"Es gibt viele Fans, die sich wirklich so fühlen, als hätten sie einen Anspruch auf den Künstler."
Zwischen Leidenschaft und Obsession
Auf Marias Handy klebt das Gesicht eines koreanischen Sängers. Es vibriert kurz und sie nimmt es in die Hand, tippt konzentriert und blickt gespannt darauf. Eine ihrer Lieblingsbands hat ein neues Album angekündigt. Jetzt muss die 22-Jährige schnell sein, um einen Platz in einer Gruppenbestellung zu bekommen und die besten Sammelkarten zu reservieren, die dem Album beigelegt sind. Trotz der Anspannung wirkt sie gut gelaunt. Maria ist seit 2015 K-Pop-Fan. Wenn sie von diesem Hobby und ihren Idolen erzählt, zieht sich ihr Grinsen über beide Ohren – ihre Begeisterung für das Thema ist ansteckend.
Maria gibt das meiste ihres Geldes für Merchandise und CDs aus, stand bereits bei einigen Konzerten mit einem VIP-Ticket in der ersten Reihe und hat manche ihrer Idole sogar persönlich getroffen. In dieser Zeit hat sie viele gute Erfahrungen mit der Fankultur und dem Fan-Sein gemacht. Viele ihrer Freunde hat sie in der K-Pop-Community kennengelernt und sie hat Bekanntschaften auf der ganzen Welt. „Das Fan-Sein ist ein sehr großer Teil meines Lebens“, erzählt sie. In schweren Phasen fand sie Halt durch die Musik und die Gemeinschaft. Fan zu sein gab ihr immer ein Gefühl von Zugehörigkeit: „Es ist das Einzige, was in meinem Leben immer konstant geblieben ist.“
Hass und Anfeindungen im Netz
Doch was sie in all den Jahren als Fan auch gelernt hat: Es gibt Menschen, deren Bewunderung für ihre Idole zu weit geht. So war Maria in den sozialen Medien innerhalb des Fandoms zwar schon immer sehr aktiv, selbst postet sie mittlerweile jedoch fast nichts mehr. Das liegt daran, dass sie in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit den Reaktionen anderer Fans gemacht hat. Der Diskurs und Umgang miteinander sei teilweise sehr negativ geprägt. „Die Leute werden immer sofort kratzbürstig und lesen gar nicht richtig, was du sagst, sondern wollen dich direkt attackieren.“ Auch die Bereitschaft, am Verhalten der Idole Kritik zu üben, fehle ihr an vielen Stellen. Beispielsweise wurde die Gruppe „BTS“ 2015 in den Medien kritisiert, nachdem sie ein Fotoshooting im Holocaust-Mahnmal in Berlin gemacht hatte.
Wenn Fans in solchen Situationen die Taten ihrer Idole bemängeln, werden sie von anderen Fans, die die Stars unhinterfragt idealisieren und dadurch sofort im Verteidigungsmodus sind, angegriffen. Auch Maria wurde bereits zum Opfer einer solchen Hasswelle, nachdem sie auf Twitter das Cover eines deutschen K-Pop-Magazins kommentierte. Sie hat den Tweet nach einer Weile einfach stumm gestellt und ignoriert: „Ich habe mittlerweile die Vorteile vom Blockbutton entdeckt. Ich weiß, dass viele das aber nicht wirklich können und vielleicht auch nicht wollen. Manche wollen es dann einfach ausstreiten, weil sie das Gefühl haben, sich verteidigen zu müssen.“
Auch wenn die Künstler*innen immer wieder betonen, dass sie Hass und Mobbing nicht dulden, haben sie wenig Einfluss drauf, was online passiert. Die Fans seien teilweise sehr abgekoppelt von dem, was die Künstler*innen sagen und für was sie stehen.
Fankultur im Internetzeitalter
Insbesondere die K-Pop-Industrie fördert die Entstehung von parasozialen Beziehungen, da die Menge an Content, die Fans bekommen, so groß ist: „Es gibt viele Fans, die sich wirklich so fühlen, als hätten sie Anspruch auf den Künstler oder irgendeinen Teil in dessen Leben“, erzählt Maria.
Parasoziale Beziehungen sind ein Phänomen in der Popkultur, bei dem Menschen eine einseitige, ungleiche Beziehung zu einem Star aufbauen. Dabei fühlen sich die Fans, als ob sie eine persönliche Beziehung zu diesem hätten, obwohl sie ihn oder sie nie getroffen haben. Diese Beziehung ist einseitig, da der Star die Fans nicht kennt und oft nicht einmal von ihrer Existenz weiß. Parasoziale Beziehungen können negative Auswirkungen haben, insbesondere wenn die Beziehung zu einem ungesunden oder obsessiven Verhalten führt.
Quelle: American Psychological Association
Auch die Veränderung der Fankultur durch das Internet befeuert diese Entwicklung, da Fans häufigere und intimere Einblicke in das Leben der Stars bekommen. Auch Experte Dr. Martin Huppert, Psychologe und Autor des Buches „Die Star-Fan-Beziehung in der Popmusik“, sagt: „Früher hatten Stars eher eine mysteriöse Aura – das ist ja heute kaum noch möglich. Heute gibt man alles preis, von der Schuhgröße bis zum Mittagessen.“ Maria erzählt von einem Paradebeispiel aus dem K-Pop-Universum: Ein Abo für eine Messaging Plattform, auf der man mit den Künstler*innen schreiben und exklusive Lebensupdates von ihnen bekommen kann. Dadurch könne der Eindruck entstehen, dass der Star mit einem persönlich schreibt.
Auch Stalking werde öfter zum Problem, wenn Fans ihren Idolen auflauern oder deren Handys hacken, um private Bilder zu posten. „Ich kenne Leute, die diesbezüglich kein Konzept von Privatsphäre haben,“ erzählt Maria. Und nicht nur die Grenzen der Privatsphäre der Stars werden missachtet, sondern oft auch die des eigenen Geldbeutels. So verlieren manche laut Maria die Kontrolle über ihre finanziellen Ausgaben. Einige ihrer Bekannten aus der Fangemeinde leihen sich oft Geld, um auf alle Konzerte zu gehen und sind manchmal nicht mehr in der Lage, dieses zurückzuzahlen.
Wenn Fan-Sein zu weit geht: Fanatische Übergriffe
Laut Martin Huppert gehöre zu toxischen Fan-Star-Beziehungen eine Abhängigkeit, die auch toxischen Beziehungen im Allgemeinen nachgesagt werde: „Diese wird auf ungesunde Art ausgelebt.“ Stars seien außerdem gut geeignet, um grundlegende psychiatrische Probleme auszuleben. Fankulturen, in denen man Gleichgesinnte findet und die einem ein Gefühl von Stärke geben, bekräftigen dies. „In solchen Gruppenprozessen ist vieles denkbar, was auch in eine falsche Richtung gehen kann“, erklärt Huppert.
„In Gruppenprozessen ist vieles denkbar, was in eine falsche Richtung gehen kann“
Er erzählt von einem Beispiel eines fanatischen Fans, der für sein Idol zu weit gegangen ist: Die ehemalige Tennisspielerin Monica Seles wurde vor einigen Jahren von einem Fan einer anderen Tennisspielerin niedergestochen, damit sie diese nicht mehr besiegen kann. Ein weiteres Beispiel ist der Schauspieler Jake Lloyd, der als Kind Anakin Skywalker in Star Wars spielte. Lloyd erhielt für seine schauspielerische Leistung von einigen Fans Drohungen und Hassbotschaften, woraufhin er sich aus der Unterhaltungsindustrie zurückzog und mit psychischen Problemen zu kämpfen hatte.
Aber nicht nur die Gesundheit der Stars wird manchmal von Fans aufs Spiel gesetzt, sondern auch die eigene. Maria gibt zu: „Ich habe auch schon dumme Sachen gemacht. Ich bin um drei Uhr morgens an die Konzerthalle, weil ich unbedingt in der ersten Reihe stehen wollte und es war bitterkalt. Ich stand bei minus 20 Grad fast zehn Stunden draußen. Das war natürlich nicht schlau.“ Am Ende sei sie aber nochmal glimpflich davongekommen und konnte das Konzert aus der ersten Reihe genießen.
Jetzt schaut Maria von ihrem Handy auf, freut sich und lacht: „Ja! Ich hab’s geschafft. Ich krieg die Sammelkarten.“ Sie strahlt über das ganze Gesicht, die Anspannung ist verschwunden. In solchen Glücksmomenten sind die Schattenseiten der Fankultur wieder vergessen und es zeigt sich, dass das Gemeinschaftsgefühl, die Euphorie und die Fan-Liebe doch meist überwiegen.