Auf Entzug

Alltag ohne Smartphone

Während alle um mich herum ständig am Smartphone hingen, musste ich ohne auskommen.
18. Mai 2019

Direkt nach dem Aufstehen, während des Essens, auf der Toilette, an der S-Bahn-Haltestelle, in der Vorlesung oder beim Meeting unter dem Tisch – unser Smartphone ist immer und überall mit dabei. Der kleine Computer für die Hosentasche ist ein fester Bestandteil unseres Alltags. Doch wie fühlt es sich an, wenn dieser Teil für fünf Tage wegfällt? Ein Selbstversuch, der die Antwort liefern soll. 

7.30 Uhr. Penetrantes Klingeln erfüllt den Raum. Doch irgendwas ist anders, denn ich werde nicht wie gewohnt von dem monotonen Surren meines Smartphones geweckt. Stattdessen sorgt mein Wecker, der die letzten Jahre wie ein Fußballspieler auf der Reservebank auf seinen Einsatz gewartet hat, dafür, dass ich langsam die Augen öffne. Noch nicht mal richtig wach, greift mein linker Arm reflexartig zum Nachttisch. Mein Unterbewusstsein ist in freudiger Erwartung, mein Gehirn gleich mit der vollen digitalen Dröhnung zu versorgen. Doch ich greife ins Nichts.

Mein Selbstversuch startet. Fünf Tage lang heißt es für mich: Smartphone-Fasten. Wann ich zuletzt einen Tag ohne Handy verbracht habe? Ich weiß es nicht. Kein WhatsApp. Kein mobiler Kalender. Keine Wettervorhersage. Die Liste könnte ich ewig weiterführen. Schließlich begleitet mich mein kleiner digitaler Freund seit Jahren durch den Alltag – und das 24/7.

Doch damit bin ich kein Einzelfall, sondern vielmehr das Paradebeispiel unserer heutigen Gesellschaft. Denn während das Handy früher noch ein einfacher Gebrauchsgegenstand war, ist es heute weitaus mehr. „Wir telefonieren im Schnitt nur noch sieben Minuten am Tag“, so der Professor und Mitentwickler der Menthal-App, Alexander Markowetz in seinem Buch „Digital Burn-out“. Stattdessen zeigen wir der Welt, was wir frühstücken, lassen uns durch die Stadt navigieren, tippen eine Mail– alles mit ein und demselben Gerät. Ein Computer für die Hosentasche. Als Apple 2012 das iPhone auf den Markt brachte, wurde damit der Startschuss zur Handyrevolution gesetzt. 2018 gab es, laut Markowetz, 57 Millionen Smartphone-Besitzer in Deutschland. 

45 Tage im Jahr am Smartphone

Während der Busfahrt würde ich normalerweise durch Nachrichten-Apps scrollen und meinen Lieblingssongs auf Spotify lauschen. Doch heute beobachte ich einfach nur meine Mitmenschen und das nicht durch Instagram-Stories, sondern ungefiltert und analog. Schnell fällt mir auf: Der Junge mit Baseballcap, die zwei Frauen und sogar der ältere Herr mit Aktenkoffer – alle beugen sich übers Smartphone. Laut der Menthal-Studie, welche sich umfassend mit der Smartphone Nutzung beschäftigt, entsperren wir unsere Smartphones im Schnitt 56 Mal am Tag. Da fragt man sich: Gibt es 56 rationale Erklärungen, die diesen hohen Konsum rechtfertigen? Nein, sagt Alexander Markowetz. Ein Großteil der Nutzung geschieht unbewusst. Durchschnittlich drei Stunden täglich verbringen wir, laut des Professors und App-Entwickler, mit unserem mobilen Freund. Das sind 45 Tage im Jahr!

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Weltweite Smartphone Nutzung. | Quelle: Sandra Belschner

Keine Frage: Wir lieben unsere Smartphones. Für einige ist das Handy der beste Freund, engster Vertrauter oder die große Liebe. So wie für Aaron Chervenak, der in Las Vegas sein Handy heiratete. Doch wie kommt es dazu, dass wir einem technischen Gerät, welches im Schnitt unter 200 Gramm wiegt, eine so enorme Bedeutung zuschreiben? Die Psychologen der Menthal-Studie machen die Nachrichten, welche wir über Messenger empfangen, dafür verantwortlich. Jede Nachricht ist eine Bestätigung, dass an einen gedacht wird und vermittelt so emotionale Verbundenheit.

Smartphone-Junkie

Für eine Eheschließung reicht es bei mir noch nicht, dennoch: Ich verbringe viel Zeit am Handy. Im Vorfeld habe ich meine Nutzungsdauer getrackt. Zwei bis drei Stunden pro Tag kamen dabei ans Licht. Zwei bis drei Stunden, die ich jetzt anders fülle: Am Morgen nehme ich mein Frühstück bewusst war und lasse mich nicht von der Social-Media-Welt berieseln. Am Abend konzentriere ich mich auf das Gespräch mit Freunden und nicht auf das blaue Leuchtsignal meines Handys. Doch zugegeben, so ganz offline bin ich nicht. Wichtige Nachrichten tausche ich per Mail aus. Das wäre anders nicht möglich gewesen. Am Ende des zweiten Tages bin ich fast ein bisschen enttäuscht: Ist es wirklich so einfach auf das Smartphone zu verzichten?

Alkoholiker, Raucher, Drogenabhängige – alle leiden an einer Suchterkrankung und müssen mit Entzugserscheinungen rechnen, wenn sie ihrem Körper die gewohnte Substanz nicht mehr zuführen. Der Fachverband Sucht e. V. nennt als mögliche Symptome Halluzinationen, Gereiztheit oder Schweißausbrüche. Gleiches kann auch bei Verhaltenssüchten wie beispielsweise der Smartphone-Sucht auftreten. Doch weder hatte ich mit Stimmungsschwankungen zu kämpfen noch sah ich Dinge, die eigentlich nicht existierten. Super! Jetzt also der Beweis: kein Smartphone-Junkie.

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Smartphonesucht: Deutschland und weltweit. | Quelle: Sandra Belschner

Was machen meine Freunde gerade?

„Error“, zeigte mein Mail-Account am dritten Tag an. Nun war ich endgültig von der Außenwelt abgegrenzt. Eine einfache technische Störung, die bei mir eine große Unruhe auslöste. No-Mobile-Phone-Phobia lautet das Fachwort dafür. Sie ist eine Begleiterscheinung der Handyabhängigkeit und bezeichnet die Angst, ohne Mobiltelefon unerreichbar zu sein. Vor allem junge Menschen sind betroffen. Nomophobiker befürchten Informationen zu verpassen oder von Interaktionen ausgeschlossen zu sein. Vor kurzem noch belächelt, kann ich das Gefühl jetzt nachvollziehen. Ja, ich vermisse den Vibrationston meines Handys. Was machen meine Freunde gerade? Verpasse ich Wichtiges? Doch das Smartphone bleibt im Schrank – einfach ist anders.

An Tag vier geht es für mich für ein Uniprojekt nach Erfurt. Das Ticket habe ich nicht auf meinem Handy, sondern ausgedruckt in meinem Rucksack. Die vier Stunden im Zug verbringe ich mit – einem Buch. Dennoch, was mir zu Beginn nichts ausmachte, fällt mir zunehmend schwerer. Ich sehne mich nach meinem digitalen Freund. Besonders als ich in Erfurt ankomme und nicht, wie verabredet, eine Kommilitonin auf mich wartet. Was jetzt? Ich weiß doch gar nicht wo ich hinmuss? Ich gestehe: Die Versuchung war groß, zum Handy zu greifen. Ein kurzes „Wo bist du?“ und das Problem wäre gelöst gewesen. Noch in der Überlegung höre ich die lauten Rufe meiner Kommilitonen, die sich am anderen Ende des Bahnhofs die Seele aus dem Leib schreien.    

Das Leben im Hier und Jetzt ist einfacher

Am Ende meiner Smartphone-Abstinenz muss ich mir eingestehen, dass ich die Zeit auch ein bisschen genossen habe. Nicht immer erreichbar zu sein, macht das Leben im Hier und Jetzt einfacher. Dennoch bin ich glücklich aufgeregt, wie früher an Weihnachten, als ich am letzten Abend meines Experiments, meinen kleinen Freund befreie. Ich freue mich auf ungelesene Nachrichten, auf meine Lieblings-Instagram-Accounts. Ich freue mich auf die volle digitale Dröhnung. Und endlich habe ich mein Smartphone wieder in der Hand. Oder hat mein Smartphone mich in der Hand?