Die Kinder sind immer bei den Behörden kurz vorm Finanzamt.
Wir können alles. Außer Schwäbisch?
Eine junge Frau lächelt verschmitzt in die Kamera. Mit einer ausdrucksstarken Mimik spricht sie folgende Sätze: „In Germany we don’t say, oh what a beautiful place, I think we should move here. Mir saget im Schwobaländle, joa scho sche hier, aber wared se scho in Baden-Württemberg“. Dies ist eins der bekannten Videoformate der Erzieherin und „Schwäbfluencerin“ Joy, besser bekannt als spatzemitsoos. Als „Schwäbfluencerin“ setzt sie sich für den Erhalt des Dialekts ein. Ihre Zuschauer*innen lernen zum einen mehr über die schwäbische Mentalität und Sprache und zum anderen bekommen sie einen Einblick in ihr Leben auf dem Land. Ihre Mission: anderen zu helfen, wieder mehr zu sich und dem Dialekt zu stehen. Denn auch Joy hat lange keinen Dialekt gesprochen. Nach Angaben des Instituts für Demoskopie Allensbach gaben im Jahr 2008 24 Prozent der Westdeutschen an, „eigentlich immer“ Dialekt zu sprechen. Zehn Jahre zuvor waren es noch 30 Prozent. Aktuellere Zahlen gibt es derzeit noch nicht.
Wir sprechen weniger Dialekt
Rudolf Bühler, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Tübinger Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland, untersucht generell nicht, wie viele Menschen noch Dialekt sprechen. Er schaut, wie viel Dialekt die Menschen noch sprechen. Denn dieser sei adressatenabhängig geworden. Mit manchen Menschen spreche man mehr Dialekt und mit anderen weniger. Wir sprechen also in unterschiedlichen Ausprägungen des Dialekts. Die Untersuchungen zeigten ein großes Spektrum: manchmal reden die Leute nur 40 Prozent des Dialekts und manchmal sogar 80 Prozent. Im Allgemeinen sei klar, dass die jungen Leute heute weniger Dialekt sprechen als die jungen Leute früher.
Die Kinder und das Beamtendeutsch
Auch Joy bemerkt den Rückgang des Dialekts in ihrer Kindergartengruppe. Dort sprechen durchschnittlich noch zwei Kinder Dialekt. Bühler machte bei seinen Untersuchungen über den Gebrauch des Schwäbischen ähnliche Entdeckungen. Bei Befragungen, mit wem die Menschen Dialekt sprechen, werden immer Familie, Freunde, Biergarten und Fußballplatz genannt. Die Kinder hingegen „sind immer bei den Behörden, kurz vorm Finanzamt“, so Bühler. Als Grund dafür sieht er die Angst, dass der Dialekt ein Nachteil sei. Seiner Meinung nach jedoch unbegründet, denn die Kinder, die mit Dialekt aufwachsen, wachsen zweisprachig auf. Zum einen mit der Mundart und zum anderen mit dem Schriftdeutsch. Dies biete keinerlei Nachteile, denn die Kinder können problemlos von der einen zur anderen Sprache wechseln. Daher sei es an den Eltern, ihren Kindern zu vermitteln, dass ein Dialekt kein Makel ist.
Schule fördert – aber nicht den Dialekt
In Joys Kindheit war Dialekt keineswegs ein Makel. Im Gegenteil: als Kind habe sie nur Schwäbisch „gschwätzt“. Aber dann kam die Schulzeit und da „wurde es uns Kindern abtrainiert“, erinnert sich Joy. So wurden aus „Grombiera“ Kartoffeln und aus „Muggabadschr“ die Fliegenklatsche. Auch der allgemeine Trend geht in Richtung Hochdeutsch. Nach Angaben einer landesweiten Untersuchung der Tübinger Arbeitsstelle für Sprache in Südwestdeutschland spricht heutzutage nur noch jeder neunte oder zehnte Erst- oder Zweitklässler*in den alten Ortsdialekt. Eine große Schuld sieht Rudolf Bühler bei der negativen Anhaftung des Dialekts. Dialektsprecher*innen werden häufig mit dem Klischee konfrontiert, unsauber zu sprechen und sich nicht zu bemühen. Sätze wie: „Sprich doch mal schöner“ können bei Kindern den Anschein erwecken, dass seine Sprache hässlich und falsch ist.
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Dialekt in den Medien
Für Joy waren es Klischees wie „ungebildet“, „trampelig“ und „bauernhaft“, die sie vom Dialekt wegbrachten. Um sich anzupassen, sprach sie bis zu ihrem 22. Lebensjahr nur Hochdeutsch. Nach Bühler haben an dem negativen Image auch die Medien einen großen Anteil daran. Denn dort werde der Dialekt als sozialer Makel dargestellt. „Beim Tatort können wir es wunderbar beobachten. […] Es kommt jemand rein und redet Dialekt = Trottel“, erklärt Bühler. Dies beeinflusse die Menschen durchaus.
Beim Tatort können wir es wunderbar beobachten. […] Es kommt jemand rein und redet Dialekt = Trottel.
Wie es auch anders geht, zeigt Joy auf ihrem Kanal. Denn für sie sei das Schwäbische ein Teil ihrer Identität, den sie lange verleugnet habe. In den sozialen Medien erntete sie für ihre schwäbische Aussprache positives Feedback. Kommentare wie „Ich bin froh, endlich jemanden gefunden zu haben, der Dialekt spricht“, waren kein Einzelfall. Da wurde Joy bewusst, wie wichtig es sei, den Dialekt zu repräsentieren. Gesagt, getan. Aus spontan hochgeladenen Videos entwickelte sich ein schwäbischer Inhalt. Joy zeigt auf humorvolle Art und Weise, welche Eigenschaften die Schwaben so mit sich bringen. Doch ihre Videos sind keineswegs ausgedacht: „Vieles erlebe ich im Alltag mit meinen Eltern“, verrät Joy. Für alle Nicht-Schwaben oder „Neigschmeckte“ gibt es immer wieder Lerneinheiten. In dem Format „Mir erkläred Schwäbisch“, übersetzt Joy schwäbische Wörter ins Hochdeutsche und auf Englisch, gibt einen Beispielsatz und bittet die Zuschauer*innen ihr zu helfen, dass der Dialekt nicht ausstirbt. Doch reicht ein Instagram-Kanal, um den Dialekt vor dem Aussterben zu bewahren? Laut Bühler könnte das eine Chance sein, denn dadurch ist das Thema in der Öffentlichkeit präsent.
Wie steht es um den schwäbischen Dialekt?
Bei seinen Vorträgen sagt Bühler immer: „Solange der Dialekt stirbt, geht’s ihm eigentlich noch ganz gut.“ Denn der Dialekt sterbe zwar, er sterbe aber auch schon sehr lange. Bereits vor 200 Jahren habe man angefangen, das Lied des Abgesangs auf den schwäbischen Dialekt zu singen. Nach der Erfindung der Eisenbahn sei die Mobilität der Grund dafür gewesen, weshalb der Dialekt nun aussterbe. 1871 kam die Reichsgründung, die Verwaltung wurde zentralisiert und auch hier wurde wieder das Ende des Dialekts gesehen. Heute, viele weitere Jahre und Ereignisse später, gehe der Dialekt immer noch verloren. Trotz allem sprechen auch noch die jungen Leute Dialekt, zwar „nicht wie ihre Großeltern, aber sie sprechen kein Standarddeutsch“, so Bühler. Alles in allem sei der Dialekt auf einem guten Weg. Nun müssten die Leute: „Bloß noch schwätzen“.