Schullektüre 2 Minuten

Weibliche Plot-Werkzeuge

Eine Faust schlägt auf Reclam-Hefte verschiedener Schullektüren aus dem Deutschunterricht.
Das Frauenbild in Goethes Faust ist mindestens 215 Jahre zu alt. | Quelle: Pauline Kopp
09. Febr. 2024

Wenn mir ein Buch nicht gefällt, lese ich es nicht zu Ende. Doch bei manchen hatte ich keine Wahl: Sie waren Pflichtlektüre im Deutschunterricht. Das sollten sie besser nicht sein. Eine Kolumne über Bücher, die von den Klassenräumen in die Lektürehölle gekickt gehören. Heute: Goethes Faust.

Vor kurzem hat ein Junge, dem ich Deutsch-Nachhilfe gebe, sich über seine Lektüre beschwert. Er liest Goethes Faust. Widerwillig und wirklich nur, weil es abiturrelevant ist.

Ich kann ihn da sehr gut verstehen. Dabei lese ich eigentlich gerne und viel. Auch Schullektüren habe ich oft gerne gelesen. E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“ sogar mehrmals inklusive Farbmarkierungen und Notizen am Rand. Schillers „Kabale und Liebe“ habe ich bei meinem Auszug aus dem Elternhaus mitgenommen.

Die waren allerdings auch nicht so abscheulich wie Goethes Faust.

Faust kann nichts Falsches tun

Faust-Verteidiger würden mich für so eine Aussage vielleicht totprügeln. Goethes Meisterwerk hat schließlich den Renaissance-Mann Faust auf die Welt losgelassen, die Gretchen-Frage gestellt, die Weimarer Klassik aus dem literarischen Uterus gepresst und Gott persönlich den Hintern abgewischt.

Das ändert leider nichts daran, dass es weh tut, dieses widerwärtige Stück Literatur zu lesen.

Für die, die im Deutschunterricht nicht vor Freude von ihren Stühlen aufgesprungen sind, wenn es an die Literaturanalyse ging, hier eine kurze Zusammenfassung: Alter Mann (Faust) hält sich für zu klug für die Welt. Nach einem fehlgeschlagenen Suizidversuch Fausts hilft der Teufel ihm, eine Minderjährige flachzulegen. Faust schwängert sie und lässt sie direkt wieder fallen, um den tieferen Sinn des Lebens zu erkunden. Während er lieber mit Hexen tanzt, dreht die Mutter seines Kindes durch und tötet das besagte Kind. Wegen dieses Mordes rottet sie monatelang im Kerker. Faust tanzt immer noch. Die Minderjährige nimmt sich letztendlich das Leben. Ups.

Alte Autoren und ihre Mädchen

Hinter Faust steht für mich ein größeres Problem: die Auswahl von Schullektüre an deutschen Gymnasien. Die sorgt dafür, dass alte Männer und ihre weiblichen Charaktere, die von allen um sie herum beschissen behandelt werden, immer wieder in den Leselisten landen. Da wundern sich junge Mädchen wie ich dann, wieso der Lehrer nur in einem Nebensatz erwähnt, dass es ja schon komisch ist, dass Faust über sein Alter lügt und eine Minderjährige „verführt“.

Es gibt einige übliche Verdächtige, durch die die meisten deutschen Schüler*innen sich gekämpft haben. Darunter Woyzeck, Bahnwärter Thiel, und eben auch Faust. In allen sind Frauen mehr Plot-Werkzeug als Person und müssen leiden, damit Männer sich charakterlich weiterentwickeln können. Wer wählt diesen Scheiß denn aus?

Die Auswahl der Lektüre wird vom klassischen Literaturkanon mitbestimmt. Dieser Kanon ist ziemlich weiß und männlich, auch, weil er meist von weißen Männern definiert wurde, wie die Schriftstellerin Sibylle Berg schreibt.

Zeit für neue Lektüre

Ein erster Schritt in eine bessere Richtung ist eine Initiative von Berg und anderen Autorinnen: Die Kanon. Werke von Frauen, die nach Meinung der Autorinnen auch zum Kanon gehören sollten, sind dort aufgelistet. Man kann nur hoffen, dass damit mehr Geschichten, in denen Frauen keine machtlosen Puppen sind (auch mein Liebling, Der Sandmann, leidet an diesem Syndrom), eines Tages in der Schule gelesen werden.

Insbesondere für die Faust-Fanboys habe ich einen Tipp: Setzt euch doch mal mit Werken aus dem weiblichen Kanon auseinander. Ein Buch eurer Wahl würde ich sogar vorlesen und mir das Gejammer anhören, dass es nicht so gut wie Goethe ist. Vielleicht hilft euch das, von eurer Geschmacksverirrung loszukommen. Ohne das Leid einer Frau könnt ihr euch ja bekanntlich nicht charakterlich weiterentwickeln.

Gern getan.

 

Eine weitere Folge der Kolumne Lektürehölle findet ihr hier.