„Letztlich verstetigt die Mitfahrbank das, was die Menschen in Rohrau schon immer getan haben: Einander geholfen und mitgenommen, wenn jemand Bedarf hatte.“
„Nimm mich mit!“
Etwas einsam ist es hier schon. Und mir ist ganz schön warm. Die Mittagssonne steht genau über meiner Bank und bringt das Metall zum Glühen. Vor meinen Augen rauschen die Autos an mir vorbei. Wie viel Zeit ist bisher vergangen? Schon über zehn Minuten, wie mir ein Blick auf die Uhr verrät. Und bisher hat sich noch keiner der Vorbeifahrenden meiner erbarmt und angehalten. Dabei ist direkt über meinem Kopf gut sichtbar ein Schild mit einem niedlichen roten Comic-Auto und dem Wort „Mitfahrbank“ angebracht. Vielleicht hätte ich mir ein Buch mitnehmen sollen, denke ich etwas frustriert, als plötzlich doch ein Wagen vor mir zum Stehen kommt. Das Fenster wird heruntergekurbelt und ein freundlicher Herr beugt sich vom Fahrersitz herüber: „Soll ich Sie mitnehmen?“ Unbedingt! Ich nehme dankend an und steige ein. Thomas (54) kennt durch seine Kinder die schlechten Busverbindungen und erzählt mir, dass er früher selber viel getrampt ist. Viel zu schnell ist die Fahrt schon wieder vorbei. Per Anhalter zwar nicht durch die Galaxis, aber immerhin nach Rohrau. Hier befindet sich prominent direkt am Ortseingang – und deshalb im Gegenteil zur Gärtringer Bank nicht so leicht zu übersehen – das Gegenstück. Ich verabschiede mich von Thomas und schlendere rüber zum anderen Bänkle. Mal sehen, wie lange es dieses Mal dauert …
Wie funktioniert's?
Die Idee hinter dem Konzept ist schnell erklärt: In vielen ländlichen Gegenden, wo Bus und Bahn selten oder gar nicht fahren, ist es gerade für Menschen ohne Auto oft gar nicht so einfach, zum Beispiel in den nächstgrößeren Ort zum Einkaufen zu gelangen. Dem kann durch eine – strategisch günstig platzierte – Mitfahrbank Abhilfe geschaffen werden. Ein entsprechendes Schild signalisiert den Vorbeifahrenden, dass man mitgenommen werden möchte und in welche Richtung ungefähr. Premium-Versionen des Schildes erlauben sogar eine Auswahl zwischen verschiedenen Zielen. Dann nimmt man bequem Platz – und wartet. Vorzugsweise bei gutem Wetter, eine Überdachung gibt es nämlich nicht. Die Länge der Wartezeit variiert stark: In meinem Fall dauerte es auch manchmal keine zehn Sekunden, da hielt ein Wagen am Straßenrand.
Die erste Bank wurde 2014 in Rheinland-Pfalz aufgestellt und hat seit jeher Nachahmer in ganz Deutschland gefunden. Im Großraum Stuttgart gibt es zur Zeit nach Angaben des Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) zehn dieser „Bänkle“. Neben den zwei in Gärtringen und Rohrau im Kreis Böblingen, steht in der Gemeinde Remshalden im Teilort Buoch eine; eine zweite in Grunbach ist in Planung. Weitere Bänkle finden sich in Winterbach, Manolzweiler und Engelberg, Uhingen und im Nassachtal (Landkreis Göppingen) sowie in Großheppach und Gundelsbach in der Weinstadt.
Wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt
Auf der Jagd nach interessanten Anekdoten und Erfahrungsberichten, habe ich mit meinen Fahrern einige interessante Gespräche geführt. Zwei Dinge wurden mir dabei klar: Die meisten Menschen sind wirklich nett. Und: Anscheinend nutzt außer mir niemand diese Bank. Denn – wie ich etwas enttäuscht feststellen musste – hat noch keiner der acht an zwei Tagen „getesteten“ Fahrer jemals zuvor jemanden mitgenommen. Dabei fahren sie die Strecke täglich. „Ich sehe schon manchmal Leute auf der Bank sitzen, aber wenn ich anhalte und frage, stellt sich immer raus, dass sie sich nur ausruhen“, schmunzelt Thomas. Schade, denn die Gärtringen-Rohrauer sind zumeist eigentlich mit viel Begeisterung bei der Sache: „Es ist eine klasse Sache“, schwärmt Bärbel (53), die gerade auf dem Weg zu ihren Eltern in Gärtringen ist. „Ich habe immer Mitleid mit den Leuten, die die Landstraße entlang laufen. So müssen sie das nicht mehr.“ Auch die Ortsgemeinschaft könne ihrer Meinung nach hierdurch verbessert werden; man lerne so ja auch nette Menschen aus der Umgebung kennen. Gisela (63) und José-Maria (79) aus Rohrau haben beide über das Gemeindeblatt von der Bank erfahren, aber sie noch nie jemanden nutzen gesehen. „Könnte auch mit der Tageszeit zusammenhängen, zu der man vorbeifährt“, vermutet Volker (55), als ich ihn darauf anspreche.
Anders als bei Internetanbietern wie „BlaBlaCar“ ist es bei diesem Konzept nicht ersichtlich, wer wen gefahren hat. Das Ganze beruht auf Vertrauensbasis, die Fahrten finden auf privatrechtlicher Grundlage statt. Bisher liegen zwar noch keine Berichte von negativen Zwischenfällen vor, die Frage nach der Sicherheit ist aber trotzdem durchaus angebracht. Meine Befragten sehen grundsätzlich kein Problem darin, eine fremde Person zu sich in den Wagen zu lassen. „Wenn jemand komplett unsympathisch aussieht, würde ich es mir vielleicht noch mal überlegen“, meint Thomas. An mangelnder Bereitschaft seitens der Autofahrer scheitert das Ganze also schon mal nicht – fehlen nur noch mehr Menschen, die das Angebot auch nutzen.
Keine Zahlen, aber viel Begeisterung
Exakte Zahlen zur Nutzung der Bank kann auch der Gärtringer Ortsvorsteher Torsten Widmann nicht liefern; eine entsprechende Erhebung werde erst diesen Sommer durchgeführt. Als Teil des im vergangenen Jahr erarbeiteten Mobilitätskonzept, wurden die „Mitfahrbänkle” aus dem Gemeindehaushalt finanziert, mögliche weitere sollen über Sponsoren laufen. Die Resonanz unter den Ortsbewohnern zur Errichtung der Bank beschreibt Widmann als sehr positiv. Ein solches Projekt sorge oft für eine bessere Verbindung zwischen den Einwohnern und stärke den „Ortsgeist“ – auch wenn der laut dem Ortsvorsteher bereits vorher recht ausgeprägt war.
Was sagt eigentlich der VVS dazu?
Es stellt sich die Frage: Warum werden in den betroffenen Gebieten nicht einfach weitere Busverbindungen eingerichtet? Frank Bodenhöfer, Teamleiter Angebotsplanung in der Abteilung Planung des Verkehrs- und Tarifverbundes, erläutert, dies basiere auf der Regel, dass aus wirtschaftlichen Gründen nur Teilorte mit 200 und mehr Einwohnern eine Nahverkehrsanbindung haben sollten. „Wir halten ein solches Mobilitätsangebot für sehr gut. Es wird immer Bereiche geben, in denen der „klassische ÖPNV“ (Bus und Bahn) unwirtschaftlich ist. In solchen Räumen (und Zeiten) sind kreative Lösungen gefragt.“ Da die Bänke auf Initiative der Kommunen entstehen, obliege dem VVS keine Verantwortung; auf der Website wird aber auch ausdrücklich auf diese möglichen Alternativen hingewiesen.
Die Bank, die verbindet
Trampen, aber in modern und bequem – „Mitfahrbänke“ sind, zumindest auf dem Land, die neue Alternative zum öffentlichen Nahverkehr oder mühsamen Laufen. „Connection“ entsteht hier gleich auf mehreren Ebenen: räumlich wie sozial. Wie dieses Konzept sich weiterentwickelt, ob es im Raum Stuttgart noch weiter ausgebaut wird und was Erhebungen zu tatsächlichen Nutzerzahlen ergeben, bleibt abzuwarten. Ein Problem mit der Bereitschaft, Wartende auch wirklich mitzunehmen, gibt es jedenfalls nicht, wie sich gezeigt hat – auch wenn man manchmal möglicherweise etwas länger warten muss. Sitzen gelassen (im wahrsten Sinne des Wortes) wird aber schlussendlich niemand!