„Eine Wahlrechtsreform muss [...] auch praktisch die Legislaturperiode überleben.“
Was muss, das muss!
Viele Köche verderben den Brei. An dieses Sprichwort habe ich nicht nur in nahezu jeder Gruppenarbeit meines Lebens denken müssen, es kommt mir auch sofort in den Sinn, wenn es um die Wahlrechtsreform geht. Denn aktuell besteht der Bundestag aus 736 Abgeordneten, die in den Ausschüssen mit bis zu 50 Menschen Themen diskutieren und voranbringen sollen. Ich weiß ja nicht, wann ihr das letzte Mal mit 50 Leuten eine zielführende Diskussion geführt habt, aber in meinen Augen ist das kaum möglich. Gerade weil viele Köche den Brei verderben und weil viele Köche den Steuerzahler in diesem Fall sehr viel Geld kosten, ist eine Verkleinerung des Bundestags unabdingbar. Eine solche würde die Ampelregierung durch ihre Wahlrechtsreform garantieren.
Was sieht die beschlossene Wahlrechtsreform genau vor?
Die Regelgröße des Parlaments wird von 598 auf 630 Abgeordnete angehoben. Um den Bundestag in seiner Größe konstant zu halten, wird es keine Überhangs- und Ausgleichsmandate mehr geben. Hier ist von einer sogenannten Zweitstimmendeckung die Rede, die zur Folge hat, dass ein Wahlkreissieger nur dann in den Bundestag kommt, wenn seine Partei genug Stimmen erhalten hat.
Die zweite Veränderung ist die Streichung der Grundmandatsklausel. Diese besagt, dass eine Partei, die mindestens drei Direktmandate gewinnt, mit ihrem vollen Zweitstimmenergebnis in den Bundestag zieht, auch wenn sie unter der Fünf-Prozent-Hürde liegt. Diese Streichung kommt einer Schärfung der Fünf-Prozent-Hürde gleich.
Zweck wird erfüllt
Zunächst einmal muss festgestellt werden, dass durch die Reform und dem Instrument der Zweitstimmendeckung die Größe des Bundestags effektiv gedeckelt wird. Damit ist der grundlegende Zweck der Reform bereits erfüllt. Sollte das Bundesverfassungsgericht dieses Gesetz bestätigen, dann ist es somit schonmal als erfolgreich anzusehen.
Neben dem Anspruch, den Bundestag zu verkleinern, sollte die Reform aber auch fair sein. Jelena von Achenbach, die als Juniorprofessorin für öffentliches Recht die Ampelregierung bei der Ausarbeitung der Wahlrechtsreform beraten hat, erklärt, die Grundidee sei es gewesen, eine Wahlrechtsreform zu schaffen, die alle Parteien, die jetzt im Bundestag sind, gleichermaßen betreffe. Dieser Vorsatz ist so auch eingehalten worden, denn anders als bei den Vorschlägen der Union wird bei einem Blick auf die Infografik deutlich, dass keine Partei bevorzugt wird. Jede Partei verliert über die Abschaffung der Überhang- und Ausgleichsmandate entsprechend ihrem Kräfteverhältnis Mandate. Fairer geht es nicht.
Kritik von links und aus Bayern
Bei der Betrachtung der Infografik wird jedoch auch schnell klar, dass die Linke alles andere als von der Wahlrechtsreform profitiert und 2021 unter diesen Umständen nicht in den Bundestag eingezogen wäre. Auch die CSU als bundesweit kleine Partei sieht sich durch die Abschaffung der Grundmandatsklausel bedroht. Ihr Hauptkritikpunkt: Die mangelnde Repräsentation der Wählerschaft.
Bernd Riexinger, Linken-Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Stuttgart, führt verwaiste und zu große Wahlkreise in seiner Argumentation gegen die Reform an. Darüber hinaus wäre ein so signifikanter Wegfall von Stimmen, wie er bereits stattfindet und durch die Reform tendenziell verstärkt werden würde, „demokratisch nicht durchhaltbar“. Dieses Phänomen würde tendenziell vor allem in Regionen auftreten, die bereits in der politischen Diskussion unterrepräsentiert sind.
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Repräsentation des Wählerwillens
Verwaiste Wahlkreise, zu denen es kommen könnte, die in der Realität nach Modellberechnungen jedoch nur in seltenen Fällen vorkommen werden, sind ein gern genutztes Gegenargument. Doch sie sind nicht nur durch die Häufigkeit ihres Auftretens zu relativieren, sondern auch durch den Grundsatz der demokratischen Repräsentation: Es ist die Idee der demokratischen Repräsentation, dass alle Abgeordneten das ganze Volk vertreten. Die allgemeine Repräsentation der Wählerstimmen ist somit nicht gefährdet und vielmehr als auf das Mandat des Wahlkreises kommt es doch ohnehin auf die Partei an, die hinter diesem Mandat steht. Ebenfalls pointiert Jelena von Achenbach die „zentrale Erwartung der Bürgerinnen und Bürger an das Wahlrecht in Deutschland, dass es eine proportionale Abbildung des Kräfteverhältnisses der Parteien gibt“, die Verhältnisstimme wäre in diesem Fall von bedeutenderer Gewichtung.
Doch was, wenn es meine gewählte Partei gar nicht erst in den Bundestag schafft? Allein diese Fragestellung und der drohende Wegfall von einem signifikanten Teil der Wählerstimmen ist für mich ausschlaggebend, die Schärfung der Fünf-Prozent-Hürde in dieser Form in Frage zu stellen.
Für mich steht die Verhältniswahl im Vordergrund, weshalb ich die Reform als fair betrachte. Doch hätte ich mir ähnlich wie Bernd Riexinger einen Kompromiss zwischen den Parteien in Bezug auf die Schärfung der Fünf-Prozent-Hürde gewünscht: „Eine Wahlrechtsreform muss in einem Konsens hergestellt werden und muss auch praktisch die Legislaturperiode überleben“. Durch eine Senkung der Fünf-Prozent-Hürde oder die Beibehaltung der Grundmandatsklausel, könnte jegliches Gegenargument im Keim erstickt werden und die Parteien hätten einen Konsens, der auch in Zukunft und mit etwaigen Veränderungen in der Regierungszusammensetzung Bestand hat.
Für mich eine klassische Win-Win-Situation für Politik und Bürger*innen. Denn für eine Änderung des Wahlrechts bedarf es keine Verfassungsänderung und ein so wichtiges Gesetz sollte Bestandstauglich verfasst werden, bevor es die nächste Regierung wieder nach ihren Vorlieben verändert. Ich bin jedenfalls gespannt, wie wir den nächsten – hoffentlich kleineren – Bundestag wählen werden. Bleibt abzuwarten, was das Bundesverfassungsgericht entscheidet.
Alles in allem müssen ein paar Abgeordnete den metaphorischen Kochlöffel niederlegen und raus aus der Küche – ähm, ich meine natürlich aus dem Bundestag.