Warum einfach, wenn es doppelt geht?
Bei dem Gedanken an doppelte Staatsbürgerschaft fängt in den meisten Köpfen ein ermüdender Film über Bürokratie und Papierkram an zu rattern. Doch so weit hergeholt ist das Thema gar nicht: Zwischen 1,8 und 4,3 Millionen Menschen in Deutschland müssten sich laut Statistischem Bundesamt angesprochen fühlen. Eine ganze Menge! Viele Leute wissen aber auch gar nichts von ihrer Betroffenheit, denn zugegeben: Die Richtlinien zum Doppelpass sind etwas verzwickt. Unter anderem auch, weil jedes Land individuell entscheiden darf, ob es die doppelte Staatsbürgerschaft anerkennt oder nicht.
Ein Überblick im Gesetzes-Dschungel
Aber ganz von vorne – wo liegt eigentlich der Unterschied zwischen Doppelpass und doppelter Staatsangehörigkeit? Das erste Missverständnis entsteht meist schon bei der Bezeichnung. Wieso denn? Ist doch genau das Gleiche? Doch so einfach ist es leider nicht.
Ein Doppelpass muss nicht unbedingt die Folge der doppelten Staatsbürgerschaft sein. Jemand kann ein Leben lang die Staatsangehörigkeit zweier Länder besitzen, ohne jemals den zweiten Pass zu beantragen. Ob man trotzdem wählen darf oder einen Wehrdienst absolvieren muss, legt das jeweilige Land fest. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht alle Länder die doppelte Staatsbürgerschaft anerkennen. Selbst wenn es nach deutschem Gesetz erlaubt wäre, kann es passieren, dass man im anderen Land keine Rechte als Staatsbürger besitzt.
Grundsätzlich soll Mehrstaatigkeit in Deutschland vermieden werden. Für die EU gelten allerdings besondere Richtlinien: Bürger aus Mitgliedsstaaten und der Schweiz dürfen als Einzige ihren ursprünglichen Pass neben dem deutschen behalten. Das Recht auf die doppelte Staatsbürgerschaft haben sie, wenn sie mindestens ein deutschstämmiges Elternteil besitzen, in Deutschland geboren wurden oder die üblichen Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllen. Dazu zählen zum Beispiel ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder der eigenständige Verdienst des Lebensunterhalts. Für Ausländer aus Nicht-EU-Staaten gilt: Sie müssen ihren alten Pass bei der Einbürgerung abgeben.
Ausnahmen bestätigen die Regel
Auch Bürger, die nicht aus der Europäischen Union stammen, können unter besonderen Umständen die doppelte Staatsbürgerschaft und den Doppelpass besitzen. Es kommt ganz auf die Herkunft der Eltern und den Geburtsort des Kindes an. Entschieden wird nach den sogenannten Abstammungs- und Geburtsortprinzipien. Ersteres richtet sich nach der Staatsangehörigkeit der Eltern: Ist ein Elternteil deutsch, darf das Kind beide Pässe behalten. Voraussetzung ist natürlich, dass beide Länder die doppelte Staatsbürgerschaft anerkennen. Das zweite Prinzip gilt für Kinder, die Eltern aus Nicht-EU-Staaten haben, aber in Deutschland geboren wurden. Sie dürfen dann zwei Pässe besitzen, wenn sie mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt, einen deutschen Schulabschluss oder eine deutsche Berufsausbildung gemacht haben.
Die Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft in Deutschland sollte Menschen mit Identitätskonflikten helfen. Doch ist das wirklich der Grund, warum manche zwei Pässe besitzen? Wie lebt es sich eigentlich mit verschiedenen Staatsangehörigkeiten und hat es einen Einfluss auf den Alltag?
Betroffene haben dazu ganz unterschiedliche Meinungen.
Anna Smirnov
„Ich finde meine russischen Wurzeln saucool!“, sagt Anna. Sie und ihre Eltern kamen als Spätaussiedler von Sibirien nach Deutschland, als Anna gerade zwei Jahre alt war. Die Entscheidung über ihre Staatsangehörigkeit traf sie selbst. „Meine Mutter hat mich irgendwann gefragt, ob ich den russischen Pass behalten will. Natürlich habe ich Ja gesagt. Ich sehe darin absolut keinen Nachteil“, erzählt sie. Die Kultur hat Anna auf jeden Fall verinnerlicht, doch russische Politik gehört nicht zu ihren Lieblingsthemen. „Auch was Deutschland-Politik angeht, weiß ich eigentlich nur das Nötigste und das reicht mir bisher auch“, gibt sie lachend zu. Der Doppelpass hat für Anna also keine politische Bedeutung, weder in dem Land, in dem sie lebt, noch in ihrer zweiten Heimat. So geht es vielen, die sich schlichtweg nicht für politische Geschehnisse interessieren. Bei der Frage nach ihrem Zugehörigkeitsgefühl antwortet Anna prompt: „Russland trage ich wirklich im Herzen, aber in Deutschland fühle ich mich trotzdem sehr wohl."
Julia Koken
Sie ist gebürtige Deutsche, doch Julias Verwandtschaft ein bunter Mix. Ihre polnische Mutter verbrachte den Großteil ihres Lebens in den Niederlanden und so kam der holländische Pass in die Familie. Dank der Einbürgerung ihrer Mutter hatte Julia von Geburt an das Recht auf die deutsch-niederländische Staatsangehörigkeit. Ihre zweite Heimat ist kein fremdes Pflaster für sie, denn aufgewachsen ist Julia direkt an der Grenze, in der deutschen Kleinstadt Kleve. „Ich kann mich aber auch wunderbar mit der holländischen Mentalität identifizieren“, erzählt sie weiter. Und doch stellt sie sich auf Reisen im Ausland stets als Deutsche vor. So richtig leicht fällt ihr die Entscheidung nämlich nicht: „Ich identifiziere mich weder so richtig krass mit Deutschland noch zu hundert Prozent mit den Niederlanden. Ich sehe mich eher als Europäerin." Obwohl sie beide Pässe haben dürfte, besitzt sie bisher nur den deutschen. Das könnte sich aber bald ändern...
Louise Hebestreit
„Das Lustige ist, in Frankreich bin ich die Deutsche und in Deutschland die Französin.“ Dieses Dilemma kennt wohl jeder, der mehr als nur deutsche Wurzeln hat. Louise hat zudem aber auch die französische Staatsangehörigkeit, mit allen Rechten und Pflichten, die dazu gehören. Die Kultur unseres Nachbarlandes ist ihr bestens bekannt, damit ist sie groß geworden. Seit ihrem 18. Geburtstag steht Louise aber noch eine ganz andere Tür offen: Sie darf nicht nur in einem Land wählen, sie darf es sogar doppelt! Einerseits macht sie sich Sorgen, dass sie Dinge womöglich anders versteht als Menschen, die in Frankreich leben, doch für Louise zählen vor allem die Vorteile: „Wenn ich die Möglichkeit schon habe, dann nutze ich diese Chance auf jeden Fall!“ Doppelt hält ja für gewöhnlich besser. Für Louise ist es außerdem interessant, ein Wahlsystem kennenzulernen, das ganz anders funktioniert als in Deutschland. „In Frankreich konzentriert sich eigentlich alles auf Paris, sollte ich mal nach Frankreich ziehen, dann käme Paris auch am ehesten in Frage.“ Allerdings will sie uns noch eine Weile erhalten bleiben. Ein Leben komplett hinter der französischen Grenze kann sich Louise momentan nicht vorstellen.
Eda Akgöz
„Ich sehe es gar nicht ein, den deutschen Pass zu beantragen, wenn ich sowieso weiß, dass ich später zurück in die Türkei möchte“, antwortet Eda auf die Frage nach ihrer Staatsangehörigkeit. Seit Jahren lebt sie mit türkischem Pass in Deutschland und ist mehr als zufrieden damit. Das Einzige, was sie wirklich stört, ist, dass viele Leute ihre Entscheidung nicht akzeptieren. Dabei hat Eda eine Menge nachvollziehbarer Gründe. „Fast meine ganze Familie lebt in der Türkei, die Menschen dort sind so viel freundlicher und auch der türkischen Politik fühle ich mich einfach näher als der deutschen.“ Genau dafür muss sie sich häufig rechtfertigen: „In den deutschen Nachrichten wird Erdogan und alles, was er tut, immer negativ dargestellt. In Wahrheit hat er aber auch positive Seiten, von denen man hier nichts mitbekommt. Ich selbst nutze auch die türkischen Medien und die Unterschiede finde ich einfach traurig.“ Trotz ihrer Zukunftspläne lebt Eda gerne hier und auch das Studium in Karlsruhe gefällt ihr sehr gut. Den deutschen Pass möchte sie trotzdem nicht. „Ein Vorteil wäre zwar, dass ich einfacher reisen könnte. Aber mehr Gründe fallen mir wirklich nicht ein, deshalb brauche ich den deutschen Pass auch nicht“, erklärt sie lachend.
Feliks Voloz
Ein Leben zwischen zwei Kulturen kennt Feliks eigentlich nicht, denn seine Familie besteht aus weit mehr als zwei Kulturen. Neben Esten und Deutschen sind außerdem noch Ukrainer, Russen und einige weitere Osteuropäer in seiner Verwandtschaft vertreten. Mit etwa zwei Jahren kam er nach Deutschland, doch erst Jahre später beantragte Feliks den deutschen Pass. „Für mich hatte der Pass keine Integrationsgründe, es war rein bürokratisch.“ Als er nach dem Abi eine Reise plante, musste er feststellen, dass ihm der estnische Pass nicht erlaubt, sein Traumziel Neuseeland zu erreichen. Daher beschloss er ganz pragmatisch, den deutschen Pass zu beantragen. Über sein Leben mit zwei Staatsangehörigkeiten sagt er: „Ich bin eine Mischung, ich bin alles und nichts. Wenn ich in Estland bin, sage ich nicht: ich bin Este. Wenn ich in Deutschland bin, sage ich nicht: ich bin Deutscher.“ Denn der Pass bedeutet Feliks im Grunde wenig: „Für mich ist es nur ein Blatt Papier. Integration findet für mich erst durch den Kontakt mit den Menschen und der Kultur statt.“ Reisen ist für Viele der Hauptgrund einen oder auch gleich zwei Pässe zu besitzen. Die eigene Unabhängigkeit macht das Dokument so wertvoll. Das Kollidieren der verschiedenen Kulturen beschreibt Feliks als „Leben – es passiert einfach, fertig“. Ein bisschen stolz ist er aber schon auf seine ungewöhnliche Abstammung: „Ich bin Europa in Person.“