Europa aus der Wellenperspektive
Sörens Haare sind von Natur aus blond, aber die Sonne und das Meersalz der letzten Reise haben die Spitzen weiß gebleicht. Sein sportlicher Körper ist braungebrannt. In seinem großen Zimmer befinden sich nur wenige Möbelstücke, denn den meisten Platz beanspruchen die zwei Skateboards, vier Snowboards und vier Surfbretter. In der Ecke liegt ein Koffer: Erst gestern ist der 27-jährige Sportstudent aus Bangkok zurückgekommen.
Wie bist du eigentlich zum Surfen gekommen?
Ich fahre Snowboard, seitdem ich sechs bin. Surfen war für mich immer das logische Gegenstück für die Zeit, in der es keinen Schnee gibt. In den Sommerurlauben in Griechenland habe ich als Kind die Surfbretter von Locals testen dürfen. Allerdings haben sich meine Eltern gesträubt, mir ein eigenes zu kaufen. Nach dem Abitur habe ich das dann nachgeholt. Seit meinem ersten Surftrip 2012 bin ich nicht mehr davon losgekommen.
Diese erste Reise muss wohl sehr erfolgreich und prägend gewesen sein.
Meine Freunde und ich sind damals vom Kap Ferré bis nach San Sebastian gefahren. Erstmal war es super anstrengend. Ich hatte nicht annähernd die Fitness, die man zum Surfen braucht. Damals hatte ich keine Ahnung und war ziemlich überrascht, dass man als Surfer so früh aufstehen muss, um die besten Bedingungen im Line-up zu haben. Aber das Gefühl von Geschwindigkeit auf einem eigentlich instabilen Untergrund ist für mich unfassbar faszinierend und hat mich weiter angetrieben.
Line-Up
Das Line-Up ist der Bereich, in dem Surfer auf ungebrochene Wellen warten. Dieser befindet sich meist hinter der Brandungszone und kann je nach Gezeiten und Strömungen variieren. Wenig Wind und Menschen bedeuten für die Surfer gute Bedingungen.
Gibt es einen bestimmten Grund, wieso ihr diese Spots für euren ersten Surftrip gewählt habt?
Von Freiburg aus ist es der nächste Weg an den Atlantik. Wir mussten keinen teuren Flug buchen oder ein Visum beantragen – dank offener Grenzen. Außerdem ist Frankreich für Anfänger gut geeignet, da der Untergrund häufig aus Sandbänken besteht und nicht aus messerscharfem Riff, wie zum Beispiel in Bali. Die Wellen treffen regelmäßig und in einer soliden Häufigkeit auf den Küstenabschnitt von Bordeaux bis Biarritz. Dementsprechend gibt es allerdings auch einen großen Surftourismus in dieser Gegend und im Wasser ist immer viel los. Man kann leicht in Kontakt mit anderen treten, da die meisten jungen Leute auf Zeltplätzen sind und abends am Strand gemeinsam Lagerfeuer machen. Was ich damals als Anfänger dort gut fand, hat mich immer mehr gestört, je besser ich geworden bin.
Das heißt, du bist auf andere Surfspots ausgewichen?
In den letzten Jahren bin ich immer weiter die Atlantikküste in Spanien runter nach Kantabrien und Galicien gefahren. Dort wird es immer ländlicher und auch günstiger als in Frankreich. Es gibt viele verschieden angewinkelte Strände, zwischen denen man je nach Swell wählen kann. Im Line-up sind hauptsächlich Locals, die aber keine Lust auf Touristen haben. Es ist tatsächlich schon vorgekommen, dass mir Locals auf Spanisch, aber doch überdeutlich und teilweise aggressiv nahegelegt haben, das Wasser zu verlassen.
Swell
Das ist die Bezeichnung von surfbaren Wellen, die durch den auslaufenden Seegang entstehen. Verursacht durch einen Sturm auf hoher See, kann ein Swell aus weitentfernten Regionen kommen und trifft dann in einer anderen Breite auf das flachere Wasser der Küste.
Und hast du das Wasser verlassen?
Ich habe nicht nur das Wasser verlassen, sondern gleich den ganzen Kontinent. (lacht) Spaß beiseite, aber im Vergleich mit Indonesien oder Marokko zieht Europa dann doch klar den Kürzeren. Das Klima und die Wellenbedingungen sind einfach zu inkonstant, wenn man richtig gut werden möchte. Das ist vermutlich mit einer der Gründe, weshalb es nur drei europäische Surfer in die World Surf Tour – quasi die WM der Surfer – geschafft haben. Andere Gründe dafür bauen darauf auf. Wir haben in Europa schlechtere struktuelle Bedingungen in Form von Vereinen und die Wertschätzung dieser Sportart in der Gesellschaft ist auch viel geringer. Deshalb bin auch ich immer häufiger ins nicht-europäische Ausland gereist, meistens alleine.
Alleine zu reisen ist für viele Menschen bestimmt unvorstellbar. Wie waren deine Erfahrungen damit?
Beim ersten Mal bin ich alleine nach Marokko geflogen. Ich machte mir davor schon Gedanken, aber bereits am Flughafen in Agadir traf ich auf zwei nette Schweizer, die ein Auto gemietet hatten und mich in eine Unterkunft am Meer mitnahmen. Wir verbrachten unseren gesamten Urlaub dort miteinander. Für mich als Mann ist das ein tolles Land mit einer faszinierenden Kultur. Allerdings bekam ich auch mit, dass es für Frauen in einem muslimischen Land schwierig ist. Nach dem Surfen im knappen Bikini am Strand zu liegen, gilt dort als respektlos.
Empfindest du diese Offenheit bei Europäern untereinander im nicht-europäischen Ausland oft?
Allgemein ist diese Szene sehr aufgeschlossen. Es gibt meist direkt eine Verbindung untereinander. Die Nationalität spielt da eine nebensächliche Rolle. Allerdings trifft man Europäer eher an Orten, die als sicher und einfach zu bereisen gelten. Kommen zwielichtige Airlines und Malaria ins Spiel, wird man kaum noch auf andere europäische und schon gar nicht auf deutsche Surfer stoßen.
Was für Möglichkeiten hat man denn zu Hause, wenn das Surfweh zu groß wird?
Manchmal gehe ich mit meinem Surfbrett an den Baggersee und paddle da eine Weile, um nicht aus der Übung zu kommen. In Deutschland gibt es an wenigen Plätzen bei Wasserhochstand die Möglichkeit, auf stehenden Wellen in Flüssen zu surfen. Das ist eine gute Alternative zum Surfen im Meer. Ansonsten hilft nur: den nächsten Flug ans Meer buchen.