Im falschen Körper geboren
Für Martina Froesch war eine Sache in jungen Jahren schon klar: „Ich weiß, wer ich bin, ich wusste auch als Kind schon, wer ich bin. Meine Mutter hat sehr oft zu mir gesagt: Mach dies nicht, mach jenes nicht, du bist doch kein Mädchen. Ich habe gesagt: Doch. Sie hat gesagt: Nein, guck doch an dir runter.“ Heute kann die studierte Biophysikerin und Patentanwältin darüber lachen. Seit fünf Jahren engagiert sie sich im Verein Aktion Transsexualität und Menschenrecht (ATME e.V.) in Ludwigsburg.
Der Verein wurde 2008 von Kim Schicklang und Christina Schieferdecker gegründet und war im gleichen Jahr bereits bei der Frauenrechtskonvention (CEDAW) der Vereinten Nationen mit einem Menschenrechtsbericht vertreten.
Die rund 80 Mitglieder in ganz Deutschland leisten Aufklärungsarbeit für das Thema Transsexualität. Sie kritisieren unter anderem die medialen Berichterstattungen zum Thema und veröffentlichen eigene Ratgeber und Berichte, in denen es auch um die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse geht. Das Wort Transsexualität wird vom englischen Begriff für das körperliche Geschlecht („sex“) abgeleitet und bezieht sich somit nicht auf die sexuelle Orientierung eines Menschen. Es bezeichnet die Abweichung zwischen empfundenem Geschlecht und den geschlechtlichen Körpermerkmalen. In Deutschland leben schätzungsweise 60.000 bis 100.000 transsexuelle Menschen.
Das Geschlecht lässt sich nicht immer am Geschlechtsorgan ablesen
Forscher konnten nachweisen, dass sich das Wissen um die geschlechtliche Zugehörigkeit unabhängig vom körperlichen Erscheinungsbild oder der Erziehung entwickelt. Beim geschlechtlichen Ausreifungsprozess des Menschen im Mutterleib spielen hormonelle und genetischen Faktoren sowie ihr Zusammenspiel eine Rolle. Die körperlichen Geschlechtsmerkmale und das Gehirn können sich unabhängig voneinander „geschlechtlich“ entwickeln. Der Mensch, so vermuten Wissenschaftler, kommt mit einem im Gehirn verankerten Wissen um das eigene Geschlecht auf die Welt. Eine transsexuelle Frau ist demzufolge kein „Mann, der zur Frau wird“, sondern eine Frau, die mit „vermännlichten“ Körpermerkmalen geboren wurde.
Transsexualität als psychische Störung
Das 1980 eingeführte Transsexuellengesetz (TSG) und die Leitlinie des medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) geben vor, welche Schritte eine transsexuelle Person in Deutschland zu machen hat, wenn eine medizinische Therapie gewünscht wird oder offizielle Papiere geändert werden sollen.
Die Notwendigkeit von Gutachten verstößt nach Meinung des Vereins gegen die Menschenrechte, da dabei eine Fremdgeschlechtszuordnung stattfindet. Die Kriterien dieser Gutachten basieren laut ATME e.V. vor allem auf Geschlechterklischees und vorgefertigten Geschlechterrollen.
Die von den Gerichten verlangten Gutachten können zwischen 1500 und 3000 Euro kosten und der Gerichtsprozess dauert lange. Martina Froesch hatte laut eigener Aussage einen relativ einfachen Weg, da sie sich ihren behandelten Arzt selbst ausgesucht hatte und auch mit rechtlichen Mitteln gegen Krankenkassen und Gerichte vorgegangen war. „Mein Arzt hatte mir damals bei der dritten Sitzung gesagt, dass die Sache für ihn eigentlich klar sei. Wir mussten dann aber die 18 Monate vollmachen, weil es sonst nicht bei der Krankenkasse durchgekommen wäre.“
Verständnisvolle Ärzte und Gutachter sind nicht immer gegeben. Regelmäßig berichten Betroffene dem Verein von psychischen Übergriffen: Gutachter, die ausfällig werden, die Person ständig im falschen Geschlecht anreden und sogar sexuelle Übergriffe hat es in der Vergangenheit gegeben. „Natürlich immer mit der Androhung ein schlechtes Gutachten zu schreiben bzw. die medizinischen Maßnahmen nicht zu genehmigen. Da entsteht ein riesiger Druck bei den Betroffenen“, erklärt Martina Froesch.
Argentinien als Vorreiter
ATME e.V. fordert deshalb die komplette Abschaffung dieser Beurteilungen, sowohl im rechtlichen als auch medizinischen Bereich. Die Rechte transsexueller Menschen in Argentinien gelten dabei als Vorbild.
Um diesem Beispiel näher zu kommen, hat der Verein in Zusammenarbeit mit Psychologen und Ärzten sowie zahlreichen Betroffenen 2015 die „Stuttgarter Erklärung“ veröffentlicht. Darin wird eine alternative Behandlungsempfehlung gefordert, bei der Menschen mit geschlechtlichen Normabweichungen behandelt werden sollen, ohne dass es dabei zu einer geschlechtlichen Deutung kommt. Der Mensch und sein körperliches Befinden stehen dabei im Mittelpunkt und das Wissen eines jeden Menschen über sein eigenes Geschlecht soll von Anfang an akzeptiert werden. Diese Erklärung soll in Zukunft noch um ganz konkrete Behandlungsleitlinien ergänzt werden.
Dr. med. Renate Försterling, die Gutachten für die TSG-Verfahren erstellt, geht davon aus, dass es in Deutschland in der medizinischen Behandlung immer auf eine Art Beurteilungsverfahren hinauslaufen wird. Die Krankenkassen interessieren sich für die Verhältnismäßigkeit und Kostenübernahme einer Operation. Ein Arzt wird sich immer rechtlich absichern wollen, bevor er eine Operation an einem gesunden Körper vornimmt. „Der ärztliche Beruf soll ja helfen und nicht schädigen“, so die Psychotherapeutin und Sexualmedizinerin. Im rechtlichen Weg sieht sie in Zukunft aber auch ein gutachtenfreies und einfaches Antragsverfahren.
Für Martina Froesch und ihre Mitstreiter könnte schon dieses Jahr im Mai ein erster Punkt ihrer Forderungen erreicht werden. Denn dann wollen Vertreter des Landes Rheinland-Pfalz in die Bundesratssitzung einen Antrag zur Änderung des TSG einbringen und so die Begutachtungspflicht für Namens- und Personenstandsänderung endgültig abschaffen.