„Wir haben hier verschiedene Verfahren, bei denen das Merkmal Betäubungsmittel im System hinterlegt ist.“
Cannabisgesetz: Zwischen Rätseln und Widersprüchen
Die Bundesregierung hat am 1. April 2024 das neue Cannabisgesetz eingeführt: Beim Konsum von Cannabis sei die Drogenpolitik vorher an ihre Grenzen gestoßen. Denn trotz der Verbote hätte der Cannabiskonsum vor allem bei jungen Menschen zugenommen. Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gab im Jahr 2021 jeder elfte Jugendliche an, im Alter von 12 bis 17 bereits einmal Cannabis konsumiert zu haben. 50,8 Prozent sind es bei den jungen Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 25. Diese Erkenntnis ist neben der Bekämpfung des Schwarzmarktes für den Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach einer der Gründe, wieso die Legalisierung sinnvoll sei.
Wie hat sich der Arbeitsaufwand für Polizei und Justiz verändert?
„Wir brauchen eine klare Rechtssicherheit, also eindeutige Rechtsbegriffe, mit denen man im Gesetz umgehen kann“, meint der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Alexander Poitz. Das betreffe den Straßenverkehr, das Beamtenrecht, das Dienstrecht und die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Was passiert, wenn Personen Cannabis konsumieren und am nächsten Tag wieder normal arbeiten sollen? Er fügt hinzu: „Ich persönlich habe nichts gegen die Cannabis-Legalisierung. Gegenüber den Medien habe ich aber gesagt, ich halte es für falsch und für fatal, die Verantwortung für eine Legalisierung einer jetzt, oder vor dem 1. April 2024 vorhandenen Droge in die private Verantwortung zu legen.“ Der Staat müsse kontrollieren, was in der Bevölkerung zu Handlungsunsicherheit und Unzufriedenheit führen werde. Auch die Arbeitsbelastung der Polizei werde steigen. Zu den bisherigen Kontrollaufgaben kämen noch neue hinzu. Wenn Nachbar*in x bei Nachbar*in y mehr als die erlaubten drei Pflanzen sieht, werde dies wahrscheinlich zu einer Zunahme der Hinweise führen. Die Polizei müsse dem nachkommen und Personal schicken.
„Ich habe noch niemals ein Gesetz gesehen, das so viele Rätsel enthält“, erzählt Oliver Chama, Richter am Amtsgericht in Ulm. „Man mag politisch zu dem Thema stehen, wie man will, aber handwerklich ist dieses Gesetz katastrophal umgesetzt.“ Wie sich die Arbeitsbelastung entwickeln wird, sei derzeit schwer abzuschätzen. Karen Häußer, Staatsanwältin der Generalstaatsanwaltschaft in Berlin, ist der Meinung, dass sich die Gesetzesänderung auf die Arbeit der Staatsanwaltschaft ausgewirkt habe. „Wir haben verschiedene Verfahren, bei denen das Merkmal Betäubungsmittel im System hinterlegt ist. Ein Verfahren ist nach dem Betäubungsmittelgesetz eingetragen. Dennoch wissen wir aber nicht, ob es dann auch Cannabis ist. Es kann auch Heroin, Kokain oder Ähnliches sein.“ Laut einer Umfrage der Deutschen Richterzeitung müssen derzeit mehr als 200.000 Verfahren noch einmal geprüft werden. Sie waren eigentlich schon rechtskräftig abgeschlossen.
Die Regeln des Gesetzes und seine Widersprüche
Chama rät, die Regeln nicht zu vergessen: „Viele sind da ziemlich naiv. Sie denken teilweise, dieses Gesetz erlaubt mir alles.“ So werde es in den Medien oft verkürzt und nicht juristisch korrekt präsentiert. Sein Tipp: Wer Cannabis kaufe, zu Hause anbaue oder Mitglied eines Anbauvereins werde, solle sich vorher über das Gesetz informieren. Einige Regeln seien unklar. „Einerseits ist es verboten, Cannabis herzustellen und strafbar. Andererseits ist es aber erlaubt und anscheinend auch erwünscht, Cannabis anzupflanzen.“ Ein weiterer Widerspruch: „Wieso soll es jetzt strafbar sein, wenn ich Cannabis im Wald auf dem Boden finde. Es ist aber nicht strafbar, wenn ich zum Bahnhof gehe und ich kaufe mir bis zu 20 Gramm von einem Dealer oder einer Dealerin?“ Konsumiert man Cannabis in der Nähe von Schulen oder Kindergärten, muss man einen Abstand von 100 Metern einhalten. Ist das einfach umsetzbar? Alexander Poitz hat dazu eine klare Meinung: „Die sogenannten Abstandsregeln zu gewissen Einrichtungen wie Schulen, Kitas und Sportstätten halten wir für sehr unrealistisch, weil wir erstens nicht wissen, wo überall solche Einrichtungen sind. Zweitens ist es praxisfern, diese 100 Meter festzulegen, weil wir keinerlei Möglichkeiten haben, das zu überprüfen. Zumindest rein platt gesprochen: Nicht jede Polizistin oder jeder Polizist hat einen Zollstock in der Hand und wird 100 Meter abmessen.“
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Wo liegt der Grenzwert beim Autofahren?
Obwohl Cannabis seit dem 1. April 2024 teil-legalisiert wurde, heißt das noch lange nicht, dass Konsument*innen nun mit einem Joint nach dem anderen im Mund Auto fahren dürfen. Auch hier soll es Begrenzungen geben. Bisher galt ein Richtwert von 1,0 Nanogramm THC pro Milliliter Blut am Steuer. Das ist fast eine Nulltoleranz-Grenze. Eine Expertengruppe des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr hat einen Richtwert von 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter Blut beim Autofahren vorgeschlagen. Diese Empfehlung muss allerdings noch als Gesetz beschlossen werden, um in Kraft zu treten. Die Gerichte würden sich jetzt schon daran orientieren können, kommentiert Chama.
„Diese Spanne von 1,0 zu 3,5 halten wir für sehr groß.“
„Diese 1,0 standen auch nie im Gesetz. Das heißt, das war eine Empfehlung und die haben die Gerichte konsequent umgesetzt.“ Poitz ist überzeugt: „Diese Spanne von 1,0 zu 3,5 halten wir für sehr groß. Wir hätten uns eher als Gewerkschaft der Polizei für einen niedrigeren THC-Gehalt ausgesprochen, um in der Anfangsphase jetzt nach der neuen Rechtslage erst einmal zu schauen, wie in der Chaosphase die Praxis läuft.“ Laut einer Studie des „International Journal of Legal Medicine“ ist vor allem der Zeitpunkt nach dem Cannabiskonsum zu beachten. Deutlich mehr Fahrfehler wurden von 15 Testpersonen direkt nach dem Konsum von bis zu drei Joints begangen. Drei Stunden nach dem Konsum war keine große Zunahme der Fahrfehler mehr zu beobachten. Wie kann die Polizei den THC-Gehalt beim Autofahren kontrollieren? Dieser sei auf der Straße am Fahrzeug nicht überprüfbar, so Poitz. „Wir können lediglich feststellen, ob Cannabis konsumiert wurde, also ob sich THC im Körper befindet. Das hat zur Folge, wenn dieser Verdacht besteht, müssen wir die Person in der momentanen Lage zur Dienststelle mitnehmen. Wir müssen eine Bereitschaftsärztin oder einen Bereitschaftsarzt einbeziehen, der eine Blutentnahme und Blutprobe durchführt.“
Wie sieht die Zukunft des Cannabisgesetzes aus?
CDU und CSU haben nun im Namen von Friedrich Merz betont, die Legalisierung wieder rückgängig machen zu wollen, wenn sie die nächste Wahl gewinnen. Ob es dazu kommt, wird sich wohl erst bei der nächsten Bundestagswahl 2025 zeigen. Zudem ist laut der Bundesregierung vorgesehen, das Gesetz nach seinem Inkrafttreten zu evaluieren. Dies soll vor allem im Hinblick auf den Kinder- und Jugendschutz und die Cannabiskriminalität geschehen.