Spaltung 4 Minuten

Wir sind feige Gleiche-Meinung-Rudeltiere

Collage zweier Bilder: links ein junges Pärchen, rechts zwei junge Freunde.
Wenn wir verschiedener Meinung sind, wie sollen wir zueinander finden? (Symbolbild) | Quelle: Fotos: Luca Assmuss
09. Juli 2024

Wirrköpfe unter Wirrköpfen. Rechte unter Rechten. Linke unter Linken. In Echokammer bellen sich Gleichgesinnte ihre eigene Meinung entgegen, wie ein Rudel homogener Wölfe. Immer nur die eigene Meinung zu hören ist aber fatal, denn es reißt uns immer weiter auseinander. Ein Kommentar.

Wer hat einen linksradikalen besten Freund und eine rechtsradikale beste Freundin? Wahrscheinlich die wenigsten. Wir als Menschen verbringen am liebsten Zeit mit anderen, deren Meinungen wir ungefähr teilen. Gleiche Hobbies, ähnliche Wertvorstellungen. Viel Sympathie, wenig Reibungsfläche. Schön für Freundschaften, schlecht für neuen Erkenntnisgewinn.

Überzeugung = „falsche Wahrheit?“

Dabei kann neues Wissen Irrtümer aufdecken, denn was als wahr geglaubt wird, ist nicht automatisch wahr. Wenn Anhänger von QAnon glauben, dass die reiche Elite Kinder für Satan opfert, dann glauben sie, dass das auch wirklich so ist. In dem Rudel kreist eine Art „unrichtiger Fakt“ oder „falsche Wahrheit“ und jeder*r, der/die das anders sieht, wird zum Fressfeind.

Um der Wahrheit näher zu kommen, braucht es aber den Austausch mit anderen, denn oft entsteht die größte Erkenntnis in Gesprächen mit Menschen, die eine andere Meinung haben. Aber das eigene Rudel zu verlassen, schmerzt uns, da wir dann unsere Ansichten verteidigen und hinterfragen müssen und das erfordert vor allem eines: Mut.

Und diesen Mut können wir jetzt gut gebrauchen, denn in unserem „Jetzt“ gefährden Radikalisierung und der Umlauf falscher Wahrheiten nicht nur die Demokratie. Die AfD ist auf Erfolgskurs und schwurbelnde Telegram-Gruppen verbreiten Fake News, welche großen Anklang finden. Das polarisiert, das zerreißt. Ist das diese „Spaltung der Gesellschaft“, von der immer geredet wird? 

Deine Meinung interessiert uns

Hast du das Gefühl, wir als Gesellschaft entfernen uns immer weiter voneinander?

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Eines haben diese Randgruppen mit dem Rest der Gesellschaft jedoch gemein: Sie sind gerne unter sich. Man mag AfD-Wähler*innen und Schwurbler*innen für Schwachköpfe halten, über ihr Weltbild lästern und die eigene Meinung in den Himmel preisen. Aber im Grunde ist das ein Irrweg, der zu nichts führt. Denn auch hier treffen, wie in einer Echokammer, gleiche Aussagen auf dieselben Antworten. Jede*r bleibt in seinem/ihrem Rudel und die eigene Meinung wird nicht herausgefordert. 

Aber wenn wir uns immer mehr in verschiedene Lager aufteilen und wenn sich die Fronten verhärten ‒ wie sollen wir dann überhaupt noch zueinander finden? Wie soll ich mit jemandem diskutieren, der nicht an den menschengemachten Klimawandel glaubt?

Streiten oder zuhören und verstehen?

Der erste Schritt für diese aktuellen Fragen könnte sich bereits vor über 2000 Jahren gefunden haben. Im Kopfe eines Griechen, welcher seine ganz eigene Art und Weise des Dialogs pflegte ‒ Sokrates. Er wollte seinen Mitmenschen ihr wahres Wissen offenbaren und anders als in heutigen Diskussionen jagte er sein Gegenüber nicht mit seiner Meinung. Er fragte. Und je mehr er fragte, desto mehr verstand er und seinem Gegenüber wurde klar, was es nicht wusste. 

Nehmen wir Sokrates’ Idee mit in die Gegenwart. Mit in ein Gespräch mit einem Klimawandel-Leugner. Man könnte fragen, was der Klimawandel für ihn bedeutet. Wieso glauben die meisten Wissenschaftler*innen an ihn? Warum vertraust Du ihnen nicht? Wer würde von einer Klimawandel-Lüge profitieren? Woran machst Du das fest, welche Beweise hast Du? Umso mehr gefragt wird, desto mehr Verständnis kann man für seine Ansicht entwickeln und desto mehr muss sich der Leugner auch selbst hinterfragen. Im besten Fall fallen ihm Widersprüche seines Denkens auf. 

Natürlich würde er sein langes geglaubtes Weltbild nicht schlagartig aufgeben. Aber wahrscheinlich ist er nun offener für Gegenargumente, war man doch auch an seiner Meinung ernsthaft interessiert. So kann die sokratische Methode für eine produktive Diskussion sorgen, was gut ein heulendes Streitgespräch ohne Ergebnis gewesen wäre. Jetzt versteht man, warum es diese Meinung gibt und das eigene Wissen wird reflektiert. Und im Idealfall wird dieses „neue“ Wissen mit in die jeweiligen Rudel getragen, ohne, dass ein Wolf zerfleischt wurde.

Wir müssen mutig sein und unsere Echokammer auch mal verlassen. Wir müssen wieder einander zuhören und Verständnis aufbringen. Nur so kann der Riss in der Gesellschaft geflickt werden.

Würdest Du nicht auch wollen, dass man Dir zuhört?