„Der Glaube an Vorurteile gilt in der Welt als gesunder Menschenverstand."
Wie unsere Nachbarn Deutschland sehen
Während ich im warmen Wohnzimmer sitze, rinnen Regentropfen das Fenster hinab und der Wind fegt durch die Gegend. Mein Hund hat sich unter den Tisch verzogen: Selbst er merkt, dass ein Gewitter heranzieht. Mit gerunzelter Stirn schaue ich aus dem Fenster: Denn nur einer scheint das nicht verstanden zu haben. Dieser Jemand kniet ölverschmiert auf der Straße. Grinsend beobachte ich ihn dabei, wie er präzise seiner Aufgabe nachgeht. Er sitzt mitten im Regen und ... wechselt Autoreifen. Auf meine Frage, ob er das denn nicht zu einem anderen Zeitpunkt machen könnte, kommt nur ein entrüstetes „Nein! Ich habe deiner Mutter gesagt, dass ich das heute mache!“
Mein Freund ist wohl das, was man typisch deutsch nennt. Aber was ist überhaupt typisch deutsch? Welche Vorurteile Europäer gegenüber ihren deutschen Nachbarn haben, könnt ihr in der Bildershow nachlesen.
Die EU-Nachbarn hegen gegenüber den Deutschen, wie die Bildergalerie zeigt, viele Vorurteile. Die sind jedoch wichtig, wenn es um unsere Denkprozesse geht.
Jeder hat schon einmal einen Menschen in eine Schublade gesteckt, ohne ihn zu kennen – auch wenn es viele nicht zugeben würden. Dabei hat es einen Sinn, in Kategorien zu denken. Befinden wir uns in einer neuen Situation, fluten massenhaft Datenmengen unser Gehirn, wo diese schnell verarbeitet werden müssen. Dadurch können wir schneller reagieren. Entscheidend sind in solchen Situationen unsere Erfahrungen, die wir bewusst oder unbewusst gespeichert haben. Dabei generalisieren wir vor allem: Das heißt, dass jeder das Gesehene subjektiv in sein Weltbild einfügt und das Erlebte seinen Vorurteilen anpasst. Sieht ein Tourist also einen Deutschen in Sandalen mit Socken, bestätigt ihm das sein Vorurteil, selbst wenn er hundert andere stilvoll gekleidete Deutsche sieht.
Tatsächlich ranken sich um das deutsche Volk viele Klischees. Was aber wirklich charakteristisch deutsch ist, auch von unseren europäischen Nachbarn bestätigt, seht ihr hier.
„Ich habe das portugiesische Wort für diszipliniert vergessen. So ein Wort braucht man halt auch nur in Deutschland."
- Harte Sprache, schwere Sprache: Umfahren ist das Gegenteil von umfahren. Dieser Satz beschreibt schon ganz gut, wie knifflig es sein kann, sich in unserer Sprache zurecht zu finden. Wir leben in einem Land, das Wörter wie Grundstücksverkehrsgenehmigung
szuständigkeitsübertragungsver ordnung kreiert. Ein Tipp für alle, die Deutsch lernen: das Wort tja. Es ist die Antwort auf die verkohlte Tiefkühlpizza, die S-Bahn-Verspätung oder das leere Konto am Ende des Monats. - Ob Pirat oder Lilli Fee: Hauptsache Schultüte. Mein sechsjähriges Ich steht mit breitem Grinsen, einer Zahnlücke und etwas Riesigem in den Armen da: meiner Schultüte. Jeder von uns erinnert sich wohl an die Einschulung. Die Schultüte war das Symbol dafür, dass jetzt etwas Großes beginnt. Tatsächlich gibt es diese Tradition nur in deutschsprachigen Ländern.
- Dann geh doch zu Netto!: Die Deutschen sind sparsam, insbesondere dann, wenn es um die Einkäufe von Lebensmitteln geht. Deshalb ist Deutschland das Land der Discounter. Von hier aus exportieren Lidl und Co. sogar ins Ausland. Auch mit kleinen Preisen kann man also großen Erfolg haben!
- Der grüne Punkt: Der Müllentsorgungskult ist besonders ironisch. Zahlen der europäischen Umweltagentur zeigen, dass ganze zwei Drittel des Hausmülls recycelt werden. Gleichzeitig aber produzieren wir pro Kopf 136 Kilogramm mehr Müll im Jahr als der EU-Durchschnitt.
- Bier & Brot: Ganze 107 Liter Bier trinkt der Deutsche pro Jahr. Dazu darf natürlich eines nicht fehlen: ein gutes Brot. Davon gibt es laut dem deutschem Brotinstitut über 3000 verschieden Sorten. Beide Produkte, Bier und Brot, basieren auf Getreide, Wasser und Hefe. Übrigens: Hättet ihr gewusst, dass im Mittelalter das Bier aus Brot gebraut wurde? Nach dem Backtag gab es denn Brautag, daher singt Rumpestizlchen auch „Heute back ich, morgen brau ich …“.
- Charakterstark: Die einen finden uns ehrlich und direkt, die anderen empfinden uns als unhöflich und kalt. Einig ist man sich aber über unseren Hang dazu, andere zu erziehen. Wir rügen fremde Menschen, wie sie ihre Kinder anziehen sollten, und legen demonstrativ den Abtrennbalken auf das Kassenband, falls es der andere vergessen sollte. Wertgeschätzt werden dafür unser kritisches Denken, unsere Effizienz und unsere Pünktlichkeit. Der Deutsche ist lieber fünf Minuten zu früh als zu spät. Daran halten sich eigentlich alle – bis auf die Deutsche Bahn.
- Papierkram & Amtswanderungen: „Bill Gates fing in einer Garage an. In Deutschland wäre er damit schon an der Gewerbeaufsicht gescheitert“, sagte der Politiker Roman Herzog in seiner Berliner Rede. Leider trifft dieses Klischee voll und ganz zu, denn auch wenn in Deutschland immer alles schön nach Regel abläuft, liegt es beim Wachstum leider hinten. Vielen geht der Elan, ihr eigenes Unternehmen zu gründen, im Papierstau verloren.
Du möchtest mehr zu dem Thema erfahren? Super! Am 10.06.2018 diskutieren verschiedene Teilnehmer über Vorurteile von EU-Nachbarn gegenüber Deutschland. Die Diskutanten werden vom Schauspiel Stuttgart kurzfristig bekannt gegeben. Die Debatte „Wie unsere Nachbarn Deutschland sehen“ ist Teil des internationalen Theaterfestivals „The Future of Europe“. Hier findest du das ganze Programm des Festivals.
Die Deutschen: ein weltbekanntes Volk, das noch viel mehr kann als Gartenzwerge sammeln und Autos bauen. Doch steckt nicht in jedem Klischee ein Stück Wahrheit? Apropos: Mein reifenwechselnder Freund ist sogar so deutsch, dass Instagram ihm Werbung für Staubsauger angezeigt hat. „Der ist super!“, rief er daraufhin wie ein Junge, der sich für sein neues Lego-Raumschiff begeistert. Es ist doch immer wieder amüsant, wie Klischees zutreffen können.
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