"Die Entwicklung frisst sich langsam den Berg hinauf.”
Flickenteppich aus Gras und Schnee
Unter der schneebedeckten Piste lugen an einzelnen Stellen kleine Steine hervor. Nur wenige Zentimeter Schnee bedecken die Wiesen des Skigebiets in Enzklösterle. Die Skifahrer stört das nicht: Sie brettern die beiden Pisten auf ihren Skiern trotzdem hinunter. Unten angekommen können sie sich zwischen zwei Schleppliften entscheiden. Der eine verläuft 400 Meter den Berg hinauf, von dem größeren der beiden können die Besucher 1,2 Kilometer lang abfahren. Marc Bopp, ein stämmiger Typ mit schwarzer Jack-Daniels-Mütze, knipst mit seinem Locher die Punktekarten der Skifahrer ab. Hier funktioniert alles noch analog, kontrolliert wird mit dem Auge statt mit der Maschine. Wenn gerade kein Betrieb ist, schweifen seine huskyblauen Augen den Berg hinauf. Heute ist ein guter Tag für das kleine Skigebiet in der Nähe von Bad Wildbad im Nordschwarzwald. Unermüdlich klappert die Umlenkstation vor sich hin, spuckt einen Liftbügel nach dem anderen aus.
Jens Kleinert schnappt sich einen der ankerförmigen Bügel, die Hände der Skifahrer greifen konzentriert danach. Bloß nicht den Bügel verpassen, denken sie sich, während sie mit teilweise überkreuzten Brettern und hektischen Bewegungen in die Liftbahn einfahren. Kleinert hat immer ein Lachen für die Skifahrer parat, hält auch gerne mal ein kurzes Schwätzchen mit ihnen. Bopp ist da eher der ruhigere Typ. Die beiden Freunde sind ein eingespieltes Team. Sie arbeiten beide schon seit etwa zehn Jahren an dem Skilift im Enztal, kennen sich seit ihren Kindheitstagen.
Doch die Idylle dieses einen Tages im Februar trügt. Bisher konnte das kleine Skigebiet in Enzklösterle in der diesjährigen Skisaison nur an anderthalb Tagen zwischen Weihnachten und Silvester öffnen. An den restlichen Tagen standen die Lifte still wie die Tannen, die die Pisten säumen. Als Bopp das erzählt, muss er tief durchatmen. Der Niederschlag sei dieses Jahr nicht das Problem gewesen: „Doch dadurch, dass wir hier so an der Grenzzone sind, hat es am einen Tag geschneit und am nächsten Tag hat es alles wieder weggeregnet.”
Tiefgelegene Skigebiete müssen ums Überleben kämpfen
Im Vergleich zu anderen Skigebieten liegt das in Enzklösterle mit seinen 600 Metern über dem Meeresspiegel sehr tief. Gerade solche Skigebiete seien laut dem Klimaexperten Harald Kunstmann vom Klimawandel betroffen. „Je tiefer ein Skigebiet liegt, desto schwieriger ist es, auch weiterhin eine Schneesicherheit zu gewährleisten. Die Entwicklung frisst sich langsam den Berg hinauf”, sagt Kunstmann vom Zentrum für Klima und Umwelt am Karlsruher Institut für Technologie. Je höher man in die Berge geht, desto mehr nimmt die Temperatur ab. Bei einem Unterschied von 1000 Höhenmetern sinkt die Temperatur durchschnittlich um 5 Grad. Von 1931 bis ins Jahr 2000 sei die Temperatur laut Kunstmann im Quellgebiet des Neckars im Schwarzwald um rund 1,5 Grad gestiegen. Wenn es in höher gelegenen Bergregionen um so viel wärmer werde, falle immer noch Schnee. Steige die Temperatur aber in Enzklösterle um diese Gradzahl, übertrete sie im Winter oft die Nullgradschwelle.
Deshalb verschiebt sich die Schneefallgrenze immer weiter nach oben. Das bestätigt die Studie „Langzeitverhalten der Schneedecke in Baden-Württemberg und Bayern” aus dem Jahr 2015 vom Arbeitskreis KLIWA. Gerade deshalb können Skigebiete in den mittleren Höhenlagen keine Schneesicherheit mehr garantieren. Diese Schneesicherheit sei laut der Arbeitsgruppe nur dann gegeben, wenn im Zeitraum vom 01. Dezember bis 15. April eine Schneedecke von 30 bis 50 cm 100 Tage lang die Gräser und Wiesen unter sich begräbt. In den mittleren Höhenlagen sei die Dauer, innerhalb derer so viel Schnee das Grün bedecke, um 20 bis 60 Prozent zurückgegangen.
Beschneiung als Alternative
Um auch weiterhin eine geschlossene Schneedecke garantieren zu können, sei Beschneiung eine Alternative. Denn ein Problem sei laut Kunstmann, dass, wenn es kalt genug ist, auch erst mal Schnee fallen müsse. Diese erforderliche Korrelation der beiden Bedingungen könne man durch Schneemaschinen künstlich ausgleichen: „Skigebiete, in denen kontinuierlich Betrieb ist, werden alle beschneit. Dort, wo nicht beschneit wird, machen die Lifte inzwischen zu.” Trotzdem sei die Investition in Schneekanonen nicht für alle ertragreich. „Gegen den langfristigen Trend der Temperaturerwärmung hilft das aber auch nichts”, sagt Kunstmann. Dieser äußere sich vor allem in anderen Teilen der Erde. „Wir müssen runter von der massiven Emission von Treibhausgasen”, fordert der Klimaexperte. Dass sich die Schneesicherheit verringere und dies Auswirkungen auf den Skitourismus habe, sieht er geradezu als Lifestyle-Problem. „Vermehrte Niederschläge, Trockenperioden, Dürren: In anderen Ländern geht es teilweise um die Existenz!”
Kostspieliges Vergnügen
Auch in Enzklösterle stehen zwei Schneekanonen. Groß und fast schon bedrohlich ragen die gelben Maschinen aus der weißen Schneedecke. Marc Bopp ist verantwortlich für die teuren Pistenhelfer. Bis zu 30.000 Euro kostet eine Schneekanone. Ein kostspieliges Vergnügen, das sich für kleine Skigebiete meist nicht lohnt. Enzklösterle habe den Vorteil, dass es nur das zweite Standbein des Inhabers sei, erzählt Bopp. „Der hat den Skilift hier aufgebaut. Dem hängt da viel dran, deswegen möchte der den natürlich auch erhalten.“ Die cleveren Schneeproduzenten bescheren dem 30-Jährigen jedoch eine ganz schöne Arbeit. Alle zwei Stunden muss man sie kontrollieren und je nach Windrichtung wenden. „Zum Glück schneien wir nur zu”, ergänzt Jens Kleinert, während er durch die Schneemassen auf die andere Seite des Skigebiets stapft.
Hier am Nordhang ist die Abfahrt nur 400 Meter lang. Kleinsibirien nennt Kleinert diesen Hang liebevoll. Sobald er die Talstation des Anfängerlifts erreicht hat, verschwindet die Sonne hinter dem Berg und die Temperaturen sinken schlagartig in unangenehme Tiefen ab. Hier halten es nur Hartgesottene aus: Typen wie Jens Kleinert, die selbst Eiseskälte nicht abschreckt. Den kleinen Holzofen, der in der Lifthütte vor sich hin flackert, braucht er nicht. Geschäftig steht er in der Liftspur und hilft den kleinen Skifahrern dabei, den Bügel richtig anzulegen. „Näher ran ans Brett! Umso näher, umso leichter geht’s!”, ermutigt Jens einen kleinen Jungen, der unsicher ist.
„Wenn wir wissen, dass es vier Wochen lang kalt sein soll, es aber keinen Niederschlag gibt, dann können wir gut beschneien und kriegen die Piste so hin wie heute.”
Den Wettergott austricksen
Nicht immer spielt das Wetter für die Beschneiung mit. In der Saison 2013/2014 hatte das Skizentrum Enzklösterle an keinem einzigen Tag geöffnet. Jens Kleinert zieht sich seine schwarze Strickmütze in die Stirn. „Schade ist das. Aber man kann dem Wettergott leider nicht in die Karten schauen.” Den Wettergott austricksen, das setzen sich viele Skigebiete mittlerweile auf die Agenda. Die künstliche Beschneiung und andere Techniken, um den Skitourismus am Laufen zu halten, gelten als Anpassungsstrategie an den Klimawandel. Laut einer Bilanz der Gesellschaft für ökologische Forschung und des Bundes für Umwelt und Naturschutz in Bayern von 2015 beschleunigen diese Maßnahmen die Erderwärmung jedoch aufgrund ihres hohen Energie- und Ressourcenverbrauchs. Der Deutsche Skiverband nennt für einen Hektar beschneiter Pistenfläche mit etwa 30 cm Schneehöhe einen Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden Energie. Ein durchschnittlicher 4-Personen-Haushalt verbraucht circa 4000 kWh pro Jahr.
Das Skigebiet lebt vom Tagestourismus
Die Piste wird immer voller. Sonnenschein und milde Skifahrer-Temperaturen von minus einem Grad Celsius locken die Besucher an den familiären Lift in Enzklösterle. „Bei uns kommen eigentlich nur Tages-Skifahrer”, meint Bopp. Kratzende Skier bahnen sich ihren Weg über den vereisten Boden. Gestern hat es mal wieder so richtig geschneit. Die Schlange am Lift ist so lang wie schon lange nicht mehr. „Die meisten Leute bleiben nur einen halben Tag”, erzählt Bopp. Sie kämen aus den Gebieten rund um Stuttgart und Heilbronn, weshalb sich für sie auch ein Halbtagesausflug schon lohne. „Das ist wahrscheinlich unser größter Vorteil gegenüber den Großen”, meint Jens Kleinert. Dies bedeute jedoch auch, dass die Skifahrer spontan sein und je nach Schneelage selbst die Initiative ergreifen müssen. Zum Mittagessen können die Tagesskifahrer daher auch nur einen kleinen Kiosk und ein Aufwärmraum im charmanten Stil der siebziger Jahre nutzen. Von den üblichen Panorama-Restaurants, wie man sie aus großen Skigebieten kennt, fehlt jede Spur. „Die meisten bringen ihre Verpflegung selbst mit”, meint Bopp schulterzuckend.
Doch was ist mit den vielen Hotels, die schon seit Generationen fester Bestandteil des Örtchens sind? Die verwinkelten Straßen in Enzklösterle liegen wie ausgestorben im gleißenden Sonnenlicht. Keine Menschenseele ist unterwegs. Das einzige Lebenszeichen sind Einheimische, die verhohlen die Spitzengardinen ihrer Fenster beiseiteschieben, um einen Blick auf fremde Besucher zu werfen. Ein Hotelrestaurant direkt am Parkplatz des Skihangs macht Mitte Februar Betriebsferien. Das Hotel Krone scheint seinen Besitzer gewechselt zu haben. Hinter den verstaubten Fensterscheiben zeichnen sich aufgestellte Betten ab, ein Fenster wurde mit Ziegelsteinen zugemauert. Am Ortsausgang der kleinen Gemeinde liegt das Hotel Enztalblick. Unter dem eingeschneiten Dach deutet eine breite Glasfront den großen Wellnessbereich an. Schemenhaft sind die Umrisse einer Gestalt im Bademantel zu erkennen. Der Parkplatz ist vollgeparkt an diesem verschneiten Sonntag. Wer durch den mit Säulen gezierten Eingang in die Empfangshalle kommt, wird von lautem Stimmengewirr aus dem Hotelrestaurant empfangen.
"Bei uns steht kein einziges Paar Skier mehr im Skikeller."
Wolfgang Frey, den Besitzer des Hotels Enztalblick, scheint die rückläufige Schneesicherheit nicht zu betreffen: „Wir brauchen keinen Schnee, sondern Natur und Wanderwege!” Frey ist seit nunmehr 43 Jahren in der Hotelbranche tätig. Er weiß, dass es ein Skilift in diesen niedrigen Höhenlagen schwer hat. Um sein Hotel in Enzklösterle macht er sich jedoch keine Sorgen. „Vor 30 Jahren, da gab es bei uns noch viele Skifahrer im Hotel, viele davon Langläufer. Heute steht kein einziges Paar Skier mehr im Skikeller.” Den Grund hierfür sieht der erfahrene Hotelwirt jedoch nicht nur im Klimawandel, sondern auch im veränderten Urlaubsverhalten. „Die Menschen sind anspruchsvoller geworden”, weiß Frey. Statt sich in lange Schlangen an den Liften einzureihen, würden die Menschen eher auf ein entspannendes Wellness-Wochenende setzen. Mit oder ohne Schnee sei das Ende für Hotels, die nicht investieren, nahe, prophezeit Frey. Der Winter hat seinen Charme als umsatzstarke Zeit verloren. Diese Meinung vertritt auch Christian Buer, Professor für Tourismuswirtschaft an der Hochschule Heilbronn. Hotels hätten immer Alternativen, weiß Buer. Als Beispiel nennt er den Feldberger Hof, der sich als Familienhotel völlig neu positioniert hat und nun ganzjährig gut belegt ist. „Hotels sind nicht auf den alpinen Tourismus angewiesen”, sagt der Tourismusexperte.
Während Skifahrer für Skifahrer die schmale Spur zum Schlepplift passiert, steht Bopp mit den anderen Liftboys locker zusammen. Kleinert holt währenddessen vier Flaschen Rothaus Bier aus dem Kiosk - für jeden eine. Bopp und Kleinert sind mit dem Skilift vor der Haustüre aufgewachsen. „Wir hatten dadurch, dass wir im Schwarzwald wohnen, schon immer viel mit dem Schnee am Hut”, sagt Kleinert. Bopp stand das erste Mal mit drei, vier Jahren auf den Brettern. Für beide ist das Skigebiet ein Stück Kindheit.
Um´s große Geld geht es hier nicht
Neben dem Betriebsleiter halten sie inzwischen zu viert die Skilifte und Pisten instand. Keiner von ihnen ist fest angestellt, sie arbeiten alle als Minijobber, gehen nebenher ihren Hauptberufen nach. Kleinert ist Konstrukteur, Bopp Stuckateur. „Das hier ist nur nebenbei ein bisschen Zubrot und Lust am Erhalten”, sagt Kleinert. Wie viel Zeit sie für das Skigebiet opfern, können sie nicht einschätzen, so viel ist es. „Wenn man die Stunden alle zusammenrechnen würde, rentiert sich die Arbeit nicht”, sagt Kleinert. Wenn genug Schnee liegt, startet er um acht in den Tag. Weil die Skifahrer in Enzklösterle auch unter Flutlicht abfahren können, enden die Schneenächte für ihn erst gegen elf. Da müsse die Freundin auch mal zurückstecken, sagt Kleinert. Während er das erzählt, steckt sich Bopp seine zweite Zigarette an. Ihm und Bopp geht es weniger darum, mit dem Skibetrieb das große Geld zu verdienen.
Keine rosigen Zukunftsaussichten
„Wir haben damals hier, direkt vor der Haustüre, Skifahren gelernt. Das wollen wir den zukünftigen Generationen natürlich auch erhalten.” Kleinert und Bopp müssen durchschnaufen, wenn sie über die Zukunft des Skilifts nachdenken. Kleinert findet schneller Worte als Bopp: „Ein Minusgeschäft, das weiß jeder, rechnet sich auf die Jahre nie.” Laut Tourismusexperte Christian Buer hätten in den letzten Jahren viele Kleinbetriebe ihre Lifte stillgeleg. Dass tief gelegene Skigebiete nur noch wenig Gewinn erwirtschaften, liege insbesondere daran, dass sie keine Schneestabilität garantieren können. „Das halten die Skigebiete wirtschaftlich nicht lange durch”, sagt Buer. Darunter gebe es eben nur die Möglichkeit, die Pisten mit künstlichem Schnee zu präparieren: „Wenn wir mehr künstlichen Schnee produzieren, hat das zur Folge, dass wir mehr Kosten produzieren. Produzieren wir mehr Kosten, bedeutet das, dass die Skikarte teurer wird.” Buer ist deshalb der Meinung: „Wir müssen Skigebiete schließen und Konzentrationen aufbauen.” Nur so könne man noch Gewinn erwirtschaften. Seine Meinung zum alpinen Skitourismus auf unter 1000 Metern ist deutlich: Der Tourismusexperte hält das alpine Skifahren dort für nicht mehr zukunftsträchtig.
„Das ist wie mit einem Freund, an dem man sich festhält, obwohl es nicht mehr funktioniert: Da muss man einfach loslassen.”
„Heute hält der Hang wahrscheinlich nicht so lange durch”, sagt Jens Kleinert mit kritischem Blick. Zu viele schneewütige Skifahrer brettern an diesem Tag über die von gestern noch frisch eingeschneite Schneedecke, die am Ende des Tages eher an einen Flickenteppich aus Gras und Schnee erinnert. Für die beiden Freunde bedeutet das, heute wahrscheinlich schon um 18 Uhr Feierabend zu machen. Mit zufriedenem Gesichtsausdruck stehen die beiden am Lifthäuschen und lassen ihre Blicke über die Skifahrer schweifen. Jens Kleinert schwelgt in Erinnerungen an seine ersten Versuche auf den Skiern. „Es wäre schon toll, wenn wir unseren Skilift noch so lange wie möglich erhalten können.
Auf die Frage, was sich denn ändern müsse, damit das Skigebiet reelle Zukunftschancen hat, wissen die beiden keine Antwort. Sie geben jedoch nicht wirklich viel auf Klimastudien und Temperaturprognosen. „Einer macht immer Studien, die ein anderer wieder widerlegt”, meint Kleinert. „Dieses Jahr hieß es, wir kriegen einen Jahrhundertwinter und jetzt ist es eine total schlechte Saison.” Er und Kleinert könnten nur hoffen, dass am Ende des Tages genug Geld reinkommt, um den Lift so lange wie möglich am Leben zu halten. Er ist für die beiden mehr als nur ein Lifestyle-Objekt. Er ist ein Stück Kindheit, ein Ort der Freundschaft und ein Teil der Heimat, der genauso zu Enzklösterle gehört wie die Schwarzwälder Tannen oder das urige Stück Schwarzwälder Kirschtorte zum Nachmittagskaffee.