Insekten in Europas Kochtöpfen
Rund zwei Milliarden Menschen weltweit essen regelmäßig Insekten. Möchte man in Deutschland seinen Geschmackshorizont in Bezug auf Insekten erweitern, ist das Angebot überschaubar. Das liegt mitunter daran, dass bisher die Züchtung und Verarbeitung von Insekten nicht erlaubt war. Wer trotzdem Insekten-Gerichte auf der Speisekarte hatte, bewegte sich in einer rechtlichen Grauzone und konnte Insekten nur anbieten, indem er sie aus anderen Ländern einführte.
Verzwickte Rechtslage
Florian Kuhlmey vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) sagt: „In der Tat gilt seit dem ersten Januar dieses Jahres eine neue Novel-Food-Verordnung in der EU, die auch Insekten als Lebensmittel explizit erwähnt. Außerdem wird das Zulassungsverfahren von der nationalen auf die europäische Ebene verlagert.“
Vor 2018 wurden Insekten in der nun abgelösten Verordnung (EG) 258/97 nicht erwähnt und es war unklar, ob auch ganze Insekten als „neue Lebensmittel“ gelten und somit zugelassen werden dürfen. Diese Rechtslücke führte zu unterschiedlichen Interpretationen in den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten. Um neue Lebensmittel auf den Markt bringen zu dürfen, mussten sie zunächst auf nationaler Ebene durch ein Zulassungsverfahren einer Überwachungsbehörde genehmigt werden. Während Insekten in Benelux-Staaten als Lebensmittel gängiger sind, gingen die deutschen Überwachungsbehörden in den Bundesländern dabei strikter vor. Die neu eingetretene Verordnung (EU) 2015/2283 schließt nun bestehende Rechtslücken und vereinheitlicht die unterschiedlichen Vorgehensweisen innerhalb der Europäischen Union.
Wie Insekten die Welt retten könnten
Dieser Schritt war aus der Sicht von Experten längst überfällig. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) setzt sich seit einiger Zeit vermehrt mit der Entomophagie, also dem Verzehr von Insekten auseinander. Die Gründe dafür liegen in der Entwicklung der Nahrungsproduktion, dem Bevölkerungszuwachs und auch in den klimatischen Veränderungen der Erde. Es ist kein Geheimnis, dass es schon heute Ernährungsprobleme auf dieser Welt gibt. Deshalb möchte die FAO eingreifen und Strukturen zugunsten der Bekämpfung von Hunger entwickeln. Der Etomologe und Mitarbeiter der FAO Arnold van Huis ist der Meinung, dass die Aufzucht von Insekten als menschliche Nahrungsmittel Ressourcen schützt und eine gute Alternative zur Fleischproduktion ist. Außerdem würden bei einem Rückgang der Rinderzucht auch Methangas-Ausscheidungen verringert werden und somit die klimatische Situation entlastet. Er erklärt, dass wenn der Pro-Kopf-Fleischkonsum weiterhin ansteigt, würde man bald eine zweite Erde brauchen, um dieser Nachfrage gerecht werden zu können. Also muss sich der Mensch notgedrungen auf Alternativen einlassen. Warum dann nicht auf Insekten umsteigen?
Der Nährwert einiger Insekten-Arten ist so groß, dass zum Beispiel 100 Gramm getrocknete Raupen den Tagesbedarf eines Menschen an Mineralien und Vitaminen decken. Sie sind eine ideale Proteinquelle und dazu günstiger in der Produktion, da sie weniger Futter, Wasser und Platz benötigen als Säugetiere.
Kopfprobleme
Trotzdem stellt nicht nur die bisherige Rechtslage ein Problem dar. Auch aus psychologischen Gründen werden es die kleinen Krabbler vorerst vermutlich nicht auf jeden Teller in Europa schaffen. Der Ekelfaktor ist bei vielen Menschen zu hoch, da Insekten in der westlichen Kultur oft mit Unreinheit und Verwesung assoziiert werden. Studien der FAO zeigten, dass der Anblick eines ganzen Tieres abschreckend auf Konsumenten wirkt. Europäer insbesondere haben Probleme damit, ihrer Nahrung beim Essen in die Augen zu schauen. Paul Rozin, Professor für Psychologie an der University of Pennsylvania meint, dass der Ekel einem Kind durch die Erziehung und Sozialisierung anerzogen wird. Er ist daher abhängig von den „Ekel-Bestimmungen“ der jeweiligen Gesellschaft. Die Einstellung der erwachsenen Bevölkerung gegenüber der Entomophagie müsste sich also verändern, damit die zukünftigen Generationen dementsprechend geprägt werden.
Trotz dieser Problematiken gibt es immer mehr Vorreiter, die Chancen auf dem noch weitgehend unerschlossenen Markt wittern. So auch Frank und Heidi Seidel, die nun schon seit einigen Jahren die Seidels Salatbar in Ludwigsburg führen. Ihre Tochter hatte die Idee, verschiedene Insektenarten als Topping für Salate anzubieten, nachdem sie eine Dokumentation über Speiseinsekten gesehen hatten. Wir haben die Gelegenheit genutzt und einen mutigen Freiwilligen den Geschmackstest machen lassen: