„Man muss die Balance zum Tier finden.“
Tierische Trekkingtour
Kleine Schneeflocken fallen vom Himmel herab. Über Nacht haben sie die Weinberge in eine weiße Decke gehüllt. Die ersten Spaziergänger haben bereits Fußspuren im Schnee hinterlassen, die Fährte daneben ist aber ungewöhnlich. Sie gehören weder zu Pfoten noch zu Hufen oder Klauen. Es sind die Abdrücke weicher Schwielen mit je zwei Zehennägeln. Hinterlassen hat sie eine Karawane aus Neuweltkamelen. Vier Alpakas bahnen sich ihren Weg durch den Schnee. Wir sind gerade mitten in einer Alpakawanderung in Stuttgart-Untertürkheim.
Veranstaltet wird das Trekking von Gabriele Schäfer. Seit 2005 ist sie stolze Alpakabesitzerin. Mittlerweile hat sie auf ihrer Ranch am Fuße des Württembergs mehrere Dutzend Tiere, die Württemberg Alpakas. Zunächst weist Schäfer die Teilnehmer, heute eine Familie aus Stuttgart, im Führen der Alpakas ein: Zug auf den Führstrick gegeben, bis das Tier einen Schritt vorwärts geht. Dann wieder lockerlassen und bestimmt vorwärtslaufen. Bei zu viel Zug stemmen sich die Tiere dagegen, ist man nicht bestimmt genug, bleiben sie einfach stehen. Mit etwas Übung hat man den Dreh raus.
Mutter Judith ist begeistert. Dass man so viel Neues über die Tiere lernt, findet sie besonders schön. „Ich wusste gar nicht, dass es keine Alpakas in der Wildnis gibt“, gesteht sie ein. Denn während der Wanderung lernt man nicht nur die entspannten Exoten kennen, sondern erfährt auch viel über deren Herkunft und Haltung. Alpakas gehören zur Familie der Kamele. Das Alpaka stammt vom Vikunja ab und wurde für seine Wolle und für das Fleisch gezüchtet. Dagegen ist das größer gebaute Lama ein Nachfahre des Guanakos und wird als Lastentier genutzt. Beide domestizierten Kamelformen sind in den Andengebieten in Chile, Peru und Bolivien beheimatet. Mit Tritten wehren sie sich gegen ihren natürlichen Feind: den Andenschakal. Dieser ähnelt unserem heimischen Fuchs, was dazu führt, dass einige Bauernhöfe Alpakas als Security gegen die Hühnerdiebe einsetzen.
Die Gelassenheit der Tiere zieht uns in ihren Bann. „Schau einem Alpaka nie zu lange in die Augen, du könntest dich verlieben“, besagt ein alter Spruch der Quechua-Indianer. „Bei mir hat das funktioniert“, gibt Schäfer lachend zu. Auch die Teilnehmer der Wanderung sind begeistert. „Die sind so süß!“, schwärmt die neunjährige Tita. Die Tiere können aber auch anders, innerhalb der Herde herrscht eine strenge Rangordnung. Gerade bei Jungtieren ist es deshalb wichtig, nicht zu sehr zu kuscheln, sonst wird der Mensch als Artgenosse angesehen. Wird dieses Jungtier dann geschlechtsreif, würde es sich dem Menschen gegenüber aggressiv verhalten, um seinen Rang zu klären. Besonders Hengste sind dabei nicht gerade zimperlich. Die Tiere drücken ihre Artgenossen dann auch mal zu Boden.
Und wie ist es mit dem bekannten Spucken? „Alpakas sind Herdentiere, können nicht ohne einander aber halten immer eine Armlänge Abstand“, erklärt Schäfer. Fühlt sich ein ranghöheres Tier von einem Artgenossen bedrängt, signalisiert es dies zunächst mit Körpersprache. Wird diese Warnung ignoriert, kann durchaus mal gespuckt werden.
„Alpakas sind keine Kuscheltiere.“
Im Moment trotten die Vierbeiner aber seelenruhig vor sich hin. Es geht bergauf und -ab. Der Schnee verwandelt sich nach und nach in Schneeregen und durchnässt unsere Kleidung. Die Alpakas besitzen ein dichtes Vlies, das sie warm und trocken hält. In den Anden herrschen kalte Nächte und warme Tage, mit dem Klima in Deutschland kommen die Tiere daher generell gut zurecht. Nur deutlich trockener ist es in den Andenregionen, bei länger anhaltendem Regen ziehen sich die Tiere hier unter ihrem Unterstand zurück. Jedes Frühjahr werden die Tiere geschoren. Das ist wichtig, da das Fell sonst immer weiterwächst. Die Tierschutzorganisation Peta kritisiert auf ihrer Webseite die Methode der Schur, bei der die Alpakas „an allen vier Füßen gefesselt und von mehreren Farmern niedergedrückt werden, um von der stressreichen Schur nicht zu fliehen“. Laut Schäfer sei dies aber „die schonendste und schnellste Methode“, da das Fixieren dazu diene, die Tiere bei der Schur nicht versehentlich zu verletzen. Dafür kommen extra professionelle Scherer. „Das sind acht bis zehn Minuten in denen das Alpaka ein bisschen Stress hat, dann werden sie abgeschnallt, laufen drei Meter, schütteln sich und fressen weiter“, beschreibt Schäfer den Vorgang. Die Wolle lässt sie hin und wieder bei kleinen Wollmühlen verarbeiten.
Wir sind nach einer guten Stunde wieder bei den Stallungen angekommen. Die Tiere werden zurück in ihren Auslauf gebracht und fressen gemütlich Heu. „Das ist meine Therapie, mein Ausgleich, Entschleunigung“, schwärmt die Alpakazüchterin von ihren Tieren. Wer bei einer Wanderung mitmacht, kann dies selbst erfahren. Sie sind ruhig aber neugierig, kuschlig süß aber nicht zum Knuddeln – und genau diese außergewöhnliche Mischung macht Alpakas so besonders.
Immer mehr Alpakahalter bieten Wanderungen und Events mit ihren Tieren an.
Wer sich für die Wanderungen in Stuttgart-Untertürkeim interessiert, findet weitere Infos auf der Webseite von Gabriele Schäfer unter: