Zwischen zwei Religionen
Es ist ein kalter Dezembermorgen, kurz vor Weihnachten. Tatjana und ich sitzen in meinem alten Kinderzimmer, jede von uns eine wärmende Tasse Tee in der Hand. Wie immer ist die Stimmung entspannt, wir kennen uns schon sehr lange. Erst 16 Jahre alt war Tatjana, als sie sich dazu entschloss, dem Christentum den Rücken zu zukehren und zum Islam überzutreten.
Wie kamst du dazu zu konvertieren?
Ich habe einen multikulturellen Freundeskreis, der vor allem islamisch geprägt ist. Zudem war mein Interesse an anderen Religionen und Kulturen schon immer groß. Im Frühjahr 2015, als die Fastenzeit der Christen begann, habe ich mir vorgenommen, mich in diesen Tagen mit Religion generell zu beschäftigen. Dabei habe ich immer wieder gemerkt, dass ich von meiner eigenen Religion, dem Christentum, nie wirklich etwas mitgenommen habe und ich dieser Religion nie bewusst beigetreten bin. Ich kann gar nicht richtig beschreiben, warum es der Islam war, bei dem ich letztendlich hängengeblieben bin: Ich hatte einfach das Gefühl, es ist das Richtige.
Wie haben deine Eltern auf deine Konversion zum Islam reagiert?
Ehrlich gesagt hatte ich Angst, es meinen Eltern zu sagen. Meine Mutter ist sehr gläubige Christin, geht mit solchen Dingen jedoch meistens sehr offen um. Mein Vater hält generell wenig von Religion, deshalb war es auch um einiges schwieriger, es ihm zu erzählen. Er hat nicht verstanden, weshalb ich konvertiert bin und was der Sinn dahinter sein sollte. Es folgten etliche Diskussionen und Streitigkeiten. Ich glaube, er hatte einfach große Angst vor dem, was folgen würde. Er konnte sich darunter nichts vorstellen.
Haben sich deine Ansichten zu bestimmten Dingen geändert?
Wenn ich das Beispiel „Feiern gehen“ nehme, hat sich in dieser Hinsicht nicht viel für mich verändert. Ich gehe auch als Muslima noch manchmal aus, denn für mich ist es nicht die Frage was ich mache, sondern wie ich etwas mache. Ich finde es nicht verwerflich feiern zu gehen, ich ziehe mich einfach nicht freizügig an. Woran man dennoch merkt, dass der Islam meine Einstellung verändert hat, ist beim Thema Alkohol: Dazu habe ich komplett Abstand genommen, doch das sehe ich persönlich gar nicht negativ.
Gibt es Menschen in deinem Umfeld, denen du es nicht erzählt hast?
Ja. Es wissen nur meine Eltern, meine Schwester und meine engsten Freunde. Zu meinen streng katholischen Großeltern habe ich eigentlich ein sehr gutes Verhältnis und kann daher gut einschätzen, wie sie darüber denken würden. Sie haben, wie so viele andere auch, Angst vor dem Fremden. Ich glaube, es ist einfach vernünftig es ihnen nicht zu sagen, es würde nur unnötigen Stress auslösen.
Steht die Religion manchmal zwischen dir und deiner Familie?
Anfangs sehr, da das Thema sehr präsent war. Eigentlich wollte ich das gar nicht nach außen tragen, doch mein Vater hat immer wieder mit dem Thema angefangen. Mittlerweile ist das nicht mehr so ausgeprägt. Ich weiß, wie ich mit meiner Familie umgehen muss und deshalb lassen sich Konflikte schon im Voraus vermeiden. Anfänglich hatte ich das verzweifelte Bedürfnis verstanden zu werden. Irgendwann merkt man dann, dass man akzeptieren muss, dass manche Menschen anders sind als man selbst und diese es wahrscheinlich nie verstehen werden. Wenn man das kann, dann kann man gut miteinander leben, auch wenn man verschiedene Ansichten hat.
Haben christliche Feiertage noch eine Bedeutung für dich?
Auf jeden Fall, aber für mich haben die christlichen Feiertage nur noch eine traditionelle Bedeutung. In meinen Augen gibt es keine Diskrepanz zwischen der Zugehörigkeit zum Islam und dem Teilnehmen an christlichen Feiertagen. Das Einzige, das sich geändert hat, ist, dass ich zu solchen Anlässen nicht mehr mit in die Kirche gehe. Für mich persönlich ist es wichtig, Tradition und Religion voneinander zu trennen.
Glaubst du, dass verschiedene Religionen in einer Familie ein Grund für Konflikte sein können? Und wie lassen sich diese lösen?
Ja. Es gibt von anderen Konvertierten viele Geschichten, in denen es sogar vorkommt, dass sie von ihrer Familie verstoßen werden. Ich glaube aber nicht, dass verschiedene Religionen in einer Familie, diese zwangsläufig kaputt machen. Damit eine Familie in einer solchen Situation ein friedliches Beisammensein schafft, muss man sich – glaube ich – gegenseitig gut kennen und es muss eine gewisse Toleranz und Akzeptanz herrschen. In meiner Familie funktionieren die verschiedenen Religionen mittlerweile gut miteinander, aber das heißt nicht, dass es in jeder Familie gelingt.
Wie denkst du über Religion?
Ich habe von Religion ein offenes, freies Bild. Für mich ist Religion etwas sehr Intimes und Persönliches, eine Art Philosophie, nach der man lebt. Ich finde es sehr schade, wie engstirnig Religion oft betrachtet wird, denn ich denke, wir können alle voneinander lernen.