„Für jede Region, für jede Stadt sogar, müssen spezifische Konzepte entwickelt werden, um wirklich ökologisch wirksam zu sein.“
Grünstadt statt Großstadt
Ausgestorbene Städte, weil es zu heiß geworden ist, in ihnen zu leben: Das ist doch eher eine Dystopie, oder? Was kann an den lauen Sommerabenden, die wir immer öfter erleben, so schlimm sein? Joachim Fallmann, Experte im Bereich Stadtklima beim süddeutschen Klimabüro, erklärt das Problem: In versiegelten Flächen und Baumaterialien wie Beton wird die Wärme des Tages gespeichert. Besonders an heißen Sommertagen und den immer wärmer werdenden Sommernächten ist das problematisch. Sogenannte Tropische Nächte lassen die Temperaturen nicht unter 20°C fallen und der Beton kann die gespeicherte Wärme nicht mehr ausreichend abgeben. Das stellt eine Gefahr für uns Menschen und alle weiteren Lebewesen dar. Der Organismus ist bei lang anhaltender Hitze nicht mehr dazu fähig, den Körper mithilfe von Schweiß abzukühlen. Mögliche Folgen sind Symptome wie Erschöpfung, Kopfschmerzen und Muskelkrämpfe. Ältere Menschen und Personen mit chronischen Vorerkrankungen haben ein höheres Risiko, einen Hitzeschlag zu erleiden.
Die Lösung ist einfach und kompliziert zugleich: Mehr Grün. Pflanzen kühlen durch Verdunstung ihre Oberfläche und die Luft in ihrer Umgebung ab. Laut Fallmann ist das ein wesentlicher Aspekt, der Grünflächen von versiegelten Flächen unterscheidet. Außerdem bedeuten Grünflächen bessere Regenwasserversickerung, Schutz gegen Überschwemmungen und Überflutungen, Gebäudedämmung, Schadstoffbindung und Luftreinigung. Pflanzen bereichern die Biodiversität und geben uns Menschen einen gewissen Wohlfühlfaktor. Mehr Grün scheint die offensichtliche Lösung zu sein. So einfach ist es dann aber doch nicht, denn es gibt diverse Hindernisse wie Wasserverfügbarkeit und -bedarf, Baurecht, Denkmalschutz, und schließlich – die Statik.
Hilde Strobl ist Architekturhistorikerin. Ihre Kompetenz liegt unter anderem darin, Architektur in einem reflektierten Kontext zu betrachten. Dass Grünflächen gegen die Überhitzung von Städten helfen, steht für Frau Strobl außer Frage. Es ist die Umsetzung, die sie beschäftigt.
Gebäudebegrünung ist ein Thema, das eine immer größer werdende Aufmerksamkeit erhält. In Deutschland sind die Finanzierungen von Förderprogrammen in den letzten Jahren von rund hunderttausend auf teils zwei Millionen Euro gestiegen. Dennoch besteht großer Handlungsbedarf, denn Deutschland hat weder auf Bundes- noch auf Landesebene ein einheitliches Begrünungskonzept. Durch fehlende Richtlinien haben Kommunen keine Orientierung. Das beschränkt ihren Handlungsspielraum, wodurch die Gefahr besteht, dass Projekte im Sand verlaufen.
Ein weiterer Faktor ist die bereits angesprochene Statik: Begrünte, horizontale Dachflächen sind pflegeleichter und lassen sich einfacher integrieren als vertikale Fassadenbegrünung. Insbesondere letzteres erfordert eine strategische Planung von Bauherren, Architekten und Landschaftsarchitekten. Pflanzen sind eben keine statischen Elemente, sie verändern sich stetig. Das erhöht den Aufwand und damit auch die Kosten.
Teures Science-Fiction Projekt?
Ob Begrünungskonzepte wirklich so viel teurer sind, lässt sich laut Strobl nicht so einfach festlegen. Auch eine edle Marmorfassade muss nach einigen Jahren aufwändig gereinigt werden. Der Blickwinkel entscheidet, ob Begrünungen als seltenes und kostspieliges Konzept angesehen werden oder als das was es ist: natürlich.
In Singapur hat der Einsatz von Begrünung in einem Gebäude eine bemerkenswerte Wirkung erzielt: Das Warten auf einen Aufzug im grün gestalteten Innenbereich empfinden die Menschen als so wohltuend, dass auf den Einsatz eines weiteren Aufzugs verzichtet werden konnte. Entsprechende Kosten wurden dadurch eingespart.
„Es gibt sehr viele Ideen und Projekte, aber natürlich braucht das alles Zeit. Die ersten Startpunkte sind gesetzt und da gilt es jetzt, dass einzelne Städte von anderen Städten lernen und für sich so etwas umsetzen.“
Singapur hat einen einzigartigen Ansatz zur Begrünung von Städten: Die Grünfläche, die zum Bau eines neuen Gebäudes weicht, muss sich an dem neu entstandenen Gebäude wiederfinden. Mit dieser Herangehensweise setzt die grünste Stadt Asiens einen wichtigen Impuls. Strobl sieht dieses Konzept allerdings nicht eins zu eins umsetzbar für Deutschland. Neben geringeren Hürden ist es in Singapur bereits jetzt selbstverständlich, Grünflächen zu integrieren. Dieses Selbstverständnis fehlt hier zu Lande noch. Für einzelne Städte müssen außerdem individuelle Konzepte entwickelt werden, damit sie ökologisch wirksam und nachhaltig sein können. Es existiert immer die Frage der Verhältnismäßigkeit in Relation zur Wirkung und zum Nutzen, sagt Stobl.
Grüner Kessel?
Wie sieht der Fortschritt von grünen Innovationen in Stuttgart aus? Aus Sicht einer Stadtplanerin führt uns Carmen Thome durch die Pläne und Projekte der Kesselstadt:
Begrünungskonzepte sind essenziell, um die Auswirkungen des Klimawandels einzudämmen und damit der Überhitzung von Städten entgegenzuwirken. Innovative Grünflächen haben nur dann eine Zukunft, wenn die richtigen Anreize gesetzt und zugleich einheitliche Richtlinien aufgestellt werden. Nur durch den Einsatz von Pflanzen kann unser Klima und unsere Lebensqualität verbessert werden. Strobls ideale grüne Stadt erinnert an einen Science-Fiction-Film: Alle möglichen Flächen sind begrünt, wie in einer Utopie.