Musicalausbildung 7 Minuten

The Greatest Showman? Ein Traum von der großen Bühne

Joel in einem Tanzsaal während einer Jazz-Pose
Da es in Deutschland nur wenige staatliche Musicalschulen gibt, gehen viele an private Berufsschulen und zahlen eine Menge Geld für ihre Ausbildung. So macht es auch Joel. | Quelle: Janina Hartmann
12. Dez. 2024

Manche hassen sie, manche lieben sie: Musicals. Doch, egal ob Hater oder Fanatiker, es gibt kaum jemanden der bei „Mamma Mia!“ still sitzen bleiben kann. Aber wer verbirgt sich eigentlich hinter den Rollen, die man auf der Bühne sieht? Und wie sieht der Alltag vor dem Leben im Rampenlicht aus?

„Nächste Woche ist die Choreo fix“, sagt Tanzlehrerin Katrin in die Runde. Alle nicken und laufen zu ihren Wasserflaschen. Die erste Tanzstunde des Tages ist geschafft. Jazz stand auf dem Programm. Nachdem sich die Klasse ungefähr 15 Minuten lang in dem kühlen Tanzstudio warmgetanzt hatte, wurde noch an der Choreografie zu „Show Me How You Bourlesque“ von Christina Aguilera gefeilt. Eine Bewegung mit dem Kopf hier, eine Geste mit der Hand da, alles soll perfekt aussehen. An einem Interpretationsabend im März führen die Schüler*innen der „Abraxas Musical Academy" Teile verschiedener Musicals auf und dafür proben sie schon jetzt. Fünf Minuten Pause, dann geht es weiter mit Musicaltanz.

Joel Mills ist 22 Jahre alt und macht eine Ausbildung zum Musicaldarsteller in München. Er gehört zum zweiten Jahrgang der privaten Berufsschule Abraxas Musical Academy und wirkt bei der Begrüßung fröhlich und ein wenig zerstreut. Die Schule sieht von außen unscheinbar aus und befindet sich im zweiten und dritten Stock eines Bürogebäudes. Um die 40 angehende Künstler*innen besuchen die Akademie zurzeit. Für seine Ausbildung muss Joel momentan 600 Euro im Monat zahlen. Dies finanziere er hauptsächlich durch BAföG, erklärt er. Zusätzlich hat Joel aber zwei Nebenjobs: Er arbeitet bei einem Catering Service fürs Theater in München und unterrichtet seinen eigenen Jazz Kurs. Seine Woche ist streng durchgetaktet. Tanzunterricht, Schauspiel, Gesang, zusätzliches Tanz- und Gesangstraining, Arbeit. Eine mentale und körperliche Herausforderung, die er gerne eingeht, um auf die große Bühne zu kommen. 

Ein Hotelfachmann tanzt Ballett?

„Ich wusste eigentlich schon immer, dass ich in den künstlerischen Bereich will“, fängt Joel an zu erzählen, doch eine Berufsberaterin in der Schule habe ihm etwas anderes geraten. Nämlich etwas, dass näher liege und eine sichere Option sei. Deswegen absolviert Joel eine Ausbildung zum Hotelfachmann. Danach fängt er eine allgemeine Tanzausbildung in Winnenden an: „Das war das, was ich eigentlich machen wollte“, sagt Joel und lächelt. Nach zwei Jahren bricht er die Ausbildung ab, und entscheidet sich für die Musicalszene. Die Angst, dass man als Künstler*in mit finanzieller Unsicherheit zu kämpfen hat, beschäftigt ihn weniger. Er stellt klar: „Ich glaube, als Künstler musst du vom Gedanken wegkommen damit das große Geld zu machen“. 

Allerdings denken viele anders, wenn es um die Prioritäten im Beruf geht. In einer Umfrage der Continental AG sind es 56 Prozent der Befragten (zwischen 16 und 24) in Deutschland, denen es am wichtigsten ist, sich das Leben finanzieren zu können. 17 Prozent nennen die Selbstverwirklichung. Künstler*innen verdienen während der Ausbildung jedoch durchschnittlich am wenigsten, zeigt eine Erhebung des Statistischen Bundesamtes. Und im Fall von Joel, zahlt er sogar jeden Monat einen zusätzlichen Betrag. Es stellt sich die Frage, was individuell wichtiger ist: Ein gutes und gesichertes Einkommen oder der Wunsch nach Selbstverwirklichung. 

„Ich glaube, als Künstler musst du vom Gedanken wegkommen damit das große Geld zu machen."

Joel Mills

Erfolgsdruck

Mittagspause. Joel und seine Mitschüler*innen haben die Aufgabe, sich Konzept und Geschichte für das diesjährige Wintermusical auszudenken. Das mache immer der zweite Jahrgang, bemerken sie. Zusammen mit einer Mitschülerin geht Joel in einem leeren Tanzsaal eine Szene durch. Sorgfältig wiederholen sie Tanzschritte und Songtexte. Erneut fällt etwas auf, was schon den ganzen Morgen zu sehen ist: Alle haben Spaß und machen mit Leidenschaft mit. Jede und jeder in diesem Jahrgang hat ein Ziel vor Augen: Sie wollen ins Rampenlicht. Aber wie wahrscheinlich ist dieser Traum?

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Neben verschiedenen Tanzstunden, belegen die Auszubildenden noch weitere Fächer wie Sprechen oder Chor.

Damit kennen sich Marc Lamberty und Vanessa Riechmann von der ZAV (Zentrale Auslands- und Fachvermittlung) aus. Beide arbeiten im Fachbereich Musical der Künstlervermittlung und haben schon reichlich Erfahrung als Musicaldarstellende gesammelt. Marc Lamberty unter anderem als Judas in „Jesus Christ Superstar“, zu Vanessa Riechmanns Erfolgen zählt die Rolle des Dance Captains in „Sister Act“. Momentan seien es 1500 aktive Künstler*innen- Profile, die sie im Fachbereich Musical vertreten. Aus Sicht eines angehenden Musicaldarstellenden könnte sich jetzt die Frage stellen, wie viele neue Künstler*innen denn prinzipiell in der Agentur aufgenommen werden. Auf diese Nachfrage antwortet Vanessa wie folgt: „Es gibt keine Grenze nach oben“. Die ZAV-Künstlervermittlung geht beispielsweise direkt auf Musicalschulen zu und sucht nach neuen Talenten. Hierbei komme es stark auf das Niveau des Jahrgangs an, wie viele Absolvierende aufgenommen würden. Aber auch bei den monatlichen ZAV-Auditions in Köln und Berlin wird regelmäßig nach neuen Künstler*innen Ausschau gehalten, die eine mindestens dreijährige Ausbildung oder vergleichbare Qualifikation mitbringen. 

Grundsätzlich gäbe es aber genügend Jobangebote für Musicaldarstellende. Während der Corona-Pandemie hätte die Theaterindustrie, aufgrund der starken Einschränkungen schwer gelitten. Mittlerweile hätte sich der Markt aber wieder erholt – es würden sogar mehr Menschen als Darsteller*in arbeiten wollen. Außerdem seien einige Produktionen im Gange. Viele Darstellende nutzen die Gelegenheit weitere Fort- und Ausbildungen zu absolvieren, um sich möglichst breit aufzustellen. Meist in Richtungen, wie zum Beispiel Synchronsprecher*in oder Tanzlehrer*in. In Zeiten einer Jobflaute als Musicaldarsteller*in, besteht so die Möglichkeit auf andere Bereiche auszuweichen.

Mentale Hürden

Der Musicalmarkt habe sich in den letzten Jahren stark verändert, erläutern die zwei Vermittler der ZAV. Man suche viel speziellere Typen und Diversität spiele in der Branche eine immer wichtigere Rolle. Individualität und Charakter seien besonders erfolgversprechend. Natürlich gibt es aber auch noch die andere Seite der Medaille. „Es kann vorkommen, dass aufgrund der aktuell gespielten Stücke, ein bestimmter Typ nicht so oft angefragt wird“, erklärt Vanessa Riechmann. Ein Aspekt in der Musical- oder auch Schauspielszene, der jemanden sehr unter Druck setzen und verunsichern kann. 

Joel Mills ist sich den mentalen und körperlichen Herausforderungen bewusst, die sein späterer Beruf mit sich bringt. Er hat bemerkt, dass er auf körperlicher Ebene abgehärtet sei. Seine vorherige Tanzausbildung hätte ihn in der Hinsicht sehr gut vorbereitet und geprägt. „Ich habe die Willensstärke auf körperlicher Ebene entwickelt, das durchzuziehen“, sagt er schließlich. Mit seiner mentalen Verfassung hätte er eher zu kämpfen: „Teilweise habe ich richtige Aussetzer“, gibt er zu, „dann merke ich, dass ich gerade zwei linke Füße habe“. Während seiner jetzigen Ausbildung hat er aber noch nie Streitigkeiten, aufgrund von Neid oder Konkurrenzdenken erfahren. „Die Atmosphäre hier ist toll, denn man ist umgeben von vielen extrovertierten Leuten, was mir auch weitergeholfen hat“. Neben häufigem Tanzunterricht belegen die Auszubildenden an der Abraxas Musical Academy noch Kurse wie Chor, Sprechen und Rolle. Darüber hinaus aber auch noch normale Schulfächer, wie zum Beispiel Deutsch und Politik. 

18 Uhr. Die letzte Unterrichtsstunde des Tages ist vorbei. Ballettspezifisches Krafttraining machte den Schluss. Ein anstrengender Tag neigt sich dem Ende zu. Aber nicht für Joel. Er fährt noch eine Stunde mit dem Bus zu der Jazztanzgruppe „Sneakers“. Mit ihnen tanzt er in der zweiten Bundesliga. Beim Ankommen fällt direkt die gute Stimmung auf, welche die temperamentvolle Tanzlehrerin verbreitet. Und los geht es mit einem intensiven Warmtanzen: Dehnen, Ausdauer- und Krafttraining. Volle Körperbeherrschung. Nach einem langen Tag sieht Joel angestrengt aus. Doch er hört nicht auf und tanzt solide und grazil mit. Anschließend präsentieren die Tänzer*innen noch ihre „Soli“, die sie selbst choreografiert haben und erhalten dafür Feedback. Um 22 Uhr ist das Training aus. Joel fährt heim in seine Wohngemeinschaft. „Es kann schon ziemlich stressig werden“, stellt er fest. Morgen geht es für ihn schon um 8 Uhr weiter. Schauspiel steht an.