Graffiti: Ist das Kunst oder kann das weg?
Dicke Weste, Farbkleckse auf seinem Hoodie, einen Tapezierroller in der Hand. Sprayer Moe
bereitet sich auf einen langen Tag vor. Denn ein Graffiti kann bis zu zehn Stunden dauern. Die
Wand hinter ihm ist orange übermalt. Die Spraydosen stehen bereits aufgereiht am Boden.
Hier an der Hall of Fame in Bad Cannstatt, der größten Freifläche für legale Graffitikunst in
Stuttgart, ist Moe öfter anzutreffen.
Was Anfang der 70er Jahre in New York entstand, hat sich heute in allen Metropolen der
Welt ausgebreitet – ob in New York, Chicago, Rio De Janeiro, Berlin oder Stuttgart: Graffiti
ist überall zuhause. Ist Graffiti Kunst? Für Moe und seine Freunde schon. Doch Graffiti kann
auch anders.
Graffiti - Kunst oder Rebellion?
Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass man die Graffitiszene nicht nur aus einer Perspektive
betrachten kann. Was viele in Kunstausstellungen bewundern, wird nachts im Verborgenen an
Hauswänden verewigt. Während die Stadt Graffitikünstler beauftragt, um Fassaden mehr
Leben einzuhauchen, steht ein Hausbesitzer verärgert vor den eigenen vier Wänden. Er ist
bewaffnet mit Lösungsmitteln und einem Hochdruckreiniger, empört über diese rebellische
Kunstform.
Neben aufgebrachten Hauseigentümern sind auch die Polizei und das Tiefbauamt von der
illegalen Graffitiszene betroffen. Laut der Stuttgarter Zeitung gab die Stadt Stuttgart im
vergangenen Jahr 250.000 Euro für die Entfernung der Schmierereien an Brücken,
Tiefgaragen, Tunneln oder Parkhäusern aus, die ohne viel Liebe zum Detail in aller Eile an die
Wände gesprüht werden. Sie zu finden ist nicht schwer, sie wieder zu entfernen dafür umso
aufwändiger. Zwei bis vier Stunden dauert es, bis die Graffitis verschwunden sind.
Während Reinigungsfirmen die Schmierereien mühevoll von den Wänden lösen, versucht die
Polizei, die Sprayer mit anderen Mitteln aufzuhalten. Dazu gehören auch Vorträge an Schulen,
um Jugendliche über die rechtlichen Konsequenzen von illegalem Graffiti aufzuklären. Denn
wird ein illegaler Sprayer erwischt, lautet die Anklage Sachbeschädigung oder
Hausfriedensbruch. Auch mit saftigen Geldstrafen müssen die Täter rechnen. Trotzdem gab es
im letzten Jahr in Stuttgart 1.464 Strafanzeigen wegen unerlaubter Schmierereien. Doch was treibt illegale Sprayer an? Die Motive lassen sich nicht eindeutig erklären. Für den einen ist es ein Hobby,
für den anderen Nervenkitzel, Berühmtheit oder einfach die Suche nach Anerkennung unter
den Sprayern.
Die Szene pulsiert im Untergrund. Einen Interviewpartner zu finden? Unmöglich. Das Risiko,
enttarnt zu werden, ist zu groß.
Mehr Freiflächen für ein legales, bunteres Stuttgart
Eine weitere Möglichkeit, illegales Graffiti einzudämmen, ist, den Sprayern mehr legalen
Raum zu geben. Dafür setzen sich Kulturbeauftragte wie Florian Schupp, Angestellter der
Stuttgarter Jugendhausgesellschaft, ein. Der ehemalige Graffitisprayer bezeichnet sich selbst
als Teil der Szene und als Schnittstelle zwischen den Stuttgarter Sprayern, der Stadt und der
Polizei. Seine Aufgabe: Freiflächen verhandeln. Sein Ziel: „Vorurteilen entgegenwirken und
eine Verbindung zwischen der Bevölkerung und den Sprayern schaffen.“ Diese Aufgabe sei
oft mühsam und könne nur mit viel Geduld bewältigt werden. Die Verhandlungen für neue
Freiflächen dauere oft mehrere Jahre und müsse verschiedene Gemeinderatssitzungen
durchlaufen. „Doch warten lohnt sich“, findet Florian Schupp. „In Stuttgart gibt es viel zu
wenig Freiflächen. Diese sind jedoch wichtig, um jedem den Zugang zu Graffiti zu
erleichtern.“
Bisher gibt es Halls of Fame lediglich in Bad Cannstatt an der König-Karls-Brücke, sowie
dem Züblin Parkhaus in der Stadtmitte. Nach drei Jahren Verhandlung ist dieses Jahr eine
weitere Hall of Fame freigegeben worden. Nun kann auch an der Autobahnbrücke in
Vaihingen gesprayt werden.
Inzwischen ist die Sonne untergegangen. Moe feilt an den letzten Details seines Graffitis. Er
geht ein paar Schritte zurück und blickt prüfend auf sein Kunstwerk. Noch ein paar letzte
Farbkleckse aus der Dose, dann ist sein Graffiti vollendet. Zufrieden zückt er die Kamera und
fotografiert seine Arbeit. Seine Kunst kann morgen schon übermalt sein. Was ihm bleibt, sind
die Bilder.