Generationen 3 Minuten

Der Wandkalender hat immer recht – sagt Mama

Wandkalender vs. Online Kalender
Früher war alles besser ... oder? Klassische Wandkalender vs. digitale Kalender-Dienste. | Quelle: Marie Hähnle
02. Jan. 2025

Früher war alles besser … oder? Ne, nicht immer – aber manchmal. Vielleicht haben aber beide Seiten ihre Vorteile. Ein Generationen-Check der Gen Z und ihrer Eltern, in dem Organisation entweder akribisch digital oder zuverlässig per Wandkalender funktioniert.

Montagmorgen. Ich stehe mal wieder in der Küche – noch halb im Schlafmodus, den Kopf voller wirrer Träume. In der einen Hand mein Handy, in der anderen eine Kaffeetasse. Mein Blick fällt auf unseren Familienwandkalender. Der alte Bekannte. Zentral platziert wie das Herz eines Raumschiffs, nur ohne Technik – hier fliegt nichts digital. Vollgekritzelt mit Terminen, die in bunten Farben leuchten wie Warnschilder: Blau für Arzttermine, Rot für Geburtstage, Gelb für den Biomüll. Der morgige Tag blinkt mir schon regelrecht entgegen: „Biomüll wird geleert“. Darunter steht in feinsäuberlicher Schrift „Hausärztin“ – ausgeschrieben, weil Abkürzungen in meiner Mutter’s Universum offenbar als Respektlosigkeit durchgehen. Und dann, zwischen allem, mein Name. Ein Termin, an den ich mich absolut nicht erinnern kann. Super.

Meine Mutter steht plötzlich neben mir, mit einem Handtuch über der Schulter und der Wucht einer Frau, die schon vor sechs Uhr wach war und sich den halben Haushalt vorgenommen hat. Ihr Blick folgt meinem. „Steht das auch in deinem Handy oder vergisst du das wieder?“ Sie lächelt. Na klar, Mama, ich habe selbstverständlich alles digital im Griff. Sie zieht die Augenbrauen hoch. Man weiß ja nie, wann „dieser Internet-Speicher“ (Zitat meiner Mutter) plötzlich kaputt geht. Für sie ist so ein digitales System eh ein Mysterium. Ihr Kalender hingegen sei wie die Verlobte der Zuverlässigkeit. Da hängt er, jeden Tag aufs Neue bereit, uns zu retten.

Planen mit Pings und Popups

Die Gen Z setzt auf Flexibilität. Wir sind ständig verfügbar. Unsere Planung läuft mobil, meist digital über To-Do-Apps, Google-Kalender und Erinnerungen. Eine Organisation ganz im Rhythmus unseres Alltags. Laut einer Umfrage des GMX Newsrooms aus dem Jahr 2018 nutzen etwa 52 Prozent der 18- bis 24-Jährigen einen digitalen Kalender. Bei den über 55-Jährigen sind es lediglich 24 Prozent.

Wenn mein Handy mich erinnert, kommt das in Wellen. Drei Tage vorher: „Deine Steuererklärung steht an.“ Am Abend davor: „Vergiss deine Steuererklärung nicht!“ Eine Stunde vorher: „Hallo? Steuererklärung!“ Schließlich ist die menschliche Aufmerksamkeitsspanne ja eine endliche Ressource und wird sowieso schon täglich auf TikTok, Instagram und Youtube getestet. Man könnte ja jederzeit von einem Katzenvideo auf TikTok oder einem tollen Rezept-Video abgelenkt werden. Am Ende drücke ich trotzdem alle Popups weg. Aber immerhin: Technisch gesehen bin ich informiert.  

Papier schlägt Akku (zumindest für Mama)

Während ich mich von einer Notification zur nächsten hangel, bleibt meine Mutter stur bei ihrem papiernen Fels in der Brandung. Laut der Studie des GMX-Newsrooms nutzen etwa 46 Prozent aller Deutschen noch einen Papierkalender. Und ja, ich gebe zu: Ihre Logik ist bestechend. Kein Update, kein Akku, keine Cloud – stattdessen ein ständiger, stummer Begleiter, der nicht vergisst. Meine Mutter trägt Termine mit einer Ernsthaftigkeit ein, die ich maximal bei einem Vorstellungsgespräch aufbringen könnte. Alles hat seinen Platz. Nichts verschwindet.

Jeder Termin wird mit Überzeugung eingetragen und bleibt bestehen. „Ein Kalender lügt nicht“, sagt sie manchmal, während sie mit einem Kugelschreiber die neue Woche plant. „Was man da einträgt, bleibt.“ Vielleicht ist das genau der Punkt: Wo ich Erinnerungen wegwische, plant sie mit bleibendem Nachdruck in Neonfarben.

Zwei Welten, eine Mission: den Überblick behalten

Manchmal frage ich mich, ob sie nicht ein bisschen recht hat, wenn sie diese digitale Organisation kritisch beäugt. Und ich frage mich das meist, wenn ich wieder einmal zur Tür hinauslaufe, nur um zwei Minuten später hektisch zurückzuspurten, weil ich den Termin übersehen habe – trotz mehrer Popups. Meine Mutter kommentiert das immer mit einem Satz: „Ja, solange das bei dir so funktioniert …“ Was sie meint, weiß ich ganz genau.

Inzwischen habe ich aufgegeben, mich für eine Seite zu entscheiden. Das Handy pingt, der Kalender hängt. Die digitale Welt erinnert mich an alles, was ich ignorieren könnte – und der Wandkalender übernimmt den Rest. Wenn das Handy mal versagt, kann ich mich darauf verlassen, dass unser alter Freund in der Küche unbeeindruckt seine Pflicht erfüllt. 

Und ja, Mama, der Biomüll steht auch in meinem Handy. Vielleicht. Ich schau nochmal nach.

Hinweis:

Dieser Beitrag ist Teil des Kolumnenformats „Früher war alles besser… oder?" Weitere Folgen der Kolumne sind: