Selbstfürsorge und der Preis der Perfektion
Mit über 367 Tausend Beiträge auf TikTok verspricht der „Romanticize your life“-Trend, im Gewöhnlichen etwas Außergewöhnliches zu finden. Creator*innen zeigen meist Tipps, die einfach gehalten sind: ein Buch im Freien lesen oder eine Kerze beim Lernen. Was anfangs wie harmlose Selbstfürsorge aussieht, kann sich auch als etwas Negatives entpuppen.
Es ist nicht alles Gold was glänzt
Einige Creator*innen nutzen den Trend aus, um ihrer Zuschauerschaft Produkte zu empfehlen, ohne welche sie ihr Leben nicht optimieren können. Das kann beispielsweise eine Influencerin sein, die in Videos teure Makeup-Produkte zeigt, welche für ihren „perfekten“ Look unverzichtbar sind. Am besten geben sie gleich einen Rabattcode mit, welchen sie zufälligerweise für ihre Zuschauerschaft ergattern konnten, und verdienen somit sich etwas dazu.
Der Allgemeinheit Tipps zu geben ist nichts Verwerfliches. Für Menschen, die beispielsweise das Schminken erlernen wollen, können solche Videos praktisch sein. Auch wenn die Produkte gut sind und die Qualität deswegen den Preis in die Höhe steigen lässt, ist das noch einigermaßen nachvollziehbar. Dennoch kann durch Social Media ein erheblicher Druck ausgeübt werden. Das kann dazu führen, dass Menschen Produkte kaufen, die sie unter normalen Umständen nicht benötigen würden. Dies geschieht oft in dem Glauben, dadurch dem Ziel „Glücklich sein“ näherzukommen.
Dieser Druck verstärkt zudem das sich ständige Vergleichen mit den meist inszenierten Leben aus den sozialen Plattformen und kann die eigene Wahrnehmung der Realität verzerren. Beispielsweise kann man denken, dass ein „perfekter“ Tag damit beginnt, um 5 Uhr aufzustehen, zu meditieren und dann ein aufwendiges Frühstück zubereiten - was für viele im Alltag schlichtweg nicht realisierbar ist.
Besonders problematisch kann dieser Trend für Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen sein. Für diese Menschen können bereits einfache Aufgaben wie Duschen, Zähneputzen oder am Schreibtisch zu lernen eine große Herausforderung darstellen. Anstatt das angestrebte entspannte und ästhetische Leben zu erreichen, können solche Vergleiche zu Frustration und Überforderung führen und die Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben verstärkt werden.
Generell zeigt der Romantisierungshype Ähnlichkeiten zu anderen Social Media Trends, insbesondere durch die Darstellung von unrealistischen Lebensweisen. Die Videos wirken wie Fortsetzungen des „Clean-Girl“-Trends oder auch des „That-Girl“-Trends. Diese standen bereits häufiger in Kritik, da sie oft unrealistische Schönheits- und Lebensstandards fördern. So werden dort makellos aussehende Personen gezeigt, die scheinbar mühelos einen perfekt organisierten Alltag, eine erfolgreiche Karriere und ein erfülltes Sozialleben haben und denen keine Aufgabe zur Last fällt - ein Ideal, das für die meisten Menschen unerreichbar ist.
Erkenne die Grenzen
Das Leben positiver zu sehen und dieses ebenfalls kreativ zu gestalten ist vollkommen berechtigt. Dennoch sollten nicht alle Themen schöngeredet werden. Problematisch wird es besonders dann, wenn auf sozialen Plattformen psychische Krankheiten verharmlost und als Teil eines „Lifestyles“ beziehungsweise eines Trends dargestellt werden. Der aktuelle Trend vermittelt den Eindruck, dass durch eine Lifestyle-Änderung das Leben komplett verändert werden kann und Probleme und Herausforderungen verharmlost werden. Durch das Ignorieren von Problemen und Emotionen kann die Ernsthaftigkeit unterschätzt werden. Achtsamkeitsübungen und positive Routinen können hilfreich sein, aber sie ersetzen keine professionelle Unterstützung bei ernsthaften psychischen Problemen.
Grenzen zu erkennen und die Ups und Downs des Lebens zu akzeptieren sind wichtig, denn nur man selbst entscheidet, wie man lebt. Der Trend, das eigene Leben zu romantisieren, kann unrealistische Erwartungen und ein verzerrtes Bild von der Realität schaffen. Keiner soll einem vorschreiben, wie man zu leben hat, vor allem nicht in den sozialen Medien.
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