„Die besten Leute spielen so faszinierend, da fliegen dir die Augen raus.“
Gegen die Zeit
Wir schreiben das Jahr 1980: In der Spieleanleitung des Racing-Games Dragster fordern die Entwickler alle Spieler auf, die Zeit von sechs Sekunden für einen einzelnen Durchlauf zu unterbieten und einen Beweis davon an das Studio zu schicken. Einige Gamer nehmen die Herausforderung an und erhalten für ihren Beweis ein Zertifikat, das ihre Leistung würdigt. Es handelt sich um die ersten Aufzeichnungen von Menschen, die ein Videospiel so schnell wie möglich durchspielen. Aus dieser Idee heraus entstanden langsam Foren für verschiedene Spiele, in denen Gamer ihre Rekordzeiten teilten. Speedrunning war geboren. Mittlerweile gibt es für beinahe jedes Spiel offizielle Rankings, die sich online ansehen lassen. Bei den beliebtesten Games kämpfen Hunderte um den Platz an der Spitze.
Teil dieser Subkultur sind die beiden Deutschen Berlindude und Mave3rick. Sie zeigen auf der Livestreamplattform Twitch regelmäßig, wie sie versuchen, Rekorde in ihren Lieblingsspielen zu brechen. „Das Faszinierende am Speedrunnen ist, wie gut man werden kann. Schafft man es tatsächlich, der Beste zu sein?“, überlegt Berlindude. Das ist für die beiden der Antrieb, bestimmte Spiele mehrere Stunden am Tag wieder und wieder durchzuspielen. Jeder Neuanfang gibt die Möglichkeit, Fehler zu beseitigen, Gelerntes in den Run einzubringen und so eine neue Bestzeit zu erreichen.
Um das Maximum aus den Spielen herauszuholen, überbieten sich die Gamer an Einfallsreichtum. Jede erdenkliche Mechanik wird ausgenutzt. Schnelles Vorankommen ist die einzige Regel, weshalb auch häufig sogenannte Glitches genutzt werden. Das sind Fehler im Spiel, die den Runnern diverse Tricks ermöglichen. So wird öfter durch verschlossene Türen gelaufen, quer über das Level geflogen oder auch Unsterblichkeit erreicht. Dass dabei große Teile der Spiele übersprungen werden, ist nichts Ungewöhnliches. Durch externe Programme zu schummeln und sich einen unfairen Vorteil zu erschaffen, ist beim Speedrunning allerdings nicht erlaubt.
Die Suche nach dem schnellsten Weg
Häufig finden sich bei Neuerscheinungen Menschen zusammen, die explizit nach solchen Fehlern suchen, sogenannte Bughunter. Sie versuchen, im Spiel absichtlich Fehler zu erzeugen, die beim schnellen Fortschritt hilfreich sein könnten oder tauchen sogar direkt in den Quellcode ab, um dort Anhaltspunkte fehlerhafter Programmierung zu finden und so die schnellsten Wege durch die vielen Level und Welten aufzudecken.
Aus diesem Grund gibt es bei den meisten Games mehrere Kategorien, die festlegen, was beim Durchlauf erreicht werden soll und was gesammelt werden muss, bevor der Abspann spielt. Die wohl häufigste wird „Any%“ genannt. Dabei geht es darum, ohne Einschränkungen so schnell wie möglich das Ende des Spiels zu erreichen. Aus einem Pokémon-Spiel, das auf normale Weise durchgespielt etwa 40 Stunden dauert, wird so eine gerade mal zwölf-minütige Odyssey an perfekt ausgeführten Eingaben durch die Welt und die Menüs.
Da vielen Spielern dabei jedoch der Reiz verloren geht, existiert meist auch die Kategorie „100%“, in der alles gesammelt, jeder Bossgegner getötet und die letzten Winkel der Spielwelt erkundet werden müssen. So ergibt meistens sogar die ursprüngliche Handlung des Spiels noch Sinn. Allerdings dauern Runs dieser Kategorie häufig mehrere Stunden, während denen der Spieler dauerhaft hochkonzentriert bleiben muss.
Auch wenn das Speedrunning erstmal wie ein einsames Hobby erscheint: Die Gemeinschaft innerhalb der einzelnen Spiele ist groß. Jeder würde gerne an der Spitze der Bestenliste stehen, trotzdem helfen sich die Spieler immer gegenseitig. „Ich habe bisher noch nie eine Community erlebt, die sich nicht gegenseitig supportet hat“, erzählt Berlindude. Jedem Einsteiger wird nach Möglichkeit geholfen und selbst die Besten zeigen ihre Tricks, sodass jeder eine Chance im Wettkampf hat.
Runnen für den guten Zweck
Wie stark dieser Gedanke in der Szene verankert ist, zeigt sich auch auf den sogenannten Marathons. Bei diesen mehrtägigen Events demonstrieren mehrere Gamer nacheinander ihr Können und werden dabei live im Internet gezeigt. Der Hintergrund ist meist der gute Zweck: Alle Zuschauer können freiwillig Geld spenden, das dann gemeinnützigen Organisationen zu Gute kommt.
Der bekannteste dieser Marathons ist Games Done Quick (GDQ), welcher zweimal jährlich in Amerika stattfindet. Hier werden die Spieler vor Ort von mehreren hundert Menschen beobachtet, während online häufig über 100.000 weitere Interessierte zuschauen. Das Event läuft für eine Woche lang 24 Stunden am Tag. Die dabei generierten Spenden fließen abwechselnd an die etablierten Nonprofit-Organisationen Ärzte ohne Grenzen und Prevent Cancer Foundation.
Auch Berlindude war 2017 Teil von GDQ, wo er sein Können in dem Spiel Alex Kidd in Shinobi World unter Beweis stellen konnte. Zurückgekommen ist er mit gemischten Gefühlen: „Der Marathon war sehr interessant, allerdings haben sich die meisten Menschen mehr auf die Spiele konzentriert als auf das Leben um sie herum.“ Der tatsächliche Besuch des Events sei daher eher etwas für Gamer, die zu hundert Prozent hinter dem Thema stehen. Was die Veranstalter mit der ganzen Speedrunning-Community für den guten Zweck auf die Beine stellen, loben die beiden deutschen Spieler allemal.
Wie das Ganze in der Praxis aussieht, könnt ihr im folgenden Video sehen!