Warum Smalltalk gar nicht so Small ist
Ich hör immer wieder den Satz: „Lass uns den Smalltalk überspringen und tiefere Gespräche führen.“ Verständlich. Gleiche Antworten auf dieselben Fragen – wer hat da schon Bock drauf? Aus meiner unglaublichen Smalltalk-Erfahrung kann ich behaupten: Es ist zwar anstrengend, aber auch wichtig.
Oft sind es die „kleinen Dinge“, die einander verbinden. Wie zum Beispiel Musik. Hätte ich nicht nach den Lieblingsbands meiner Freunde gefragt, hätte ich später keine Konzerte und Festivals mit ihnen erlebt. „Welche Musik hörst du am liebsten?“. Eine ganz einfache Frage, sollte man meinen. Einfach, aber nicht präzise genug. In welchen Situationen meinst du denn? Wenn ich mit meinen Freunden in Clubs gehe, halten mich 2000er à la „Madonna – Hung up“ davon ab, frühzeitig wieder nach Hause gehen zu wollen. Wenn ich morgens zur Uni gehe, bringen mich neben einem Becher Kaffee auch die Songs von Noah Kahan dazu, die Vorlesung nicht schwänzen zu wollen. Und wenn ich einkaufen gehe, hat Taylor Swift die magische Wirkung auf mich, in 20 Minuten meinen Wocheneinkauf im Kaufland erledigen zu können. Ganze 25 Sekunden habe ich für die Antwort auf diese „einfache“ Frage gebraucht und konnte mich in der Zeit noch nicht mal festlegen. Von wegen Smalltalk.
Smalltalk ist nicht einfach und klein. Es ist mühsam, anstrengend und größer als man denkt. Auf einer Geburtstagsfeier beantworte ich mindestens zehnmal die Frage, was ich studiere und ob es mir gefällt. Ob die Person das morgen noch weiß, ist die andere Frage, aber man bekommt durch Smalltalk einen ersten Eindruck vom Gegenüber und kann dann auch zu tieferen Gesprächen übergehen. Zum Beispiel auf der Geburtstagsparty letztens, als mein Gegenüber auf diese besonders interessante Frage gekommen ist: „Welches Tier würdest du in einem Eins-gegen-Eins-Duell auf Leben und Tod besiegen können?“. Als Vegetarier ist das keine leichte Frage, habe mich nach Lachen und Überlegen aber für den Biber entschieden. So absurd die Frage auch ist, es hat unser Gespräch - im Gegensatz zum Biber in meinen Duell - am Leben gehalten. Die Frage habe ich direkt in mein Smalltalk-Sortiment aufgenommen.
Smalltalk ist nicht nur mühsam und anstrengend, sondern auch wichtig, um Situationen aufzulockern. Smalltalk ist eine Kunst für sich: Wer das richtig kann, ist auch der erste, der im Firmenaufzug plötzlich vom Chef auf ein Kaltgetränk am Abend eingeladen wird. Wäre ich in dieser Situation, würde ich mich fragen, wie lange ich noch über Sport reden muss, bis ich den Chef endlich fragen kann, welches Tier er in einem Eins-gegen-Eins-Duell auf Leben und Tod besiegen könnte.
Lasst uns als Gesellschaft Smalltalk mehr schätzen, aber lasst es uns auf ein Minimum begrenzen! Und können wir uns auf neue Smalltalk-Fragen einigen? Es muss kein lebensentscheidendes Duell mit Nagetieren sein, aber bitte auch keine Lieblingsfarbe.
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