„Ich muss so ein Game nur angucken und dann passieren gute Dinge in mir."
Zwischen Bäckereien und Döner-Läden versteckt sich in Stuttgart-Bad Cannstatt ein kleines, auf den ersten Blick unscheinbares Geschäft. Ein Schild mit der Aufschrift „CasinoStation777“ thront darüber. Hier kommen Menschen also hin, um Geld fürs „Zocken“ auszugeben. Ja, aber um diese Art von „zocken“ geht es gar nicht. Denn daneben steht noch etwas: „Verleihnix“. Vertraute Gesichter aus Kindheitstagen, grinsen durch die weiten Schaufenster des Ladens. Es sind die Gesichter alter Videospielhelden wie Mario, Yoshi oder Pikachu – um diese Art von Zocken geht es also. Das Innere des Geschäfts wirkt wie eine Zeitmaschine, die auf „unbeschwerte Zeiten“ gestellt ist. Es stapeln sich Videospiele aller Generationen, egal ob Modul oder Disc in der Hülle. Daneben stehen Konsolen-Klassiker, Gameboys und Sammelfiguren und versprühen den Geruch von Nostalgie. Alles auf etwa 15 Quadratmetern Platz. Dominic, Niko und Florian halten im Laden die Stellung. Niko steht hinter der kleinen Theke, die direkt hinter dem Eingang platziert ist und berät einen Kunden. Weiter hinten ist Florian damit beschäftigt, das große Regal mit den Playstation 5-Spielen umzuräumen.
Game Over
„Ich liebe das was ich hier mache“, schwärmt Niko, während der Laden mal für einen Moment zur Ruhe kommt. Er zeigt auf die Regale um ihn herum: „Ich bin hier umringt von den Sachen, die ich kenne. Das ist ein Teil meiner Persönlichkeit“. Niko ist heute 49 Jahre alt und hat schon in den 90er Jahren als Schüler hier im Laden gearbeitet. Damals noch als Techniker, der hauptsächlich Playstations umgebaut hat. Danach ging es für ihn 20 Jahre in die Gastronomie, bevor er vor rund einem Jahr wieder hierher zurückgekehrt ist. Darüber sei er „sehr happy“. Videospiele und alles, was damit zu tun hat, sind seine Leidenschaft. Und damit ist er keinesfalls allein. Rund sechs von zehn Menschen in Deutschland spielen Computer- und Videospiele, gab der Verband der deutschen Game-Branche (game) in dessen Jahresreport 2024 an. Doch die Menschen konsumieren ihre Videospiele nicht mehr wie früher. Der Digitalhype hat längst auch die Game-Branche erreicht. Die Meisten kaufen ihre Spiele mittlerweile digital, also als Download, anstatt in physischer Form im Laden. Das führt dazu, dass es für immer mehr stationäre Videospielfachgeschäfte heißt: Game Over. So auch jüngst für die wohl bekannteste Gamestore-Kette „Gamestop“, die im Januar diesen Jahres nach rund 20 Jahren ihre letzten Filialen in Deutschland schließen musste. Hauptgrund dafür sei der wachsende Digitalvertrieb von Videospielen und rückläufige Umsätze.
Auch im „Verleihnix“ hat man diesen Wandel zu spüren bekommen. „Wir verkaufen immer weniger Neuware“, schildert Store-Manager Dominic und positioniert sich vor einem Regal voller alter Gameboys. Hauptauslöser dessen sei die Gemütlichkeit der Menschen, die mit dem einfachen Bestellen und dem direkten Downloaden im Internet einhergehe: „Man kennt es ja selbst, einfach ein Klick und am nächsten Tag liegt‘s im Briefkasten. Sie wollen diesen Aufwand, erst irgendwas im Laden suchen zu müssen, nicht, und dann ist es vielleicht gar nicht vorrätig.“ Außerdem seien die Spiele im Internet eben auch oft ein Stück weit günstiger. All das sind für Dominic Faktoren, die diesen Wandel befeuern. Das wird sich laut ihm so schnell auch nicht mehr ändern: „Die junge Generation ist halt gleich so aufgewachsen, die kennt das gar nicht anders“, reflektiert er. Auch das bestätigt ein Blick in den game-Abschlussreport 2024: 59 Prozent der 10-19-Jährigen in Deutschland kaufen ihre Spiele per Download. Bei den 20-29-Jährigen sind es sogar 71 Prozent. Dazu kommt, dass viele, die ihre Videospiele zwar als physisches Produkt kaufen, dies eben nicht mehr im stationären Handel, sondern per Bestellung tun.
Physisch vs. digital
Für Dominic kommt das nicht in Frage. Er ist schon seit 13 Jahren im Verleihnix angestellt und seit seiner Kindheit ein großer Videospiel-Fan. Sogar an seine erste eigene Konsole kann er sich noch erinnern: „Das war nach großem Wunsch ein Supernintendo zu Weihnachten mit acht Jahren“, erzählt er mit einem leichten Grinsen im Gesicht. Er weiß sogar noch, welche Spiele dabei waren und zählt Klassiker wie Super Mario World oder das im Jahre 1990 erschienene Arcade-Rennspiel „F-Zero“ auf. Damals wie heute, hat er seine Spiele am liebsten als physisches Medium zu Hause in seiner Sammlung stehen, da er sie sich als Erinnerung gerne nochmal anguckt.
Das Arcade-Genre stammt aus der Spielhallentradition und dreht sich um Punkte und Highscores. Mit einfachem Einstieg, klarer Steuerung und übersichtlicher Spielaufgabe sind Geschick und Reaktion gefragt. Alle Arcade-Spiele eint ein Prinzip: leicht zu lernen, schwer zu meistern. Quelle: USK
Ähnlich geht es Niko. Auch er ist seit 1989 begeisterter Videospielsammler. Auf stolze 700-800 Spiele schafft es seine Sammlung mittlerweile. Den Wert schätzt er auf bis zu 50.000 Euro. Für ihn sind physische Spiele nicht zu ersetzen: „Ich muss so ein Game nur angucken und dann passieren gute Dinge in mir. Das erweckt positive Emotionen in mir“, erzählt er mit begeisterter Stimme und legt seine Preisliste kurz auf die Theke. Ein weiterer Grund, warum er das Kaufen von Spielen im Laden bevorzuge, sei das Gemeinschaftsgefühl, das dabei oft entstehe. Es freue ihn, wenn fremde Menschen sich hier plötzlich anfangen auszutauschen. „Diese Fachsimpelei, das ist klasse. Hier kann man sich selbst sein, ohne sich verstellen zu müssen“. Gleichzeitig verlässt eine Mutter den Laden: „Wir sehen uns bestimmt nächste Woche wieder. Die Beiden sprengen die Spardose“, sagt sie lachend und zeigt dabei auf ihre beiden Söhne. Auch solche Momente sind es, die Niko während seiner Arbeit im Laden besonders mag: „Die Leute sind einfach happy, wenn sie hier reinkommen“.
Mit der Zeit hat sich der Fokus des Ladens immer mehr in Richtung Retro- und Sammlerprodukte verschoben, wofür es laut Dominic einen großen Markt gibt. „Es gibt sehr sehr viele Sammler weltweit“, weiß er. Die Preise für bestimmte Sammlerstücke gehen dabei mittlerweile in utopische Bereiche. Im Jahre 2021 wurde ein originalverpacktes Exemplar von „Super Mario Bros“ für das „Nintendo Entertainment System“ (NES) für schlappe zwei Millionen Dollar auf einer Auktion versteigert. Um solche Summen geht es im „Verleihnix“ zwar nicht, aber auch hier gab es schon heißbegehrte Ware, für die Einiges gezahlt wurde: „Wir haben manchmal auch Sachen auf eBay versteigert, im mittleren vierstelligen Bereich“ weiß Dominic noch. Die Bereitschaft, solch hohe Beträge für ein altes Videospiel auszugeben, ist laut Medienwissenschaftler Hanns Christian Schmidt ein Resultat verschiedener Faktoren. So seien Spiele ein materieller Anker für persönliche Erinnerungen: „Die physische Beschaffenheit der Hardware, das Artwork der Spieleverpackungen und selbst der charakteristische Geruch der Anleitungen können intensive, sentimentale und nostalgische Gefühle auslösen“, meint er. Außerdem verschaffe einem der Besitz seltener Originalspiele „kulturelles Kapital“ und markiere die Zugehörigkeit, zu einer Subkultur, die sich bewusst vom Mainstream-Gaming distanziere.
Die Digitalisierung als Chance?
Der „Switch“ auf Retro- und Gebrauchtware, ist für Storemanager Dominic einer der Hauptgründe dafür, dass es den kleinen „Verleihnix“ noch gibt, während der große Konkurrent „Gamestop“ dicht machen musste. „Gamestop hat fast ausschließlich Neuware verkauft“, weiß Dominic. Der „Verleihnix“ hat letztendlich mit der Zeit angefangen, ein ganz anderes Konzept zu verfolgen und von dem regelrechten „Retro-Boom“ der letzten Jahre profitiert. „Die Preise für Retrospiele sind seit 2012 ständig gestiegen. Wir hatten früher ein „Super Mario World“ für 10 Euro und heute kostet es 20 bis 25 Euro, also fast verdoppelt“, betont er. Ob die Retro-Blase irgendwann platzt? Dominic zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung, das ist ähnlich wie beim Aktienmarkt, man weiß es nicht“, sagt er lachend. In dieser Hinsicht ist Hanns Christian Schmidt guter Dinge: „Der Retro-Gaming-Trend dürfte langfristig bestehen bleiben, sich aber in seiner Form wandeln.“ Ironischerweise sieht er dabei gerade die Digitalisierung als einen Faktor, der diesen Trend in Zukunft gar verstärken könnte. So ist es gut möglich, dass Retro-Gaming dadurch zu einer Art „bewussten Gegenbewegung“ wird. Er ist der Meinung, dass „die Rückbesinnung auf alte Medienepochen“ bleiben wird und sich dabei auf immer neue Objekte und Zeiträume bezieht.
„Der Retro-Gaming-Trend dürfte langfristig bestehen bleiben, sich aber in seiner Form wandeln.“
Florian, der hier neben seines Studiums arbeitet, greift über sich in ein Regal und schiebt mehrere Verpackungen von Star Wars-Sammelfiguren zur Seite. Dahinter kommt ein großer schwarzer Karton mit der Aufschrift „NeoGeo“ zum Vorschein. Er nimmt ihn herunter und stellt ihn neben sich auf eine kleine Ablage. Es ist laut Florian das wohl teuerste Produkt, das sie derzeit haben.
Beim Stichwort „NeoGeo“ wird Niko hellhörig. „600 Euro? Wirklich?“, fragt er ungläubig. „So viel hat doch früher nur ein Spiel dafür gekostet!“ Er erklärt, dass es sich dabei um die Heimversion von alten Spieleautomaten handelt. „Das ist meine Schwäche“, gibt er schmunzelnd zu. „Wenn da jemand eine Sammlung in den Laden bringt und da sehe ich diese großen NeoGeo-Module, selbst wenn es ein schlechtes Spiel ist, ich brauche es.“ 160 Spiele wurden für das System entwickelt. Er hat schon 127 davon. „Bald habe ich die Sammlung komplett“, sagt er stolz. Es sind Sammler wie Niko, die Dominic Hoffnung, auf ein langjähriges Fortbestehen des „Verleihnix“ in Stuttgart machen. Denn er ist der festen Überzeugung: „Solange es Sammler gibt, gibt‘s auch uns!“