„Noch vor zwei Generationen konnte man im Buriganga-Fluss trinken und baden. Heute geht das nicht mehr, der Fluss ist verfärbt in der Trendfarbe der Saison.“
Eine Modewelt, die anders denkt
Bunt bestickte Röcke mit funkelnden Pailletten springen in der „Kleiderei“ sofort ins Auge. Sabrina Fruck ist direkt angetan von einem glitzernden, grünen Rock. Er schwebt an einer Stange im Fenster und fängt das Sonnenlicht ein, das den Raum durchflutet. Eigentlich ungewöhnlich, so ein besonderes Stück in einem Secondhandladen zu finden. Trifft man dort nicht meist auf ältere, abgetragenere Stücke? Doch gerade von der Sonne angestrahlt, ist es leicht vorstellbar, wie der Rock bei verschiedenen Anlässen getragen werden könnte – vielleicht zu einem Sommerfest oder einem gemütlichen Abend mit Freunden.
Mode der Zukunft?
Wenn von Nachhaltigkeit die Rede ist, dann fällt Mode oft unter den Tisch, obwohl sie einen großen Einfluss auf das Klima hat. Um diesem Problem entgegenzuwirken, gibt es einige Initiativen, die diese Thematik beleuchten, darunter auch Future Fashion. Wie Sabrina Fruck erklärt, ist Future Fashion eine Bewegung für nachhaltige Mode und bewussten Konsum in Baden Württemberg. Initiiert wurde die Bewegung 2017 von der Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit Baden-Württemberg (SEZ). Seit 2023 ist Fruck Teil von diesem Projekt und führt normalerweise Gruppen durch die Secondhand-Läden Stuttgarts. Heute jedoch gibt sie einen Einblick in den Ablauf der Führung, ganz ohne Gruppe. An den Stationen „Kleiderei“ und „Teo“ zeigt sie, dass man hier auf eine Modewelt trifft, die anders denkt.
Meistens nehmen an ihren Führungen Schulklassen teil. Die Stadtführung findet spielerisch statt, mithilfe von Quizzen und informativem Input über Mode und Nachhaltigkeit, so Fruck: „Ich starte immer mit einer Schätzfrage, wie beispielsweise: Wie viel Wasser wird für die Produktion einer Jeans verwendet?“ Die Gruppe wirft verschiedene Antworten in die Runde und diskutiert eifrig, bis die richtige Zahl aufgelöst wird: 8.000 Liter Wasser verbraucht die Herstellung einer einzelnen Jeans. Fruck erklärt, dass manche Teilnehmende ihrer Gruppen bereits viel Vorwissen hätten und manche sich bisher eher weniger mit der Thematik beschäftigt hätten. Was aber allen ein Begriff sei, sind Marken wie Shein und H&M oder was ein Haul ist. Trends spielen auch eine große Rolle und definieren oftmals, wer sich stilvoll kleide. Womit die Teilnehmenden sich aber weniger beschäftigen, sei, wo die Kleidung herkommt und wer sie produziert.
Der Preis der nachhaltigen Mode
Viele wissen, dass günstige Kleidung oft in Ländern hergestellt wird, in denen Armut verbreitet ist. Dennoch fällt es einigen schwer, ihr Verhalten entsprechend zu ändern und nach anderen Optionen zu suchen. Um tiefer in das Thema einzutauchen, führt Fruck zu „Teo“. Einem stilvollen Secondhandladen, geführt von Leonard Fritz und Teresa Richter. Beide wollten eine Alternative zum herkömmlichen Kleidungskonsum bieten, nachdem sie eine Dokumentation über die Produktion von Fast Fashion in Bangladesch gesehen haben. Fritz schildert: „Noch vor zwei Generationen konnte man im Buriganga-Fluss trinken und baden. Heute geht das nicht mehr, der Fluss ist verfärbt in der Trendfarbe der Saison.“ Schuld seien die Produktionsstandorte von Fast Fashion-Marken, die nahe des Flusses gelegen sind. Nebenprodukte der Textilfärberei und andere chemische Abfälle würde täglich in den Fluss fließen und ihn verunreinigen.
Fast Fashion, auf Deutsch schnelle Mode, bezeichnet Kleidungsstücke, die sehr günstig produziert werden sowie immer verfügbar und bei der Mehrheit stark beliebt sind. Der Begriff ähnelt der Bezeichnung Fast Food, da ein Großteil der Bevölkerung Kleidung wie Nahrungsmittel konsumiert.
Quelle: Umweltmission.de
Nicht nur das Leben um die Produktionsstandorte herum stellt ein Gesundheitsrisiko dar, auch der Arbeitslohn ist zu gering. Mit gerade einmal 106 Euro im Monat kommen, laut Tagesschau, viele Nähende gerade so bis gar nicht über die Runden. Aus diesem Grund müsse nachhaltige Mode nicht teuer, aber auf jeden Fall teurer sein als Kleidungsstücke, die in Fast-Fashion Läden verkauft werden, sagt Fruck. Fritz und Richter sind ganz von ihrem Konsumgedanken losgekommen und hoffen, auch Kund*innen und vorbeikommende Gruppen der Future Fashion-Stadtführung zu einer Änderung ihres Kaufverhaltens zu bewegen.
Um einen positiven Einfluss auf Umwelt und Nachhaltigkeit zu haben, müsse man aber auch bei Secondhand die Augen offen halten, schildert Andrea Kostrowski, Referentin für Kreislaufwirtschaft der Deutschen Umwelthilfe. Sie betont, dass einige Seconhand-Initiativen kritisch betrachtet werden müssten. Besonders größere Unternehmen würden den Secondhand-Trend als Marketingmaßnahme ausbeuten und böten Secondhand-Optionen an, um von ihrem eigentlichen Kerngeschäft, den schnellen Konsumzyklen, abzulenken. Letztendlich sei es die lange Nutzung der Produkte, die zur Ressourcenschonung und -effizienz beitrage.
Öko-Image oder Stilikone
Der letzte Laden auf Frucks Führung ist die „Kleiderei“ in der Schwabstraße. Geführt wird der Laden von Carina Breisch unter dem Motto „Stil hast du, Kleider leihst du“. Bei ihr kann man durch eine Mitgliedschaft Kleidungsstücke leihen, um so herauszufinden, was einem gefällt oder was man doch lieber zurückgibt. Ihr tägliches Bestreben ist es, „Secondhandkleidung schön zu präsentieren und zu zeigen, dass man sich modisch kleiden und seinen ganz eigenen Stil auch in der Secondhand-Mode finden kann.“
Fruck berichtet, dass sich nachhaltiges Shoppen für einige anfangs wie ein Verzicht anfühle. Auch Vorurteile, wie von Zeit Online dargestellt, dass nachhaltige Mode nicht überall zu haben sei und man wie ein typischer Öko aussähe, seien laut Fruck unbegründet. Future Fashion zeigt, wo nachhaltige Läden zu finden sind. Die „Kleiderei“ beweist dabei, wie viele Eyecatcher es gibt, um den eigenen Stil auszudrücken. Aktuelle Mode-Trends prägen zwar besonders die jüngere Generation, doch sie bringen auch Eintönigkeit mit sich und rauben die Individualität, da alles und jeder gleich aussieht. Secondhand kann hierbei die Lösung sein, denn die „Kleiderei“ bietet Stücke an, die sonst keiner zu haben scheint, wie zum Beispiel ein paar Stiefel mit Schlangenhaut-Optik oder ein langes Kleid, dass in den verschiedensten Blautönen strahlt.
Am Ende der Führung berichtet Fruck von einem Feedbackgespräch in einer kleinen Abschlussrunde. Die Teilnehmenden erzählen, dass ihnen oft das Ausmaß des Problems nicht bewusst gewesen sei. Sie wollen in Zukunft bewusster Mode konsumieren und mehr auf Secondhand umsteigen. Besonders im Gedächtnis geblieben sei Fruck die Geschichte einer ehemaligen Teilnehmerin. Sie habe in der Herren-Secondhand-Abteilung modische Schätze entdeckt, die auch in größeren Größen verfügbar gewesen seien als in der Damenabteilung. Ohne die Future Fashion-Führung hätte sie dort niemals nachgesehen und hätte ihre Größe nicht in Secondhand gefunden. Stil sei auch abseits der gewohnten Wege zu finden.
Die Sonnenstrahlen reflektieren auf den Pailletten des grünen Rocks im Schaufenster der „Kleiderei” und lassen sie glänzen. Dieser Rock ist kein gewöhnliches Massenprodukt; er trägt die Geschichten all der Menschen, die ihn bereits getragen haben. Frucks Blick bleibt noch einen Moment lang an dem Rock hängen. Sie wünsche sich, dass nicht nur die Teilnehmenden ihrer Führung, sondern alle Menschen in Zukunft bewusster über die Herkunft ihrer Kleidung nachdächten und nicht bei jedem Trend etwas Neues kauften. Wenn man genau hinschaue, finde man überall zeitlose und einzigartige Secondhand-Stücke. Stil und Nachhaltigkeit stehen also nicht im Widerspruch zueinander, sondern können miteinander kombiniert werden.