„Mehr Demokratie wagen“
Freitags für die Zukunft demonstrieren, die Doppelstunde Mathe erstmal hintenanstellen – werden junge Menschen immer politischer? Die Jugendstudien von Shell bestätigen diese These. Sind es im Jahr 2002 noch 34 Prozent der Jugendlichen, die sich selbst als politisch interessiert bezeichnen, sind es 2019 schon 41 Prozent. Auch die Partizipation von Erstwähler*innen an Wahlen in Deutschland lässt einen solchen Trend erkennen. Seit der Bundestagswahl 2009 stieg deren Wahlbeteiligung konstant an und wuchs laut Bundeswahlleiter auf knapp 70 Prozent.
Das gestiegene politische Interesse von Jugendlichen bestätigt auch der Soziologe Björn Milbradt vom Deutschen Jugendinstitut. Gleichzeitig betont er aber: „Es wird zwar oft von der ‚Generation Greta‘ geredet und dabei mittransportiert, dass man eine Aussage über ‚die Jugendlichen‘ im Allgemeinen treffen kann. Ich denke aber, dass man das viel stärker differenzieren muss und man den jungen Menschen mit so einer pauschalen Zuschreibung nicht gerecht wird.“ Fraglich ist also nicht, ob das allgemeine politische Interesse gestiegen ist, sondern vielmehr, ob das transportierte Bild der Jugend als einheitliches Gebilde einer komplexen Welt gerecht wird.
Die Wahlaltersenkung kommt
Die Politisierung der Jugend soll sich in Zukunft auch im Wahlrecht zum Deutschen Bundestag widerspiegeln. Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP hat in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, dass das Wahlalter auf 16 Jahre herabgesenkt werden soll. Ob sie dieses Vorhaben allerdings auch in die Tat umsetzen kann, hängt davon ab, ob die für eine Grundgesetzänderung nötige Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat organisiert werden kann. In vielen Bundesländern ist das Wahlalter für Wahlen auf Landes- oder Kommunalebene bereits auf 16 Jahre gesenkt worden.
Mehr politische Bildung
Häufig ist zu hören, dass Jugendlichen vor allem die nötige Verständnisfähigkeit fehle, um schon mit 16 Jahren zu wählen. Die Sozial- und Politikwissenschaftlerin Regina Renner widerspricht dieser Argumentation: „Aus der Entwicklungspsychologie wissen wir, dass mit 13 oder 14 Jahren die kognitiv-moralische Entwicklung schon so weit ist, dass junge Menschen über sich hinausblicken und die Gesamtgesellschaft mit einbeziehen können.” Junge Menschen seien theoretisch dazu fähig, abstrakte politische Zusammenhänge zu beurteilen. Renner appelliert gleichzeitig für mehr politische Bildung an Schulen und in der Jugendarbeit – unabhängig des sozialen Standes. Dies trage dazu bei, dass Heranwachsende die vorhandenen kognitiven Fähigkeiten auch zu nutzen wüssten und so noch mündiger werden würden. Aus pädagogischer und entwicklungspsychologischer Sicht spreche nichts gegen eine Herabsenkung des Wahlalters.
Was die Senkung des Wahlalters bewirken könnte
In anderen Ländern Europas ist das Wahlalter bereits gesenkt worden. Renner verweist auf Österreich und sieht unseren Nachbarn als positives Beispiel. Hier wurde das Wahlalter 2007 auf 16 Jahre gesenkt und seitdem vermehrt auf politische Bildung im Schulsystem gesetzt. Heute, einige Jahre nach der Entscheidung, erkennt die Wissenschaftlerin positive Auswirkungen auf die Jugend, beispielsweise ein gesteigertes politisches Interesse.
Auch die Politik selbst würde sich durch eine Herabsenkung des Wahlalters – zumindest etwas – ändern müssen. „Natürlich kann man die demografische Lage jetzt nicht ummodeln, aber junge Menschen hätten dann zumindest die Möglichkeit, ihre Themen auch mit ihrer Stimme offen zum Ausdruck zu bringen”, findet Renner. Die Themen junger Menschen würden stärker in den Fokus der Politiker*innen rücken und diese müssten explizit um die Stimmen der Jugend werben.
Der Blick zurück
Über eine Wahlaltersenkung wurde in der deutschen Geschichte schon öfter diskutiert. Seit 1972 dürfen auch 18-Jährige den Bundestag mitwählen. Wenn ihr noch mehr über die Geschichte des Wahlalters wissen wollt, dann hört gerne in unseren Edit.erklärt-Podcast rein.