„Die prominentesten Fälle schreibt das richtige Leben - das ist tatsächlich so.“
Lass uns über Mord sprechen
HdM-Studentin Luisa Bleich und Joost Schmidt haben seit Anfang des Jahres den True Crime Podcast „5 Minuten vor dem Tod - Der Kriminalpodcast“. Dieser befasst sich mit der Frage: Was passierte in den fünf Minuten, bevor das Opfer starb? Auch den beiden Podcaster*innen haben Fans schon geschrieben, dass sie ihren Podcast gerne zum Einschlafen hören. „Ich kann das nicht verstehen“, sagt Luisa. Auf die Frage, warum sich Menschen für wahre Verbrechen begeistern können, hat sie jedoch eine Antwort: „Ich glaube viele Menschen finden es auf schockierende Art und Weise faszinierend, wozu Menschen fähig sind und was für menschliche Abgründe es gibt.“
Johanna Schäwel, Kommunikationswissenschaftlerin und Medienpsychologin an der Universität Hohenheim, hat eine Erklärung dafür, warum Menschen trotzdem beruhigt schlafen können. „Neben der Furcht gibt es bei True Crime noch einen weiteren Aspekt: das gute Gefühl, dass man selbst gerade nicht in der bedrohlichen Situation ist. Dies kann dafür sorgen, dass wir beruhigt einschlafen können." Das allgemeine Interesse an wahren Verbrechen erklärt sie anhand der starken Emotion Angst. „Sie ist ein tiefsitzender Instinkt. Wahre Verbrechen wecken diese Emotion, weshalb sie so anregend sind.“
True Crime ist Frauensache
Jörg Kinzig, Direktor des Instituts für Kriminologie an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, führt die Faszination auf die Erkenntnis zurück, dass True Crime eben nicht fiktional sei und vor dem Hintergrund eines gewissen Grusels stattfinde. Die Hörer*innen könnten sich immer die Frage stellen: Könnte mir das auch passieren? Besonders weibliche Fans, die den Großteil der Hörer*innenschaft ausmachen, befassen sich mit dieser Frage. Schäwel erklärt die Gründe, die die Forschung bisher dafür hat: „Frauen interessieren sich sehr stark für die psychologischen Variablen, die zu einer Tat führen und möchten sowohl Täter als auch Opfer verstehen. Und, sie haben das Motiv der Verteidigungsstrategie, sie möchten sich auf den Ernstfall vorbereiten.“
Bei Studentin Franziska Schmidt (Franzi) startete das Interesse für True Crime mit dem Podcast „Mordlust“. Auch sie interessiert sich für die psychologischen Gründe und die Persönlichkeiten hinter den Verbrechen. „Mich fasziniert einfach, dass Leute so etwas Abartiges machen können, was für mich unbegreiflich ist“, sagt sie. „Außerdem ist der Schockfaktor höher, wenn du weißt, dass es wirklich passiert ist.“
Genau dieser Wahrheitsgehalt ist auch für Kinzig ein Grund der Faszination. Autor*innen könnten sich die verrücktesten Fälle ausdenken, am Ende werden sie meistens von Verbrechen des tatsächlichen Lebens getoppt. „Ich hätte beinahe gesagt, dass die dann nochmal irrer sind, als das, was sich ein Einzelner vorstellen kann", sagt Kinzig. So eine wahre Geschichte ist die des Josef Fritzl. Josef Fritzl hielt seine eigene Tochter 24 Jahre im Keller seines eigenen Hauses gefangen und zeugte sieben Kinder mit ihr. Die Kinder legte er teilweise vor die eigene Haustüre und erzählte seiner Frau, es sei jetzt die Aufgabe der Großeltern, die Kinder großzuziehen. Seine Frau ging davon aus, dass ihre Tochter die Kinder abgelegt hatte, weil sie sich nicht selber um sie kümmern konnte. Die Tat flog auf, als eines der „Kellerkinder“ erkrankte und die Ärzte Verdacht schöpften.
Aktenzeichen XY - ein alter Klassiker
Einen frühen Beleg für die Attraktivität des True Crime Formats sieht Jörg Kinzig in „Aktenzeichen XY“. Tatsächlich gibt es keinen festen Ursprung, auf den True Crime zurückzuführen ist. In einem Beitrag von Deutschlandfunk geht der Medienwissenschaftler Jens Ruchatz bis auf den Bänkelsang im Mittelalter zurück. Die Sänger trugen schaurige Geschichten, die angeblich so stattgefunden haben, einem Publikum gegen Geld vor. Betrachtet man jedoch die jüngste Vergangenheit, zählen „Aktenzeichen XY“ und der amerikanische Podcast „Serial“ zu den Meilensteinen der True Crime Entwicklung. In den folgenden Jahren springen immer mehr Medien und Formate auf den Zug auf.
Das Netflix für die Ohren
Besonders beliebt bei vielen True Crime Fans sind Podcasts. Für Luisa haben sie einen großen Vorteil: „Du musst nichts schauen. Es funktioniert gut nebenher und außerdem sind Podcasts gerade voll im Trend.“ Tatsachlich steigt die Hörerschaft von Podcasts in den vergangenen Jahren in Deutschland kontinuierlich. Laut statista hörten 2016 14 Prozent der Deutschen Podcasts, 2020 liegt die Zahl bei 33 Prozent. Im Vergleich zu anderen Ländern liegt Deutschland jedoch weit hinten. An der Spitze steht Spanien mit 41 Prozent an Podcasthörer*innen. True Crime Fan Franzi sieht in Podcasts eine persönlichere Plattform. „Meistens unterhalten sich zwei Personen, da hat man das Gefühl in das Gespräch integriert zu werden und es wird auch mal gelacht.“
„Wir wollten keinen klassischen Laberpodcast machen.“
Auch interessant
Die Idee für ihren Podcast stammt von Joost, den Luisa während des Praxissemesters bei DASDING kennenlernt. Joost kommt von der Audioschiene, Luisa hatte Lust auf etwas Neues. Die Entscheidung, einen True Crime Podcast zu machen, fiel relativ schnell. Das Interesse bestand auf beiden Seiten und sie waren sich einig, dass ein „Laberpodcast“ nicht in Frage kommt. „Da haben wir uns halt einfach beide nicht gesehen“, sagt Luisa.
Ted Bundy 2.0?
Doch einen gewissen Beigeschmack hat das True Crime Format. Ist es nicht die perfekte Plattform für Nachahmungstäter*innen? Müssen wir uns vor dem nächsten Ted Bundy fürchten, der Studentinnen tötet? Jörg Kinzig gibt Entwarnung: „Ich beobachte jetzt nicht, dass das irgendwie epidemische Ausmaße annimmt, dass da Nachahmungen entstehen, zumal es die Fälle ja im realen Leben gibt.“ Meist werden in den verschiedenen True Crime Formaten Fälle behandelt, über die bereits publiziert wurde. Die Vorlage für Nachahmungstaten gab es also schon. Trotzdem kann die erneute Berichterstattung über ein Verbrechen die Täter*innen wieder in den Fokus rücken. Das kann negative Auswirkungen auf die Resozialisierung haben. Resozialisierung bezeichnet die Wiedereingliederung von Verbrecher*innen in den normalen, sozialen Alltag.
Um Täter*innen und Opfer nicht zu gefährden, ist also Vorsicht geboten. „Wichtig ist vor allem, wie man mit dem Thema umgeht“, sagt Luisa. Oft werden die Namen der beteiligten Personen geändert, um die Privatsphäre der Täter*innen, Opfer und Angehörigen zu schützen. Luisa wird auch in Zukunft mit Joost weiterhin über wahre Verbrechen sprechen und ihre Gedanken mit den Zuhörer*innen teilen. Und während die einen noch ängstlich unter ihr Bett schauen, werden andere zu den Geschichten von wahren Verbrechen ihre Augen schließen.