Mein Geschlecht definiere ich selbst
Den Menschen so sehen wie er ist – einer der wichtigsten Grundsätze, die wir uns im Umgang mit unseren Mitmenschen beibehalten sollten. Als Kind fällt uns diese Tugend noch leicht, doch je älter wir werden, desto schwieriger erscheint uns diese Aufgabe. Wir denken zunehmend in Geschlechterrollen, die uns die Gesellschaft vorschreibt. Frauen und Männern werden soziale Rollen zugeschrieben, wodurch sich die Gesellschaft spaltet. Mit der Bezeichnung nicht-binär bricht Loerdy dieses Genderkonstrukt auf und findet their wahre Identität.
Weil es im Deutschen bisher kein Pronomen für nicht-binäre Personen gibt, wird ersatzweise das englische Pronomen *they/them verwendet. Nicht-binäre Personen können so kennzeichnen, dass sie weder mit dem weiblichen noch dem männlichen Pronomen er/sie angesprochen werden möchten. Loerdy verwendet für sich ebenfalls die englischen Pronomen they/them, weshalb im folgenden Text eben diese verwendet werden.
they/them = Pronomen anstelle von er/sie. Können von Personen verwendet werden, die sich nicht auf ein Geschlecht festlegen möchten.
intergeschlechtlich / inter*(erweiterte Kurzform – umfasst alle intergeschlechtlichen Personen) = können aufgrund ihrer Genetik, Anatomie oder Hormone nicht eindeutig dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugeordnet werden.
transgeschlechtlich/trans* = Personen, die sich nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren können.
cis = Personen, die sich mit ihrem biologischen Geschlecht eindeutig identifizieren.
nicht binär = Personen, die sich weder mit dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht oder aber auch mit beiden Geschlechtern gleichermaßen identifizieren können.
queer = umfasst alle geschlechtlichen und die sexuellen Identitäten des LGBTQ+-Spektrums. Es wird oft als Sammelbegriff für die gesamte LGBTQ+-Community verwendet.
pansexuell = Personen, für welche die körperliche Ausformung in einer Partnerschaft oder bei einer spontanen sexuellen Begegnung keine Rolle spielen.
Neuer Name – Neue Identität
Von Lennard zu Loerdy – doch wie kam es zu der Namenswandlung? Weil they früher eine Brille getragen hat, wurde zunächst aus Lennard der Spitzname „Lennerd“. Als they nach Hamburg zog, verwandelte their Freundeskreis die Abkürzung Loerd zu Loerdy. Dieser Name wird weder männlich noch weiblich gelesen, weshalb they sich damit identifizieren konnte. Den Namen trägt they bereits seit zwei Jahren. Ein weiterer Gedanke hinter dem Begriff nicht-binär ist für Loerdy der Aufbruch des gesellschaftlichen Genderkonstruktes, wodurch die Identität eines Menschen nicht durch sein Äußeres eingeschränkt werden soll.
Loerdy hat bereits im Kindergarten gemerkt, dass they anders ist. Gezeigt hat sich das durch vielseitige Interessen: von Puppen spielen und Seil springen bis zu Judo oder Turnen. Loerdy wollte their Interessen schon in jungen Jahren keine Grenzen setzen. Durch den getrennten Sportunterricht in der Grundschule, bei welchem die Schüler*innen nach Geschlecht aufgeteilt wurden, wurde they bewusst, dass they nicht in die Rolle des männlichen Geschlechts passt. Erst mit dem Umzug nach Hamburg hat they den Begriff nicht-binär kennengelernt und sich endlich einer Gruppe zugehörig gefühlt.
Anders sein ist schwierig
„Es gab einige Situationen, in denen meine Identität von anderen Menschen nicht wahrgenommen wurde“, erinnert Loerdy sich zurück. Besonders prägend für them war die Aussage eines damaligen Turntrainers, welcher their weibliche Art zu turnen kritisiert hat und meinte, they solle männlicher turnen. Im Turnsport gibt es klare Regeln, die vorschreiben, wie die jeweiligen Geschlechter turnen müssen. Für their weibliche Art zu turnen wurden im Wettkampf sogar oft Punkte abgezogen.
Das Schwierigste am Anfang sei, so erzählt they, immer wieder neue Energie aufzuwenden, um anderen den Begriff nicht-binär zu erklären. Es ist herausfordernd, jeweils einen individuellen Weg für den Gesprächspartner zu finden, da man nicht einschätzen kann, wie belesen die Person in dieser Thematik bereits ist. Wenn es darum geht their Identität zu erklären, verhält they sich zunächst zurückhaltend, um sich selbst emotional zu schützen. „Deswegen rede ich sehr selten aus einer emotionalisierten Sicht heraus“, erklärt Loerdy. Sonst hat they das Gefühl, weniger wahrgenommen zu werden. Viele Menschen tendieren dann dazu, nicht zuzuhören oder das Thema nicht ernst zu nehmen.
Die Umgewöhnung zum neuen Namen war für Menschen aus their engerem Umfeld erst einmal schwer. Loerdys Mutter hat in Diskussionen aus Gewohnheit öfter their Geburtsnamen verwendet, um nur ein Beispiel zu nennen. Ansonsten war der Umgang mit Loerdys neuer Identität in their Umfeld sehr unproblematisch und alle waren demgegenüber aufgeschlossen. In Loerdys Familie wurden Menschen schon immer als eigenständiges Individuum wahrgenommen. So hat Loerdy durch die Familie und vor allem their Schwester viel Unterstützung erhalten.
Binarität als Schulfach
In Hamburg lebt Loerdy in einer privilegierten „Bubble“, wie they es liebevoll nennt, in der their Mitmenschen sich gegenseitig schützen, wenn in Situationen die jeweiligen Identitäten falsch oder gar nicht anerkannt werden. In their Heimatstadt Heidelberg stellt es Loerdys Mutter oft vor einige Herausforderungen, anderen Menschen die Identität ihres Kindes zu erklären. Heidelberg ist als kleine Stadt etwas konservativer eingestellt als Hamburg. Trotzdem denkt Loerdy positiv an their Leben in der Heimatstadt zurück.
An their alten Schule in Heidelberg wird mittlerweile eine Gender-Beauftragte für die Schüler*innen eingesetzt. Deshalb betont Loerdy, dass Themen der LGBTQ+-Community an Schulen behandelt werden sollten, zum Beispiel im Sexualkunde-Unterricht. Für Themen rund um Binarität sollte aus Loerdys Sicht ein neues Fach eingeführt werden. Das wünscht they sich für die jüngeren Generationen.
Einfluss der Medien
They glaubt, dass es auch aus akademischer Sicht sinnvoll sein kann, sich mit der eigenen Identität auseinanderzusetzen. In den Medien sieht they die LGBTQ+-Community als unterrepräsentiert an. Wenn Gruppen aus der Community in den Medien dargestellt werden, dann oft im Sinn von „Schaut mal diese Person“. Das heißt sie werden zur Schau gestellt und als etwas Untypisches präsentiert. Loerdys Meinung nach werden nicht-binäre Personen häufig nicht ernst genommen oder als unnormal gesehen. Dabei gibt es auch Menschen, die „…Chemie studiert haben und jetzt in einem Labor arbeiten…“, was für die Medien aber nicht exzentrisch genug ist, so Loerdy.
Wunsch für die Zukunft
Wenn they etwas ändern könnte, würde they die menschliche Identität bereits im Kindesalter thematisieren. Their Meinung nach werden Kinder emotional unterschätzt. Sie sind sehr tolerant gegenüber anderen Personen und können sich an vieles anpassen. Die Enttabuisierung von Sexualität und Geschlecht könnte dazu beitragen, dass sie später mehr Verständnis gegenüber anderen aufbringen könnten.
Aktuell hat they keinen Kinderwunsch, kann sich allerdings vorstellen für andere Kinder zu sorgen. Eine liberale und nicht-binäre Erziehung ist für them essenziell. Rückblickend würde Loerdy their früherem Ich mit auf den Weg geben, dass es trotz allen Schwierigkeiten besser wird. Loerdy sieht sich aber keinesfalls in einer Vorbildfunktion für andere Menschen: „Ich würde niemals sagen, dass ich Leuten die Idee gesagt habe oder dass ich Leute dazu gebracht habe. Ich war eher ein Katalysator dafür.“ Die meisten Menschen setzen den Begriff „nicht-binär“ mit der Sexualität der Person gleich, dabei bezieht sich diese Einstellung auf die Identität eines Menschen. Denn Identität ist nicht gleich Geschlecht.