Spiel, Satz und Sieg - Ericks Weg nach Europa
Es dämmert bereits auf der Tennisanlage der Tennisfreunde Lienzingen. Erick lehnt sich entspannt auf seinem Stuhl zurück und wartet auf die Interview-Fragen. Gerade eben hat er noch einer Tennisschülerin Training gegeben. Interviews sind für den Medienprofi mittlerweile zur Gewohnheit geworden.
Faszination Tennis
„Tennis ist ein Kampf Eins gegen Eins. Es ist ein Einzelsport und verbindet Technik, Kondition und Strategie.“ Erick fasziniert – und lebt diese Mischung. Sein Training beinhaltet jeden dieser Aspekte, wie er erklärt. Aber auch für das Zwischenmenschliche nimmt sich der Uruguayer bei seinen Schützlingen Zeit. Mit lockeren Sprüchen und seiner offenen Art schafft er es, jedem noch so niedergeschlagenen Spieler ein Lächeln auf das Gesicht zu zaubern. Selbst wenn mal wieder kein Aufschlag klappt, kein Ball dort aufkommt, wo er aufkommen soll und die Arme nicht das tun, was sie sollen.
Mit dem Sport hat Erick als Neunjähriger begonnen. Nachdem die Ergebnisse im Alter von 18 Jahren schlechter wurden, überlegte er sich das erste Mal, ob er eine Zukunft als professioneller Tennisspieler haben könnte. Ist er gut genug, um vom Tennis leben zu können? Zweifel plagen den angehenden Jungprofi. Es ist, als ob ihn das Leben vor eine Entscheidung stellt: durchstarten oder Durchschnittlichkeit? Erick nimmt den Druck raus, versucht sich zu entspannen. Und mit einem Mal werden seine Resultate auf dem Tenniscourt wieder besser.
Sprung über den Teich
Mit 20 Jahren bewältigt er den großen Sprung über den Teich. In Europa gibt es mehr Möglichkeiten, um von seinem Sport leben zu können, da es viele Preisgeldturniere gibt. „Als ich dann zwanzig war, habe ich versucht mein Leben mit Tennis zu finanzieren. Meine erste Station war Paris.“ Am Anfang vermisst der Montevideaner seine Heimat: „Meine ganze Familie war und ist in Uruguay. Wenn man anfangs gewohnt ist, neun Monate im Jahr zu Hause zu sein, aber nur noch vier Wochen zwischen Dezember und Januar daheim sein kann, ist das schon eine harte, lange Zeit. Ohne Familie, ohne Freunde – und ohne meinen Hund.“
Aber ans Aufgeben denkt der selbstbewusste Uruguayer zu keiner Sekunde. Trotz des Heimwehs versucht er in diesem Abschnitt sein Leben so gut zu meistern, wie er nur kann. Er optimiert seine Trainingsmethoden, feilt an jeder noch so kleinen Bewegung, stets seinen großen Traum vor Augen. Nicht nur an der Technik, auch an seinen Sprachkenntnissen arbeitet der Südamerikaner hart. Selbstvertrauen und Passion sind für Erick elementar, um Erfolg zu haben: „Wichtig ist, mit sich selbst im Reinen zu sein und mit Leidenschaft zu tun, was man jeden Tag ausübt.“
Frankreich als Mittelpunkt
Von Frankreich aus beginnt für Erick eine Reise durch unseren Kontinent. Dort spielt er anfangs viele Turniere und bekommt ein Angebot, in einer Mannschaft Ligaspiele zu bestreiten. Dies kommt ihm gelegen: „Dadurch hatte ich ein sicheres Einkommen. Ich war nicht zwingend von guten Resultaten abhängig, um genug Geld für mein Leben zu haben.“ In dieser Zeit ist er an vielen Orten Europas anzutreffen, hinterlässt überall seine Spuren. Erick bestreitet Turniere in Spanien, Italien und Griechenland. Fünf bis sechs Monate im Jahr reist er quer durch alle Himmelsrichtungen des europäischen Festlands. Nach zwei bis drei Jahren beschließt der heutige Tennistrainer, nur noch in Frankreich Wettkämpfe zu absolvieren. Die Reisekosten für die Turniere im Ausland sind deutlich höher als in seiner damaligen Wahlheimat. Dies erhöht den Druck, erfolgreich zu sein.
Noch heute besucht der 40-Jährige regelmäßig Paris, um in erster Linie die French Open, die im Mai dort stattfinden, und das große Hallenturnier von Paris-Bercy im November anschauen zu können. Man merkt Erick an, dass er sich in Frankreich wohl gefühlt hat. Im Training ruft er ab und zu etwas auf Französisch rein. Er macht Scherze in der Sprache, vor allem bei Schülern, die es verstehen.
French Open: Die French Open sind eines von vier Grand-Slam-Turnieren im Jahr. Sie werden seit 1891 jährlich ausgetragen.
Paris Masters: Das Paris Masters ist ein hochrangig besetztes Hallenturnier. Es wird im Stadtteil Paris-Bercy ausgespielt.
Ein Mann, sechs Sprachen
Sein Deutsch ist gut. Er spricht flüssig und ohne zu stocken. Aber nicht nur das beherrscht der Südamerikaner. Erick spricht sechs verschiedene Sprachen. Neben Spanisch und Deutsch kann er sich auf Englisch, Französisch, Italienisch und Portugiesisch unterhalten. Französisch lernt der Tennistrainer fünf Jahre lang in seiner Schule in Montevideo und Italienisch zum Beispiel fällt ihm leicht: „Ich hatte damals Verwandte in Italien und habe dadurch vier Monate in Mailand gelebt.“ Mit der Hilfe einer brasilianischen Ex-Freundin kommt Portugiesisch noch dazu. Englisch zu können ist in der globalen Sportart Pflicht. Er reduziert seine Sprachkenntnisse jedoch nicht ausschließlich auf ein gewisses Talent: „Ich bin neugierig und möchte vieles auf einmal lernen.“
Deutschland als neue Heimat
Ab dem Sommer 2002 erhält er die Option, für einen Verein Ligaspiele in der Bundesrepublik zu bestreiten. Es ist der Start von etwas Großem. Zu Beginn ist die Verständigung auf Deutsch ein Problem, das Erick immer wieder begegnet. Der redselige Tennisspieler kann sich zunächst nur auf Englisch mit anderen Menschen austauschen.
Nachdem er hier vier Jahre in Folge über einen Zeitraum von sechs Wochen spielt und Sprachkurse belegt, sind Unterhaltungen auf Deutsch kein Problem mehr. 2006 trifft er die Entscheidung nach Niefern-Öschelbronn in die Nähe von Pforzheim zu ziehen – nicht gerade eine deutsche Metropole. Dabei hatte er vorher ein anderes Bild von Deutschland: „Ich dachte, dass es in Deutschland immer kalt ist und die Deutschen vor Kälte sterben. In diesem Sommer war es aber so warm und ich habe mich sofort in das Land verliebt.“ Erick kann sich noch gut daran erinnern, wie sogar der Asphalt in München schmolz. Damals fand die Fußball-WM im eigenen Land statt. Für ihn war die Stimmung der Menschen beim Sommermärchen begeisternd.
Mentalität und Arbeitsmoral
„Viele Menschen denken, dass sie nach Deutschland auswandern und dann direkt einen Porsche oder Mercedes fahren. So einfach ist es nicht. Man muss hier leben, um zu wissen, wie viel der durchschnittliche Deutsche arbeitet.“ Erick gefällt vor allem die deutsche Mentalität: „Hart arbeiten und immer besser werden wollen, das finde ich gut.“ Der Wahl-Deutsche selbst gibt pro Woche über 50 Stunden Training. Viel Zeit für andere Dinge bleibt da nicht. Doch das stößt dem Uruguayer nicht auf – Tennis ist sein größtes Hobby, seine Leidenschaft, sein Leben. 2011 gründete er die Tennisschule Silva, die er hauptberuflich betreibt. „Ich empfinde es als Privileg, von meiner Leidenschaft leben zu können. Das habe ich meiner Hingabe und der Liebe zum Tennis zu verdanken.“