So eine immersive Geschichte ist eine Art Einstiegsdroge.
Wenn Gemälde zum Erlebnis werden
Ich würde mich selbst nicht als kunstinteressiert bezeichnen. Daher ist es nicht überraschend, dass ich noch nie eine Kunstausstellung besucht habe. Das änderte sich aber Mitte Dezember 2022. Einige Wochen vorher sind mir auf Instagram vermehrt die Werbeslides für eine immersive Kunstausstellung aufgefallen. Mit dem Titel „Monets Garten“ soll sie multimedial das Leben und Schaffen des französischen Künstlers Claude Monet beleuchten. Mein Interesse war geweckt und ich buchte mir kurzerhand ein Ticket. Wird Monets Garten es schaffen, mich für Kunst zu interessieren? Gehen die Besucher*innen nur für ein paar neue Instagram Bilder dorthin? Und was bedeutet „immersive Ausstellung“ überhaupt? Letzteres lässt sich schnell beantworten. „Immersive“ bedeutet so viel wie Einbetten oder Eintauchen und war vor allem aus der Welt der Computerspiele bekannt. Die Konsument*innen tauchen in eine virtuelle Realität ein.
Der Trend zu immersiven Ausstellungen boomt
Seit Dezember 2022 erwacht in der Hans-Martin-Schleyer Halle in Stuttgart die Kunst von Claude Monet zum Leben. Die immersive Kunstausstellung Monets Garten führt die Besucher*innen mit Kunstinstallationen und einem Film durch das Leben des Künstlers. In der Kunstwelt hat die Erfolgsgeschichte der immersiven Ausstellungen bereits vor Jahren begonnen und ist immer noch ein Erfolg. Allein Monets Garten findet in fünf Städten gleichzeitig statt, dazu gibt es noch Ausstellungen ähnlicher Machart über Frida Kahlo oder Vincent Van Gogh. Das besondere an den Kunstausstellungen ist, dass sie ohne Originalgemälde auskommen, da alles projiziert wird. Mit verschiedensten multimedialen Elementen sollen die Besucher*innen zum Erleben der Bilder angeregt werden. „Wir wollen den Besuchern keine endlosen Vorträge halten, wir wollen Leute an die Hand nehmen und ihnen etwas erklären und intuitiv spüren lassen“, sagt Nepomuk Schessel, Produzent von Monets Garten. Ein beliebter Ansatz, der für höhere Besucherzahlen als in den meisten Museen führt. „Van Gogh - The immersive Experience“ wurde weltweit von über zwei Millionen Besucher*innen gesehen, und auch Monets Garten kommt auf über 600.000 Besucher*innen.
In Monets Garten kann ich mit einer Handbewegung Elemente auf einer Leinwand bewegen, durch Umarmung Farben zum Explodieren bringen oder durch Abschnitte des Gartens von Monet laufen. Für circa 45 Minuten werden die Besucher*innen auf eine Reise durch Monets Leben mitgenommen. Erzählt wird dies durch eine 360 Grad Film, die gezeigten Bilder schweben links, rechts und unter einem hindurch. Überwältigend. Monets Garten ist eine Veranstaltung, die unterhalten soll und das tut sie.
Mehr Spektakel als Kunst
„Das ist schon eher so etwas wie ein Spektakel, und insofern hat das nur mit Kunst zu tun, weil Künstler*innen an dem Spektakel beteiligt sind oder die Spekatelmacher Kunst dafür benutzen“, so reagiert Christian Posthofen, als ich ihm nach seiner Meinung über immersive Ausstellungen frage. Posthofen ist Professor an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste in Karlsruhe. Für ihn gibt es einen großen Unterschied zwischen den herkömmlichen und immersiven Ausstellungen und es kann einander nicht ersetzen. Immersive Ausstellungen sind darauf aus, möglichst viele Leute zu begeistern. Christian Posthofen meint, auch „so eine immersive Geschichte ist eine Art Einstiegsdroge“, die Ausstellungen seien populär und verführerisch. Gleichzeitig deutet er auch auf den kommerziellen Erfolg der Veranstaltungen hin. „Es gibt dort Interessen, von denen ich glaube, dass sie nicht nur aufklärerisch sind, sondern kommerziell“, sagt Posthofen. Für ihn ist klar, dass umso spektakulärer eine Veranstaltung sei, desto populärer wird sie. Der Gedanke an Aufklärung und die Auseinandersetzung mit Kunst rückt dann in den Hintergrund. Keinen Vorteil sieht er in der immersiven Kunst. Er selbst hat immersive Ausstellungen noch keine Chance gegeben, für ihn ist die Realität wertvoller. „Ich habe mir noch nie eine immersive Ausstellung angeschaut und würde das auch nicht, aber wenn ich die Chance bekomme, ein original Van Gogh zu sehen, würde ich sofort versuchen, da hinzukommen“.
Während des Besuchs von Monets Garten war ich erstaunt und das nicht nur über die Machart der Veranstaltung. Ich war erstaunt von der Vielfalt der Besucher*innen. Nicht nur die Vielzahl, auch die Anzahl der Besucher*innen war höher als ich erwartet habe. An manchen Bildern oder Attraktionen staute es sich schon und dass, obwohl ich die Ausstellung unter der Woche besuchte. Vor meinem Besuch bin ich davon ausgegangen, viele jüngere Menschen in der Ausstellung zu treffen. Jedoch waren alle Altersgruppen vertreten. Von Rentner*innen über die junge Familie bis hin zu Jugendlichen und Kleinkindern. Die typischen „nur ein Instagram Bild machen und dann wieder gehen-Menschen“ habe ich auch nicht gesehen. Natürlich wurden Bilder gemacht, aber ich hatte nicht den Eindruck, die Besucher*innen waren nur dafür da. Ich hatte das Gefühl, die Menschen wollten einfach Kunst erleben, in anderer Form als in Museen.
Die Zukunft der Kunstausstellungen?
Museen haben es nicht mehr so leicht. Die Menschen gehen weniger ins Museum, das besagt eine Umfrage des Allensbacher Marktforschungsinstitut aus dem vergangenen Jahr, dort gaben rund 37 Millionen Menschen ab 14 Jahren an, nie ein Museum zu besuchen und auch die Pandemie hat die Museen hart getroffen. Die Besucherzahlen der Museen erreichen langsam wieder das Niveau vor der Pandemie, aber haben Museen neben den immersiven Ausstellungen noch eine Chance? Alexandra Karabelas würde diese Frage mit „Ja“ beantworten. Sie ist die neue Bereichsleiterin „Besuchererfahrungen“ bei der Staatsgalerie Stuttgart. „Das Museum bietet unterschiedlichste Erfahrungen an, die sich, je nach den individuellen Bedürfnissen, voneinander unterscheiden“, sagt sie und sieht darin viele Vorteile. Die Staatsgalerie Stuttgart hat den Willen, auf jede*n einzugehen, jede*r kann sich wohlfühlen und seine Erfahrungen sammeln, erklärt Karabelas. In einer immersiven Ausstellung wird meist der zeitliche Verbleib bereits vorher definiert, in einer normalen Ausstellung sei man freier in seiner Zeitgestaltung, wie lange man stehen bleibe, wie lange man gehe und das habe etwas für sich, meint Karabelas. Immersive Ausstellungen arbeiten mit Projektionen von Gemälden, die Staatsgalerie hingegen hat Originalgemälde im Haus. Das mache einen großen Unterschied. „Ein Original ist mehr als das, was es abbildet, es ist auch eine Materialität im Raum“, sagt die Bereichsleiterin. Bei einem Original könne man die Textur, den Farbstrich und Erhebungen sehen, und das habe man bei einer Projektion nicht. Dennoch könne sich die Staatsgalerie in Zukunft vorstellen, mal mehr, mal weniger auf immersive Elemente zu setzen. „Am Ende aber entscheidet jede*r Einzelne*r, was er bei uns für sich erlebt. Das ist doch spannend“, sagt Alexandra Karabelas abschließend.
Am Ende aber entscheidet jede*r Einzelne*r, bei uns, was er für sich erlebt. Das ist doch spannend.
Nach dem Film über Monet, geht es durch eine Tür in den typischen Museumsshop. Dort kann man alles zu Monet finden. Bücher, Stifte, Schale, Topflappen, Regenschirme, Handtücher, Malbücher, Kataloge, Filme, Bilder oder Schlüsselanhänger. Kurz umgeschaut und dann die Jacke geholt und raus in die Kälte eines Dezemberabends. So endete meine erste richtige Kunsterfahrung. Es war spannend, unterhaltsam und an manchen Stellen sogar lehrreich. Mich hat es inspiriert mich weiter mit Kunst zu befassen und aufjedenfall dazu bewegt, mal eine nicht immersive Kunstausstellung zu besuchen. Immersive Ausstellungen haben ein eigenes Flair, sie machen Spaß, aber Museen ablösen werden sie nicht. Beide Formen der Kunstvermittlung haben ihre Berechtigung und jede*r darf selbst entscheiden, welche Form eine*n mehr anspricht.
Die immersive Ausstellung Monets Garten findet noch bis zum 23. Feburar 2023 in der Schleyer-Halle Stuttgart statt. Geöffnet Mo-So 10-21 Uhr. Mehr Infos auf der Webseite