„Wäre ich weiß, dann hätte ich keine Probleme.“
Asian Hate – Versteckter Rassismus
Ein Gewimmel aus vielen schwarzen Linien. Dicht an dicht drängen sie sich über den weißen Untergrund des Bildes. Unten bilden sie ein dicht verflochtenes Netz, weiter oben verlaufen sie sich in sämtliche Richtungen. Getrennt werden diese beiden Seiten durch einen hellen, ungleichmäßig dicken Streifen, der sich durch die gesamt Diagonale des Bildes schlängelt. Was ich gerade sehe, ist eine Karte; die Großbuchstaben darunter verraten mir, um welche Stadt es sich dabei handelt: HANOI. Hanoi, das ist nicht nur die Hauptstadt von Vietnam, sondern auch die Heimat der Eltern von Ngoc Lan Nguyen. Ihr gehört das Bild, mit einem Hauch von Stolz präsentiert sie es mir im Zoom-Interview. Stolz – das war sie nicht immer, erzählt sie mir. Ihre familiären Wurzeln zu akzeptieren, fiel ihr lange Zeit schwer. Und das vor allem wegen den vielen rassistischen Erfahrungen, die sie auch schon im Kindergarten machte. Heute klärt sie auf Instagram über antiasiatischen Rassismus auf.
Damals habe sie das noch gar nicht richtig realisiert, heute kann Ngoc Lan die besagten Fälle als Exotisierung ihrer selbst einordnen. „Ich erinnere mich noch, dass Freunde, aber auch vor allem Erzieherinnen, damals zu mir gekommen sind, mich angefasst haben und sagten: ‚Oh, du hast so schöne dunkle Haut, kannst du mir davon nicht was abgeben?‘ oder ‚Du hast so schönes schwarzes Haar‘. Oder sie haben mich ganz viel zu Vietnam ausgefragt, obwohl ich in dem Alter noch gar keinen Bezug dazu hatte.“ Dieser vermeintlich „positive“ Rassismus hinterlässt dennoch seine Spuren. „Ich hatte immer dieses Denken, dass ich ja genauso bin, wie die anderen auch. Aber so wurde immer der Fokus darauf gelegt, dass ich anders aussehe. Und das hat dann dazu geführt, dass ich ganz lange meine vietnamesische Identität abgelehnt und mich dafür geschämt habe.“ Lange Zeit versucht Ngoc Lan ihre Wurzeln zu verstecken, findet es peinlich, lädt keine Freund*innen zu sich nach Hause ein.
Ähnliches erzählt auch Frank Joung. Er ist Gründer und Moderator des Podcasts „Halbe Katoffl“, in dem es – Zitat – um „was mit Migrationshintergrund“ geht. Hier spricht er offen mit Gästen über deren Herkunft, Klischees und Erfahrungen. Er selbst hat koreanische Eltern, ist aber, wie auch Ngoc Lan, in Deutschland geboren und aufgewachsen. Er zweifelte ebenfalls in seiner Kindheit an seiner Identität. „Als Kind willst du dazu gehören. Wächst du aber in einem sehr weißen Umfeld auf, dann empfindest du dich irgendwann als anders. Wenn das Leute dann herausstellen – andere Haare, anderes Essen, deine Eltern sprechen nicht richtig Deutsch – dann zweifelst du irgendwann daran, so sein zu wollen, wie du bist.“ Oft wurde ihm als Kind auch vorgeworfen zu klauen. „Ich weiß noch, wie ich damals dachte: ‚Wäre ich weiß, dann hätte ich keine Probleme‘.“ Er lacht verhalten. Damit teilt er das Gefühl mit vielen seiner Podcast-Gäste, von der Gesellschaft nicht als Deutscher anerkannt zu werden.
Die korrekte Bezeichnung – DOs and DON‘Ts
- Besser nicht: Asiat*innen bzw. Menschen mit asiatischem Migrationshintergrund. Dieser Begriff ist vor allem dann nicht zutreffend, wenn die Personen schon in zweiter und dritter Generation in Deutschland leben, hier geboren und aufgewachsen sind. Das kann auf Angesprochene wirken, als würde ihnen das Deutsch-sein aberkannt werden.
- Schon eher: Asiatische Deutsche. Diese Formulierung etabliert sich immer mehr als politische Selbstbezeichnung. Es dient damit als Sammelbegriff für Menschen mit Wurzeln in vor allem südost-asiatischen Ländern.
- Perfekt: Asiatisch gelesene Menschen. Mit dieser Begrifflichkeit werden diejenigen gemeint, denen auf Grund ihres Aussehens eine asiatische Herkunft zugewiesen wird. Mit der Formulierung wird aber nicht ihre Nationalität in Frage gestellt. Deshalb wird im folgenden Artikel vor allem dieser Begriff verwendet.
Antiasiatischer Rassismus – keine Einzelfälle
Rassismus gegen asiatisch gelesene Menschen gibt es nicht erst seit Ausbruch der Pandemie. Hier wurden sie oft zur Zielscheibe, da das Virus erstmalig in China nachgewiesen wurde. Doch schon 1980 kamen zwei Menschen – Nguyen Ngoc Chau und Do Anh Lan – bei einem rassistisch motivierten Brandanschlag in Hamburg ums Leben. Dennoch ist der Fall heute kaum bekannt. Darauf folgten 1991 in Hoyerswerde und 1992 in Rostock-Lichtenhagen zwei sogenannte Progrome, bei denen Rechtsradikale Wohnblöcke von Vietnames*innen angriffen. Die Polizei griff zögernd und erst spät ein. Frank, der die Szenerien damals im Fernsehen verfolgte, erinnert sich vor allem auch an die Zuschauer*innen vor Ort, die den Anschlag beklatschten. „Das habe ich nicht vergessen. Das stand für mich lange sinnbildlich für dieses Mainstream-Deutschland: Menschen, die zwar selber nicht mit dem Baseballschläger losgehen, aber wenn‘s drauf ankommt – ja, so schlecht finden sie’s dann doch nicht.“ Das jüngste Ereignis von antiasiatischen Rassismus fand am 16. März 2021 in Atlanta statt. Damals stürmte ein 21-Jähriger drei verschiedene Massagesalons und erschoss dabei acht Menschen, darunter sechs Frauen mit asiatischer Abstammung.
Das Thema kommt auch in den Einzelgesprächen mit Frank und Ngoc Lan auf. Obwohl beide getrennt voneinander ihre Sicht erläutern, so sind ihre Reaktionen und Erzählungen doch sehr ähnlich – nicht nur bei diesem Fall. Ngoc Lan erzählt, wie sehr sie das Attentat damals getroffen hat, wie sie für mehrere Wochen wie lahmgelegt war. Frank muss erstmal schwer schlucken, bevor er spricht: „Für mich gab es da so eine zwiegespaltene Reaktion, so ‚fight or flight‘ (Kampf oder Flucht). Einerseits möchte man von dem Thema gar nichts wissen, will es nicht wahr haben. Dann habe ich aber auch gemerkt, wie ich abrutsche in so eine totale Frustration und auch riesigen Wut. Vor allem auch wegen der Reaktion, die danach kam.“
Das Kind beim Namen nennen: Nämlich Rassismus
Bei den Reaktionen spielt Frank auf die Diskussion rund um das Motiv des Täters an, der beim Verhör die Massagesalons als sexuelle „Versuchung“ bezeichnete. Handelte er rassistisch oder auf Grund seiner diagnostizierten Sexsucht? Auch die Pogrome laufen erst nicht unter dem Begriff des Rassismus, sondern werden als „situationsbezogene Fremdenfeindlichkeit“ bezeichnet. Frank erkennt hier eine Abneigung, die Sache beim Namen zu nennen. „Das liegt zum einen daran, dass Rassismus ein großes Wort ist. Niemand will die Rassismus-Keule schwingen“, erklärt er fast schon scherzhaft. Der Begriff der Fremdenfeindlichkeit ist in seinen Augen problematisch. „Natürlich steckt in Rassismus irgendwie auch Fremdenfeindlichkeit. Wird dieser Begriff aber von den Medien so angewendet, dann suggeriert das, ich sei tatsächlich fremd. Da ist dann aber nicht mit drinnen, dass der Rassismus darin besteht, dass ich überhaupt als fremd wahrgenommen werde, obwohl ich das gar nicht bin.“
In den Gesprächen erkennt man, wie anders mit antiasiatische Rassismus im Vergleich zu anderen Rassismus-Formen umgegangen wird. Es passiere eher subtil, erklärt Ngoc Lan, nicht wie bei Rassismus gegenüber schwarzen oder indigenen Menschen. Den Begriff „subtil“ nennt Frank ebenfalls in unserem Gespräch; extremere, aggressive Fälle seien seltener. „Was den antiasiatischen Rassismus auszeichnet, das ist oft Humor. Man macht sich viel lustig. Ich kriege dann oft so Reaktionen, wie: ‚Ach komm, drei Chinesen mit dem Kontrabass – ist doch lustig, ist doch nur ein Kinderlied. Wo ist da der Rassismus?‘“ Dass der Rassismus oft nicht als solcher wahrgenommen wird, dem stimmt auch Ngoc Lan zu. Sowohl sie als auch Frank sehen ebenfalls eine Gefahr in der Haltung der älteren Generation der asiatisch-stämmigen Deutschen. „Man muss auch sagen, dass sich die Asian Community sich lange Zeit nicht stark gewehrt hat“, erläutert Frank seine Ansicht. „Es war mehr: Anpassen, Kopf runter, hard work. Die fehlende Gegenwehr ist sozusagen Beweis dafür, dass es nichts gibt, gegen das man sich wehren müsste.“ Ngoc Lan begründet das unteranderem auch mit der Kultur: „Man soll nicht auffallen, sich anpassen, leise sein. Das heißt aber nicht, dass man keinen Rassismus erfahren kann – auch wenn dieser dann teilweise als ‚positiv‘ ausgelegt wird. Das ist nichtsdestotrotz problematisch.“ Vermeintlich positiver Rassismus trägt zur Verharmlosung bei, tarnt den Rassismus fast schon als Kompliment, lässt Aussagen legitim wirken. Dass das ebenfalls Narben hinterlässt, aber auch in andere Aspekte des antiasiatischen Rassismus abrutscht, das erklärt mir Ngoc Lan im weiteren Gespräch.
„Not your asian fetish.“
Man merkt, wie sehr sie versucht, auf das Problem aufmerksam zu machen, unter anderem an ihrer freudigen Reaktion, als ich sie auf den einzigen Satz in ihrer Instagram-Bio anspreche: „Not your asian fetish“ (nicht dein asiatischer Fetisch). „Asiatisch gelesene Personen werden ja schon generell als zurückhaltend und lieb und ruhig dargestellt. Daran knüpft dann aber auch die Exotisierung der asiatischen Frau an.“ Dieses stereotypische Bild erfülle sexuelle Vorstellungen, wie zum Beispiel das Machtverhältnisses von vielen Männern. Über den historischen Ursprung dieser Stereotypisierung schrieb auch schon edit.-Redakteurin Eileen Wagner.
Antiasiatischer Rassismus zeichnet sich aber nicht allein durch „positiven Rassismus“ oder Fetischisierung aus. Nicht selten kommt es auch zu einer Verallgemeinerung des gesamten Kontinents. „Das ist doch eh alles das Gleiche“, sagte auch eine Kollegin Ngoc Lans beiläufig, als sie vietnamesisch-stämmige Verkäufer*innen die falsche Herkunft zuwies. „Das hat mich so getroffen. Ich bin in die Küche gegangen und habe richtig doll geheult. Mir ist schwindlig geworden, weil ich nicht wusste, wie ich damit umgehen sollte.“ Für sie sei es nochmal eine andere Erfahrung, wenn Personen ihres engeren Umfeldes diese rassistischen Aussagen machen, erklärt sie mir – sie ergreife dabei ein Gefühl der Ohnmacht. Ähnlich ergeht es auch Frank: „Ich kann diesen Schmerz kaum erklären. Einerseits hat man das Gefühl, man kriegt kaum Luft, andererseits verspürt man den Drang, etwas zu tun. Du hast Tränen in den Augen, aber gleichzeitig ballst du die Faust – das kommt dann beides gleichzeitig.“ Scherzhaft macht er dabei die passende Gestik, stellt die Szene nach. Doch man hört heraus, dass die Situation selbst alles andere als witzig ist.
Ich bin kein Virus
Auch wenn sich beide einig sind, dass beim antiasiatischen Rassismus im Vergleich zu anderen Formen seltener körperliche Gewalt auftritt, so schließt es diese eben doch nicht aus: Das zeigen die bereits genannten Fälle, aber auch die Website „Ich bin kein Virus“, auf der Betroffene ihre Erfahrungsberichte teilen können. Durch die Pandemie haben körperliche Übergriffe gegenüber asiatisch gelesenen Personen zugenommen, was unteranderm daran liegt, dass viele Menschen fälschlicherweise asiatisches Aussehen mit dem Corona-Virus gleichsetzen. Das zeigt auch eine Studie von MEDIENDIENST Integration. Laut dieser stimmen in einer Umfrage 15,2 Prozent der Befragten folgender Aussage zu: „Die Asiaten sind für die rasante Ausbreitung der Corona-Pandemie in Deutschland verantwortlich.“ Ngoc Lans und Franks Reaktionen darauf: Stirnrunzeln und verunsichertes Lachen. „Was soll man dazu sagen?“, sagt Frank und schüttelt dabei den Kopf. „Das ist eine Mischung aus Ungebildetheit und der Wunsch nach einer einfachen Erklärung für die Situation, in der wir uns befinden.“ Problematisch sei außerdem wieder, dass es für die Befragten scheinbar keinen Unterschied zwischen Asien und China gebe.
„Durch den Coronavirus ist der antiasiatische Rassismus erst viel sichtbarer geworden.“ Damit teilt Ngoc Lan eine Sichtweise, die auch im Beitrag der Bundeszentrale für politische Bildung zu antiasiatischem Rassismus vertreten wird. Der Rassismus gegenüber asiatisch gelesenen Personen ist keine neue Erfindung der Pandemie – wie die vergangenen Fälle von ernstzunehmenden Rassismus zeigten, samt eingefleischter Klischees und Stereotypen. In den Gesprächen merkt man, wie schmerzhaft das Problem für Betroffene ist: Vor dem Bildschirm sitzen zwei Personen, die zuerst sehr freudig, positiv wirken, lachen – doch im Gespräch selbst reden sie anders. Sie sprechen mit Bedacht, manchmal bedrückt, müssen überlegen, wie sie den Schmerz beschreiben können, den niemand sonst nachempfinden kann. Doch anders als in ihrer Kindheit haben beide ihren Frieden damit gefunden, „halbe Kartoffeln“ zu sein, und tragen dies offen nach außen. Trotzdem bedarf es noch viel Arbeit, um den antiasiatischen Rassismus in Deutschland zum einen zu erkennen und dann auch zu bekämpfen. Das schaffe die asiatisch-stämmige Minderheit nicht alleine, so Frank: „Es muss auch die Seite der weißen Mehrheitsbevölkerung geben, die sagt: Wir wollen das ändern. Und wir wollen das nicht nur ändern für euch, sondern weil es das Richtige ist.“