heraushören: Das Lachen eines jungen Mannes sticht heraus, er lacht immer wieder laut auf und seine nasale Stimme macht sich auch im Lachen bemerkbar. Bei einer älteren Frau brauchen die Mundwinkel für den Weg nach oben ein bisschen länger. Auch ihr Lachen klingt nicht ganz so energetisch. Dafür wirkt es gleichmäßiger und ruhiger. Manchmal sieht sie angestrengt aus, als müsste sie kämpfen, ihre Mundwinkel so lange oben zu halten. Ihre leuchtenden Augen sprechen aber eine andere Sprache.
Aufgeregtes Lachen, ruhiges Lachen. Manche lachen immer im gleichen Takt, sodass man dazu klatschen könnte, andere einfach nur chaotisch. Dann kommt das Stopp-Zeichen und innerhalb weniger Sekunden wird es still. Zumindest fast, nur das Atmen hört man noch. Bei manchen bleiben die Lachgrübchen und das Grinsen dabei auf dem Gesicht. Bei manchen klingt es eher wie ein angestrengtes, leises Keuchen, wie nach dem Sport. Dann geht es weiter, und der nächste Lachcocktail wird zubereitet.
Was für manche wie ein Witz klingen mag, hat einen durchaus seriösen Hintergrund und nennt sich Lachyoga. Mehrere tausend sogenannte Lachclubs gibt es auf der ganzen Welt, etwa 240 davon in Deutschland. Einen davon betreibt die gelernte Betriebswirtin Susanne Klaus. Im Jahr 2005 gründete sie die Stuttgarter Lachschule. 2011 gab die gebürtige Kölnerin ihre Arbeit als Personal- und Finanzmanagerin in einem mittelständischen Maschinenbau-Unternehmen auf, um sich mit der Lachschule komplett selbstständig zu machen.
„Fake it till you make it“
„Lachen ohne Grund“, so lässt sich das Konzept von Lachyoga zusammenfassen. Die Idee stammt vom indischen Arzt Dr. Madan Kataria, der Lachyoga im Jahr 1995 zusammen mit seiner Frau entwickelte und bei dem auch Susanne Klaus ihre Ausbildung absolviert hat. Lachyoga ist eine Kombination aus Klatsch-, Dehn- und Atemübungen, die eins gemeinsam haben: es wird gelacht. Mit der Zeit soll dann aus dem künstlich konstruierten Lachen ein echtes Lachen werden. „Fake it till you make it“ ist das Prinzip, von dem sich die Lachyogis, wie sie sich selber nennen, neben Spaß auch positive Auswirkungen auf ihre körperliche und seelische Gesundheit versprechen.
Im Gegensatz zu anderen Formen der Stressbewältigung, bei denen der Schwerpunkt vor allem auf der Beeinflussung des Geistes liegt, sollen beim Lachyoga Veränderungen hauptsächlich über den Körper herbeigeführt werden. „Lachen baut Stresshormone ab, Endorphine werden ausgeschüttet, das Immunsystem wird gestärkt, egal ob es echt oder gespielt ist“, erklärt Susanne Klaus. „Wir sind gewohnt zu lachen, wenn es uns gut geht. Aber die Bereitschaft, im Alltag zu lachen, fehlt häufig.“
Die Bereitschaft zu lachen ist in Klaus' Gruppe, die sich seit 20 Jahren regelmäßig mittwochs trifft, kein Problem. Das zeigt sich direkt bei der ersten Übung: „Jeder sagt einen Ort, wo er gerne einmal richtig laut lachen will. Und wir reagieren als Gruppe darauf mit einem lauten Lachen“, leitet Klaus an. Was für viele seltsam klingen mag, ist für die Männer und Frauen im Lachkreis normal. Die Antworten gehen von einem Ort in Argentinien bis zum Zahnarzt, die einstimmige Reaktion: lautes Lachen. Während bei einigen Teilnehmern die Augen direkt bei der ersten Übung zu strahlen beginnen, sehen andere Augenpaare in der Runde noch ein bisschen verunsichert aus, auch das Lachen klingt noch nicht ganz befreit und locker. Wie bei anderen Bewegungsformen muss sich eben auch hier ein bisschen aufgewärmt werden.
Lachen geht immer
Während sich andere zum Fußballspielen, zum Kochen oder zum Serienabend verabreden, treffen Susanne Klaus und ihre Gruppe sich eben zum Lachen. Neben der festen Gruppe am Mittwoch gehören aber auch Kurse in Unternehmen oder auf Tagungen zu Klaus' Arbeitsalltag – eine besondere Herausforderung, die die gelernte Betriebswirtin aber auch reizt: „Das Schönste ist, wenn ich danach in die funkelnden Augen schaue, gerade wenn die Leute am Anfang skeptisch waren.“ Einen ihrer ersten Kurse hat sie einer Selbsthilfegruppe für Menschen mit Multipler Sklerose gegeben. „Die Leute saßen zum Teil im Rollstuhl saßen und konnten sich nicht mehr bewegen“, erinnert sich Klaus. „Aber Lachen geht immer!“
Lachen geht immer, lachen kann jeder. Und über fast alles, zumindest mittwochs in der Lachschule in Obertürkheim. Eine Teilnehmerin kommt heute mit einer Bandage um die Hand. Was denn passiert sei, fragt Klaus. Ein Unfall beim Gassigehen, der Hund habe zu stark an der Leine gezogen. „Vielleicht können wir heute ein Hundeleinen-Lachen einbauen“, entgegnet Klaus. Alle lachen.
Nichts ernster nehmen, als man muss, das gilt für Klaus nicht nur während der Lachstunde. „Unser Verstand versucht immer alles zu lösen, aber in dieser chaotischen Welt ist unser Verstand manchmal am Ende. Dann sind innere Stabilität und Halt entscheidend.“ Diese Sicherheit könne man auch durch andere Lebensformen wie Meditation und Achtsamkeit erreichen, so Klaus. Aber: „Durch Lachen wird der Kopf sofort frei, schneller als bei jeder Meditiationstechnik, weil es automatisch passiert. Sobald die Mundwinkel hochgehen, werden Endorphine ausgeschüttet, die das Denken prägen und entscheiden, ob ich mit Angst oder Zuversicht auf die Welt schaue.“
Keine Lösung für alles
Dass man dem Chaos auf der Welt einfach so ausgeliefert ist, lässt sich in Zeiten hunderttausender Teilnehmender auf Demonstrationen gegen Rechtsextremismus zumindest infrage stellen; auch der persönliche Blick auf die Welt dürfte von mehr Faktoren als vom Lachen abhängig sein. Dass sich viele Probleme nicht einfach weglachen lassen, weiß auch Klaus: „Es ist nicht die Idee von Lachyoga, über alles und andauernd zu lachen. Man kann nicht einfach zu einem Menschen mit Depressionen gehen und sagen, er soll mehr lachen“. Es gehe viel eher um die Stabilität, die regelmäßiges Lachen gebe.
Lachyoga auf TikTok
In den 20 Jahren, die Klaus die Lachschule betreibt, waren fast alle Teilnehmenden in Klaus' Lachgruppen älter als 40 Jahre, erzählt sie. Seit gut einem Jahr ist Lachyoga jedoch auch in der jüngeren Generation vielen Leuten ein Begriff. 2023 trendete die Lachyoga-Trainerin Carmen Goglin auf TikTok. Über eine Million Likes hat Goglin seitdem gesammelt, 45.000 Follower*innen schauen ihr regelmäßig beim Lachen zu. Wirft man einen Blick in die Kommentare, wird schnell klar, dass sich der Erfolg zu einem großen Teil auch in Spott und Häme über die kuriosen Übungen und das grund- und hemmungslose Lachen ausdrückt. Goglins Lachclips wurden von großen Accounts geteilt und repostet – sie ist zum Internet-Meme geworden.
Klaus freut sich darüber. „Auch die mitunter schlechte PR ist PR“, sagt sie trocken. Die Trainerinnen kennen sich gut, denn Goglin hat vor etwa 10 Jahren ihre Lachyoga-Ausbildung bei Susanne Klaus absolviert. Seitdem treffen sich beide regelmäßig auf Lachevents, 2014 haben sie zusammen eine Lach-Olympiade organisiert. Seit dem TikTok-Hype bemerkt Klaus in ihrem Alltag durchaus ein gestiegenes Interesse jüngerer Menschen an Lachyoga. „Manchmal rufen mich Jugendliche an, und sagen zum Beispiel, dass sie mit mir jetzt eine Lachübung machen wollen, die sie auf TikTok gesehen haben“, berichtet die 55-Jährige. Dass der Fokus der meisten Anrufer*innen dabei nicht an ernsthaftem Interesse an Lachyoga liegt, ist Klaus bewusst: „Ich weiß, dass die meisten sich einen Scherz draus machen. Aber sowas mache ich gerne mit.“ Natürlich, weil man auch das mit einem Lachen nehmen kann.
Als gemeinsames Lachen im Kreis während der Corona-Pandemie nicht möglich war, entstanden überall auf der Welt Online-Lachtreffen. Na klar, eine Pandemie ist schlimm, aber kein Grund, nicht mehr zu lachen. Susanne Klaus gehörte 2020 zu den ersten mit dieser Idee und gründete zusammen mit anderen Lachbegeisterten einen Online-Lachclub. Gelacht wird jeden Morgen um 9 Uhr – na klar, wie könnte man auch besser in den Tag starten? Eine Teilnehmerin aus Klaus' Lachkreis, die schon seit 11 Jahren regelmäßig zum Mittwochs-Lachen kommt, hält davon aber nichts: „Es ist etwas ganz anderes, in einen Bildschirm zu lachen, als wenn man im Kreis steht und sich gegenseitig ins Gesicht lacht“.
In der Tat ist regelmäßiger Augenkontakt einer der Hauptelemente von Lachyoga. Nach jeder Übung trifft sich die Gruppe wieder im Kreis, schaut sich an, und bestärkt sich gegenseitig mit einem „Ho, ho, hahaha“ und „Sehr gut, sehr gut, yeah!“. Dabei wird in die Hände geklatscht und die gehobenen Daumen ausgestreckt. So sagt es die Regel, eine der wenigen, die es im Lachyoga gibt.
Kaum Forschung
Der Nischencharakter von Lachyoga macht sich auch in der Wissenschaft bemerkbar. Während es zu den Effekten anderer Formen der Stressbewältigung fast unzählbar viele Studien gibt, ist die Forschungslage zu Lachyoga ziemlich mau. Es gibt zwar durchaus einige Studien, die Lachyoga als hilfreich gegen Depression, Angstzustände und Stress oder für seelisches Wohlbefinden, Selbstwert, Schlaf und das Denkvermögen bewerten. Diese werden jedoch 2018 vom medizinischen Faktencheck-Portal Medizin transparent aufgrund systemischer Mängel als nicht aussagekräftig eingestuft.
Ob und wie positiv sich Lachyoga wirklich auf den Menschen auswirkt, lässt sich also zumindest aus wissenschaftlicher Perspektive nicht eindeutig feststellen. Das ist der Gruppe von Susanne Klaus egal. Niemand ist hier wegen der Wissenschaft, sondern weil ihnen gemeinsames Lachen einfach Spaß macht. Ob Lachyoga sie zu einem glücklicheren Menschen gemacht hat, so weit will Susanne Klaus nicht gehen. Aber: „Ich finde immer sehr schnell wieder meinen Frieden. Und Frieden ist auch eine Form von Glück.“