„Uns wurde gesagt, hier geht alles. Dann meinten wir, wir wollen ein Auto auf der Bühne und dann stand da am Ende ein Auto. Das ist schon verrückt.“
Im Norden ist alles erlaubt
Zwischen Telekom und Tankstelle, zwischen Bosch und Bundesstraße, befindet sich ein großes Gebäude mit einer grauen, unspektakulären Fassade. Optisch hebt es sich nicht von den umliegenden Industrie-Bauten im Stuttgarter Norden ab. Doch etwas ist anders. Hier baut niemand Autos oder schließt Handyverträge ab: Hier wird Kultur betrieben. Jeder kennt die Staatstheater mit ihren großen Häusern am Eckensee. Doch viele wissen nicht, dass es im Norden von Stuttgart eine kleine Außenspielstätte gibt. Ein Theater, das mehr zu bieten hat, als seine graue Fassade: das Nord.
Das Nord war schon immer ein Ort, an dem sich neben bekannten Regisseuren auch jüngere und unerfahrenere Regisseure ausprobieren konnten. „Die Stücke sind experimenteller und weniger konservativ als im großen Schauspielhaus“, erzählt Franziska Benack, Produktionsleiterin im Nord. Sie sorgt dafür, dass der Laden rundläuft. 2015 kam der derzeitige Intendant Armin Petras auf die Idee, dass im Nord mehr passieren kann als nur klassisches Theater mit dem Ensemble. Die Idee des Nordlabors war geboren. Ein jüngeres Publikum sollte erreicht werden. Ein Publikum, das davor nicht unbedingt mit Theater in Berührung gekommen ist. Mit zwei kleinen Festivalblöcken wurde mit den Schauspielern des Schauspiel Stuttgarts und einigen externen Künstlern neue Formate geschaffen. Der Anklang war groß und so wurde in der kommenden Spielzeit das Nordlabor durchgehend eingeführt.
Die Projekte des Nordlabors sind immer noch ein bisschen mutiger als das Repertoire. Auch diese typische Form von Theater „Einige führen etwas vor und andere gucken zu“ wird an unterschiedlichen Stellen aufgelöst. „Das Nord soll ein Ort der Begegnung sein, wo sich Zuschauer und Schauspieler, aber auch die verschiedenen Kunstformen treffen“, erzählt die 31-Jährige weiter. Neben klassischem Schauspiel gibt es hier auch Lesungen, Ausstellungen, Kochabende und Improvisationsformate. Das klappt natürlich nicht immer, aber das Scheitern ist im Nord nichts Schlimmes. Im Gegenteil, es gehört einfach dazu. Das kommt an, die meisten Sachen sind ausverkauft, was aber vielleicht auch daran liegen mag, dass aufgrund der kleinen Formate oft nur 30 Leute teilnehmen können.
Das Nordlabor funktioniert auch deshalb, weil viele Künstler der freien Szene in Stuttgart mitwirken. Einer von ihnen ist Jonas Bolle, Mitglied beim Citizen.KANE.Kollektiv. Eine Gruppe von unterschiedlichen Künstlern aus Stuttgart, unterschiedlicher Altersklassen und mit unterschiedlichem beruflichen Background. „Deswegen klappt das auch so gut“, sagt Jonas. „Die Arbeit im Kollektiv kann zwar auch anstrengend sein und ist mit vielen Diskussionen verbunden, doch die gemeinsame Arbeit ohne Hierarchien ist auch ein riesiger Vorteil und bringt unfassbar viel künstlerische Freiheit.“
Die Verbindung eines Stadttheaters und Künstlern der freien Szene ist nicht selbstverständlich. Für große Häuser ist die Kooperation mit eigenständigen Künstlern oft schwierig und zeitaufwändig. Im Nord ist das einfacher. „Es gibt nicht diesen riesigen Apparat, den man ins Laufen kriegen muss“, sagt Franziska. „Durch kleinere Formate und mit einer kleinen, gut zusammenarbeitenden Mannschaft macht das hier total viel Spaß.“
Für die freie Szene eine gute Sache, denn in Stuttgart herrscht wie immer Platzmangel. Seit der Schließung des Osts, dem ehemaligen Theater im Depot, welches der freien Szene übergangsweise als Spielstätte diente, hat die freie Szene keine eigene Bühne mehr. Für Franziska ist es deswegen schon fast eine Pflicht, der freien Szene Raum für ihr künstlerisches Potenzial zu geben.
Für die freien Künstler gibt es im Nord viele Möglichkeiten. Durch die große Vielzahl an Technik, Bühnenbildern und Requisiten ergibt sich eine neue künstlerische Vielfalt. Aber man sehe trotzdem, wo im Staatstheater Geld und Infrastrukturen seien, welche in der freien Szene fehlen. Doch auch für das Staatstheater gibt es einen Mehrwert. Zum einen kommen durch diese Kooperationen mehr junge Leute ins Nord. Zum anderen hilft es den Mitarbeitern im Haus, aus den vertrauten Strukturen auszubrechen. „Man wird daran erinnert, wie gut man es eigentlich in so einem subventionierten Haus hat und dass es auch möglich ist mit wenigen Mitteln auszukommen“, meint Franziska.
Vielleicht sollten wir das alle einmal machen: das Gewohnte hinter uns lassen, es riskieren zu scheitern und sehen, wie und wo Theater heute stattfinden kann.