„Massenstudihaltung, nein danke!“
„Man wollte einfach über die Themen reden, die den jungen Leuten damals unter den Nägeln gebrannt haben und das hat sich kaum an der Universität gefunden. Man ist eigentlich nur in die Vorlesung gegangen, um sie zu sprengen.“ So beschreibt Bernd Hecktor seine Studienzeit während der 68er Proteste. Die damaligen Proteste sind mittlerweile zu einem Mythos der deutschen Nachkriegszeit geworden. Der vor allem von Studenten und jungen Menschen getragene Protest wurde zu einer Kritik am gesamten gesellschaftlichen System, in dem die Probleme an den Hochschulen als Symptome der gesellschaftlichen Missstände gesehen wurden. Die Studentenproteste, die der 68er Generation folgten, hatten ihren Fokus vor allem auf bildungspolitischen Themen.
Die Proteste stellten weniger das gesellschaftliche System in Frage, vielmehr fand eine Solidarität mit der eigenen Hochschule statt. Es wurde nicht gegen, sondern für das gemeinsame Bildungswesen protestiert. Die Forderungen waren sich dabei über die Jahrzehnte sehr ähnlich. So wurde gegen Studiengebühren, Sparmaßnahmen und Zugangsbeschränkungen protestiert und für mehr studentisches Mitspracherecht, Chancengleichheit und selbstbestimmtes Lernen.
Die Angst vor einer jungen oppositionellen Kraft
Die studentische Mitsprache war in den Protesten der 70er Jahre in Baden-Württemberg von großer Bedeutung. Mit dem RAF Terror im Hintergrund wurde hier die studentische Partizipation von Seiten der Politik in Frage gestellt. Die Einführung des Hochschulrahmengesetztes nahm die damalige CDU Landesregierung zum Anlass, die Verfasste Studierendenschaft zu verbieten In der Begründung wurden die Studierendenvertretungen als ein „Sympathisantensumpf“ des linken Terrors bezeichnet. Es sollte 35 Jahre dauern, bis eine rot-grüne Landesregierung den inzwischen unabhängigen Studierendenvertretungen das politische Mandat zurückgab.
Mehr Demokratie wagen
Mit den aktuellen Fehlentwicklungen im deutschen Bildungssystem beschäftigt sich das 2015 gegründete Bündnis „Lernfabriken...meutern!“. Mitglied Sandro Philippi ist Student der politischen Theorie an der Uni Frankfurt und begründet seinen Einsatz mit der Beobachtung von Ausgrenzungen: „Ich habe in der Schulzeit gemerkt, dass viele Menschen übersehen werden, weil sie sich nicht so einbringen können, wie es gefordert ist. Im Gymnasium muss die akademische, bildungsbürgerliche Sprechweise beherrscht werden und wenn du das nicht kannst, dann fliegst du halt über kurz oder lang raus. Das fand ich als Schüler schon suspekt.“
Das Bündnis, das sich aus verschiedenen Ortsgruppen zusammensetzt, fordert eine Demokratisierung des Bildungssystems. Hinter diesem weiten Begriff stehen konkrete Ziele, die nicht nur für Studierende, sondern auch für Schüler und sämtliche Mitarbeiter des Bildungssystems erreicht werden sollen. So werden beispielsweise die Zeitverträge von Wissenschaftlern an Universitäten stark kritisiert, die Werksverträge für Lehrbeauftragte hinterfragt oder ein besserer Arbeitsschutz für studentische Hilfskräfte gefordert. Alle Gruppen an der Hochschule sollten mindestens gleichberechtigt an den Entscheidungen über Lehre, Wissenschaft und Infrastruktur mitbestimmen dürfen. Der Senat von Hochschulen, in dem es oft eine professorale Mehrheit gibt, sollte fairer zusammengesetzt sein. Auch die Finanzierung von Universitäten durch die leistungsorientierte Mittelvergabe gehört laut „Lernfabriken...meutern!“ überdacht: „Es ist gerade ein Problem, Bachelor-Betreuungen für bestimmte Themen zu bekommen, weil in diesen Themengebieten keine Lehre oder nicht genug Lehre angeboten wird und das, obwohl es ein studentisches Interesse und eine gesellschaftliche Relevanz für die Thematik gäbe. Aber das Geld kommt einfach nicht an“, erzählt Philippi.
Die Forderungen sollen durch bundesweite Aktionswochen in die Öffentlichkeit getragen werden. Ab 19. Juni finden deutschlandweit Streiks, Proteste, Bildungscamps und Workshops in verschiedenen Städten statt, die von den jeweiligen Ortsgruppen individuell organisiert werden. Das Bündnis konzentriert sich zwar auf ganz konkrete Problemstellungen, hat aber, im Sinne der 68er Generation, immer auch die Gesellschaft als Ganzes im Blick. „Bildung ist immer davon abhängig wie Gesellschaft funktioniert“, weiß Sandro Philippi. „Was wir erst mal nennen können sind Kritik und Zwischenziele, die auch realistisch zu erreichen sind und die die Betroffenen wirklich interessieren. Die Schüler, Studenten und Wissenschaftler haben konkrete Probleme, die es zu lösen gilt, um dann handlungsfähig zu werden für die ganz großen Fragen.“