Schullektüre 2 Minuten

Romeo und Julia auf Wish bestellt

Eine Person hält ein Buch hoch und fängt an, es zu zerreißen.
Nicht jede Liebesgeschichte braucht ein Buch, gerade dann nicht, wenn sie von Gottfried Keller geschrieben wurde. | Quelle: Pauline Kopp
09. Febr. 2024

Wenn mir ein Buch nicht gefällt, lese ich es nicht zu Ende. Doch bei manchen hatte ich keine Wahl: Sie waren Pflichtlektüre im Deutschunterricht. Das sollten sie besser nicht sein. Eine Kolumne über Bücher, die von den Klassenräumen in die Lektürehölle gekickt gehören. Heute: Gottfried Kellers Romeo und Julia auf dem Dorfe.

Vor kurzem habe ich die ersten Weihnachtsgeschenke verpackt. Das Geschenkpapier von letztem Jahr war nach dem ersten Geschenk aufgebraucht und der Supermarkt hatte schon zu. Fürs Zweite musste ich eine Alternative finden.

Der Griff ging ins Bücherregal. Zwischen meinen Lieblings-Fantasy-Wälzern, dem vereinzelten Sachbuch und der Young Adult Science Fiction stand mein Opfer. Ein Buch, dessen Seiten ich ohne Schuldgefühle herausreißen und als Geschenkpapier zweckentfremden kann: Die Novelle Romeo und Julia auf dem Dorfe von Gottfried Keller. Eine alte Schullektüre, ungefähr achte Klasse.

Sterblich-unsterbliche Liebe

Eigentlich sind mir meine Bücher heilig. Ich mache keine Eselsohren, schreibe meinen Namen nicht auf die erste Seite oder betreibe sonstige Formen der Gotteslästerung. Anders ist es bei Romeo und Julia auf wish bestellt. Wirklich selten habe ich ein Buch besessen, das mir so auf den Geist geht.

Wer nicht die Freude hatte, das Buch zu lesen, hier eine kurze Zusammenfassung:

Zwei cholerische Bauern streiten sich um Ackerland. Die Feindschaft treibt beide in den Ruin. Ihre jeweiligen Kinder sind dummerweise so berührungsverhungert, dass sie sich nach einer einzigen Handberührung unsterblich (Spoiler Alert: doch relativ sterblich) ineinander verlieben. Das Mädchen (Vrenchen) und der Junge (Sali) führen daraufhin eine on-again, off-again Beziehung, in der sie spaßige Dinge tun wie: mit einem Wanderzirkus in die Berge reisen, Vrenchens Vater bleibende psychische Schäden zuzufügen, aus Angst vor Untreue des Partners Doppelsuizid begehen. Couple goals.

Lieber billige Romanzen

Mein Lieblingsgenre ist eigentlich Fantasy, letztes Jahr habe ich aber einen Seitensprung zu den Romanzen gemacht. Da habe ich auch ganz gerne „billige“ Romanzen gelesen. Mit billig meine ich: Charaktere, die eher Tropes erfüllen als Charakterzüge zu haben und ein vorhersehbarer Plot, der immer demselben Schema folgt. Dazu gehört, dass der männliche Hauptcharakter ein arrogantes Arschloch ist — außer gegenüber seiner Geliebten, wenn sie es endlich schafft, seine Mauern niederzubrechen. Im dritten Akt trennt sich das eigentlich glückliche Paar wegen eines Missverständnisses. Es wird ein paar Seiten lang auf die Tränendrüse gedruckt, dann bettelt der Mann sich wieder ins Leben der Frau hinein. Das Buch endet mit einer Hochzeit.

Dass ich so ein Buch nie als Schullektüre hatte, finde ich nicht weiter schlimm. Historische Relevanz ist in Ana Huangs Twisted Love bei der Geschichte von Ava und ihrem Nachbarn Alex, der gleichzeitig der beste Freund ihres großen Bruders und deshalb Tabu ist, eher weniger gegeben. Trotzdem habe ich bei ihrer dritter-Akt-Trennung Rotz und Wasser geheult. Dass ein Buch das bei mir schafft, ist selten.

Romeo und Julia auf dem Dorfe ist ähnlich unrealistisch wie diese billigen Romanzen (Liebe auf die erste Handberührung …?), macht aber deutlich weniger Spaß zu lesen. Immerhin ist Vrenchen schlank wie die typische Romanzen-Protagonistin und Sali ist groß und attraktiv. Und beide haben eine komplizierte Beziehung zu ihren Eltern. Da enden die Ähnlichkeiten auch schon.

Keine gute Schnulze

Stattdessen gibt es zwei gravierende Unterschiede zwischen Gottfried Kellers Novelle und guten, schlechten Romanzen: Erstens ist Sali arm. Totales no-go für einen potenziellen Liebhaber. Er muss seine Geliebte für den Heiratsantrag schließlich im Privatjet nach Paris fliegen können. Zweitens spielt Romeo und Julia auf dem Dorfe in irgendeinem deutschen Dorf, nicht in einer amerikanischen Großstadt, wie es sich eigentlich gehört. Wo soll da die Szene bleiben, in der der Mann aus dem Fenster seiner Penthouse-Wohnung auf eine triste, graue Stadt hinunterschaut und sich fragt, was sein Leben ohne Liebe wert ist?

Die Antwort ist klar: Nichts ist es wert, sonst gäbe es keinen Grund zu weinen. Ohne Tränen wäre es keine gute Schnulze, und wer eine beschissene Romanze will, kann auch gleich Romeo und Julia auf dem Dorfe in die Hand nehmen. Das deprimierende Ende gibts geschenkt.

 

Eine weitere Folge der Kolumne Lektürenhölle findet ihr hier.