Hillsong Church Konstanz

Modern und konservativ

Mitglieder der Gottesdienstband „Hillsong Young and Free“
11. Dez. 2018

Hipster, die an Gott glauben, keinen Sex vor der Ehe haben und die christlichen Werte der Kirche bewahren wollen – das Phänomen der Hillsong Church wirft weltweit viele Fragen auf. Woher kommt diese Freikirche und ist es vielleicht doch eine Sekte? Ich werfe einen Blick in die Hillsong Church Konstanz und die Kritik an ihr.

Laute Musik, Lichter und Effekte, mehrere Beschwerden wegen Lärmschutzüberschreitung und hereinströmende Massen junger Leute und Studenten. Nein, es handelt sich bei dieser Szene um keinen Nachtclub, es ist ein Gottesdienst. Dreimal pro Sonntag findet er in der „Hillsong Church Konstanz“ statt. Erinnert mehr an ein Konzert. Die Pastoren – einer mit Vollbart, ein anderer von oben bis unten tätowiert oder mit Löchern in der Jeans – eine Mischung aus Joko Winterscheidt und H&M-Model. Irgendetwas ist hier anders.

Was ist eigentlich eine Freikirche?

Schon oft habe ich von Freikirchen gehört: Kirchen, die nicht vom Staat abhängig sind und sich in Vereinen organisieren. Sie sind meist moderner als Landeskirchen, auch wenn es ganz viele verschiedene Arten von Freikirchen – strenge und weniger strenge – gibt. Die Hillsong habe ich schon selbst besucht – doch bevor ich die Gemeinde genauer unter die Lupe nehme, hole ich auf der Konstanzer Marktstätte ein paar Meinungen von Jugendlichen, Eltern und Studenten zum Thema ein.

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Hinter den Fenstern der Konstanzer Bürger – anonyme Stimmen zur Frage „Was sagen Sie zum Thema Hillsong Church?“ | Quelle: Zita Hille

Die Hillsong Church stößt in den Köpfen der Konstanzer auf diverse Meinungen – es ist ein Thema, über das sie reden und nachdenken, weil es ihr direktes Umfeld betrifft.

Doch was genau ist eigentlich diese Hillsong Church?

Die Hillsong Church ist eine freie Gemeinde der christlichen Pfingstbewegung, die sich ausschließlich durch Spenden finanziert und in Deutschland als Mitglied des BFPs (Bund freier Pfingstgemeinden) als Verein organisiert. Die erste Hillsong Church wurde 1983 in Sydney, Australien, von Brian Houston gegründet und entwickelte sich seitdem zu einer Megachurch, die es nun weltweit in mehr als 160 Ländern gibt und immer weiter wächst. In Deutschland findet man Anhänger der „Hillsong Church Germany“ bisher in Konstanz, München, Berlin und Düsseldorf. Die erste deutsche Hillsong Church wurde vor 13 Jahren von Freimut Haverkamp in Konstanz gegründet. Der „charismatische“ Gottesdienst zeichnet sich dadurch aus, dass Menschen Gott mit ihren Emotionen und ausdrucksstarken Gesten anbeten. Auch Justin Bieber, Selena Gomez oder Brooke Fraser bekennen sich offen zur Hillsong Church.

Ich will mehr über die Church wissen. Deshalb verabrede ich mich mit Julian Alloway, dem 31-jährigen Jugendpastor der Hillsong Konstanz.

Der Instagram-Pastor

Wir treffen uns im Café der Hillsong-Kirche. Das Foyer der ehemaligen Industriehalle ist hell erleuchtet, obwohl dort an diesem Nachmittag keine Veranstaltung stattfindet. Loungemusik läuft im Hintergrund, Kaffeegeruch schwebt in der Luft, überall stehen gemütliche Ledersofas und Menschen unterhalten sich ausgelassen. Alles ist modern, mit hellem Holz und Weihnachtsschmuck ausgestattet.

Julian sitzt an einem der Tische, scrollt auf seinem Handy herum. Er trägt eine Cap, ein T-Shirt mit der Aufschrift „Young and free“ und eine schwarze, gelöcherte Röhrenjeans. Als er mich bemerkt, grinst er, springt auf und begrüßt mich mit einer Umarmung – und er soll Pastor sein? Bevor das Interview losgeht, zückt er sein Handy, um erst mal eine Insta-Story anzufertigen. Auch den Interviewtermin hatten wir über Instagram festgelegt – dort ist er sehr aktiv und setzte schon Hashtags wie #nobiblenobreakfast durch, die nun Menschen posten, um ihr morgendliches Bibelleseritual mit der Welt zu teilen.

„Young and Free“ ist das Motto seiner Jugendgruppe: Wöchentlich treffen sich bis zu 80 Jugendliche, um in der Hillsong Church über – im wahrsten Sinne des Wortes – Gott und die Welt zu lernen.

Julian fing mit 17 an, Jugendarbeit zu machen und studierte Theologie. „Ich liebe die Energie und Leidenschaft von Jugendlichen, das begeistert mich eigentlich am meisten“, schwärmt er und seine Augen blitzen vor Begeisterung. Der junge, verheiratete Vater bestätigt, dass er an jedes einzelne Wort der Bibel glaubt, es jedoch ganz auf Absender, Empfänger und den kulturellen Kontext ankäme. Ebenso glaube er auch an übernatürliche Dinge wie Heilung oder das Leben nach dem Tod.

Hillsong Church - eine typische Freikirche?

Bei dieser Frage bezeichnet Julian die Church als innovative Kirche, in der jeder geliebt sei. Die Mitglieder seien der Meinung, dass Gottesdienst nicht langweilig sein müsse: „Wir haben Spaß, genießen das Leben und fordern uns trotzdem gegenseitig heraus, den Glauben zu leben.“

Ein typischer Gottesdienst in der Hillsong Church Konstanz – laute Musik, betende Menschen, moderne technische Untermalung.
Freimut Haverkamp ist der Gründer von Hillsong Germany. Hier predigt er in Konstanz.
Einmal im Jahr findet in London die Hillsong Conference für Europa statt – ein großer Gottesdienst über mehrere Tage.
Auch Weihnachten wird in der Church in Konstanz groß gefeiert – immerhin hat Jesus Geburtstag! Hier mit etwas Konfettiregen.

Anti-moderne Theologie & Anti-Homosexualität?

Dass die Hillsong Church keine der klassischen Freikirchen ist, bestätigt mir auch Annette Kick, Pfarrerin der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und Beauftragte für Weltanschauungsfragen. Sie arbeitet mit Menschen zusammen, die in Konflikte mit „Sekten“ oder anderen fragwürdigen Gruppen kommen oder ausgestiegen sind, erzählt sie am Telefon. Kick kennt die Hillsong-Gemeinde und war bereits zweimal dort: „Ihr Rezept ist das moderne Format, vor allem die Musik. Außerdem haben sie tolle Gemeinschaftsformen, besonders für junge Menschen.“ Doch, betont sie, müsse man auch die Gegenseite betrachten: Oft stünde im Hintergrund nämlich eine „anti-moderne Theologie“: Menschen, die im Bezug auf Moralvorstellungen, Ehevorstellungen oder auch Rollenbilder zwischen Mann und Frau „einfach sehr konservativ“ seien.

Zum Beispiel habe in Konstanz ein Kollege die Frage gestellt, ob jemand, der homosexuell empfinde, denn auch einen der Hauskreise (wöchentliche Bibeltreffs) leiten könne, worauf mit einem klaren Nein geantwortet worden sei. Homosexuelle würden nicht herausgeschmissen werden, dürften aber „natürlich“ auch kein Amt tätigen. Oder eine andere Frau habe erzählt, dass sie froh sei, die Hillsong-Gemeinde gefunden zu haben, da ihr vorher niemand gesagt habe, dass Sex vor der Ehe schädlich sei.

Natürlich würde ich gern wissen, was Julian zu Letzterem zu sagen hat:

Annette Kick ist da ganz anderer Meinung:

Ich merke schon: Die Meinungsvielfalt bezüglich der Theologie der beiden Protagonisten spiegelt sich in meinen anonym befragten Bürgern von vorhin wider – Meinungen zu Freien Gemeinden wie der Hillsong Church scheinen in der Gesellschaft in zwei Extreme geteilt zu sein.

Julian, seid ihr konservativ?„“

„Ja, conservare ist ja lateinisch und heißt „bewahren““, sagt der Pastor, „und wir als Kirche bewahren tatsächlich die Werte des Glaubens, deswegen hoffe ich sogar sehr, dass wir konservativ sind.“

Aber: Sind konservative Gruppen gleich eine Sekte? Ulrike Schiesser, Psychologin, Psychotherapeutin und Beraterin bei der Bundesstelle für Sektenfragen in Wien, hat dazu ein Schema, um eine Gruppe wie die Hillsong nach Anzeichen für eine Sekte zu untersuchen:

Weist eine Gruppe sektenartige Strukturen auf?

  1. Leitung der Gruppierung: Gibt es eine Person oder ein Gremium, welche/s vorgibt, was als wahr gilt?
  2. Innen-Außen-Abgrenzung: Wie grenzt sich die Gruppe nach außen hin ab und ist es freigestellt, zu kommen oder zu gehen, wie man möchte? Gibt es Aufnahmekriterien oder Aufnahmeverfahren, um Teil der Gruppe werden zu können?
  3. Schwarz-Weiß-Denken: Wie weit werden komplexe Dinge in Glaubensfragen auf einfache Formeln heruntergebrochen?
  4. Umgang mit Kritik: Kann man in dieser Gruppe Kritik äußern und wird diese auch respektiert/beachtet bzw. umgesetzt?
  5. Auswirkungen auf das Leben: Wie intensiv wirkt sich die Lehre der Gruppe auf Kleidung, Nahrung, Kindererziehung, Partnerschaft, Sexualität und das eigene Selbstbildnis aus?

Trotzdem wollten sich laut Schiesser manche Menschen diesen Strukturen, dem Schwarz-Weiß-Denken und den klaren Regeln aussetzen und sich daran halten – und das sei auch völlig in Ordnung. Wo man allerdings Grenzen ziehen sollte, sei im Bereich dieser Gefährdungen:

„Als ich in der Hillsong war“, fällt Annette Kick zu diesem Thema ein, „und wir den begeisterten Mitarbeitern Fragen stellten, wieso auch in Düsseldorf eine Gemeinde gegründet worden sei, hieß es: Das wurde dem Gründer so gezeigt von Gott. Wir haben dann ganz frech gefragt: Könnte er sich denn da geirrt haben? Auf die Idee kamen die jungen Damen nie.“

Austritt?

Trotz all dem könne man laut Schiesser leicht wieder herauskommen, wenn man das wolle: „Die Kontrolle, die die Gruppe auf Sie ausübt, ist nicht annähernd so groß wie die Kontrolle, die Sie über sich selber ausüben.“ Maximal werde an das Gewissen appelliert oder der Austritt mit dem geistlichen Verderben gleichgesetzt.

Ich stelle also die Frage: Ist die Hillsong Church eine Sekte?

Julian beantwortet mir diese Frage mit „Nein“. Die Hillsong Church habe einen Vorstand, sodass keiner der Pastoren die Möglichkeit habe, größere Entscheidungen allein zu treffen.

Auch Kick antwortet mit einem „Nein“: In letzter Zeit hätten in der Seelsorge zwar Fälle von gemeldetem Missbrauch zugenommen - man könne teils von sektiererischen Tendenzen sprechen. Allerdings spräche man hier eher von „christlichen Sondergemeinschaften“, unter denen man zwischen solchen wie den Zeugen Jehovas und denen, bei denen es eher manipulativer vorginge (zum Beispiel Scientology), unterscheiden müsse. Die Hillsong Church finde dort keinen Platz.

Zum Abschluss stelle ich Julian noch die Frage nach abschließenden Worten: „Ich glaube“, sagt er, „dass Kirche Hoffnung sein kann – muss jetzt auch nicht Hillsong sein. Ich würde jeden ermutigen, das einfach mal auszuprobieren.“

Glaube und Religion kann man diskutieren –  keine Frage. Für mich steht allerdings fest: „Leben und leben lassen“ – ein bisschen mehr Nächstenliebe wird uns allen wohl nicht schaden.